Vor einigen Monaten habe ich über zwei ungelöste Verschlüsselungen des späteren Kaisers Maximilian I. berichtet. Heute kann ich zwei weitere Kryptogramme dieser Art präsentieren. Gelingt es damit, das Rätsel zu lösen?

English version (translated with DeepL)

Maximilian I. (1459-1519) war ein bedeutender Herrscher der frühen Neuzeit. Er stammte aus dem Hause Habsburg und war von 1508 bis zu seinem Tode römisch-deutscher Kaiser. Maximilian I. galt als kluger und vorausschauender Herrscher und erhielt den Beinamen “der letzte Ritter”.

Quelle/Source: Wikimedia Commons

Vor ein paar Monaten habe ich auf Cipherbrain über zwei kurze verschlüsselte Nachrichten Maximilians I. berichtet. Die Niederländerin Zoë Maula hatte mich auf diese aufmerksam gemacht. Zoë hat in Leiden Japanologie studiert, interessiert sich jedoch auch für die Geschichte der Niederlande im 15. Jahrhundert.

Leider konnten meine Leser die beiden Kryptogramme nicht lösen. Inzwischen hat Zoë jedoch zwei weitere Botschaften dieser Art gefunden, wodurch die Chancen, die Verschlüsselung zu knacken, gestiegen sind. Im Folgenden werde ich alle vier Kryptogramme chronologisch vorstellen.

Alle vier Geheimtexte sind recht kurz. Sie stehen jeweils auf einem Brief, dessen restlicher Inhalt an dieser Stelle nicht relevant ist – abgesehen davon, dass darin Hinweise auf den Klartext enthalten sein könnten.

Die Briefe sind anscheinend datiert (auch wenn ich als Laie kein Datum erkennen kann). Da Maximilian I. die östliche Datierungsmethode verwendete (ich wusste nicht, dass es das gibt), stimmen die Jahreszahlen teilweise nicht. Die angegebenen Datierungen hat mir Zoë genannt, sie müssten daher korrekt sein.

Hinweis: In der ursprünglichen Version des Artikels waren die ersten beiden Briefe vertauscht.

 

20. Dezember 1494

Hier ist der älteste der vier Briefe:

Quelle/Source: Archives Departementales du Nord

Hier ist der verschlüsselte Text, um den es geht:

Quelle/Source: Archives Departementales du Nord

Vor dem verschlüsselten Text das lateinische Wort ”Scio” (“ich weiß”). Dieses könnte einen Hinweis darauf geben, was danach folgt.

 

13. Februar 1495

Der zweite Brief wurde zwei Monate später verschickt:

Quelle/Source: Archives Departementales du Nord

Der folgende Ausschnitt zeigt das Kryptogramm, um das es geht:

Laut Zoë steht folgendes im Brief:

Maximilian, by the Grace of God King of the Romans, Semper Augustus, Archduke of Austria, Duke of Burgundy, Brabant, etc., acknowledges that he has personally received at his express command from Simon Longin, his receiver general, the sum of 2000 livres, of 40 gros de Flandres each, to buy a ship to use for some his affairs. He wants this transaction to be recorded in the books of the chambre des comptes at Lille without any difficulties being made and without expecting any further command. For this is what he wants done, notwithstanding any rules and regulations to the contrary.Given under our name in our town of Gorinchem with the sign manual of our secretary, Master Gerard Numan, 13 February 1494 (N.S. 1495)

 

24. Februar 1495

Den folgenden Brief habe ich bereits in meinem ersten Artikel vorgestellt:

Quelle/Source: Archives départementales du Nord

Auch dieser ansonsten im Klartext verfasste Brief enthält eine kurze verschlüsselte Nachricht rechts neben der Unterschrift (erneut steht “Scio” davor):

 

10. März 1495

Auch das folgende Kryptogramm habe ich bereits im ersten Artikel vorgestellt:

Quelle/Source: Public Domain

Leider liegt mir der zugehörige Brief nicht vor.

 

Transkription

Ich habe folgende Transkriptionen der vier Kryptogramme erstellt:

56SDG1DZR7

ABCDEFGDHEIJDKLMFNLB

OPLEDQIRSLHCTE

UFDVBWXEYZT1EZD1ODH2L134

Da die Schrift nicht deutlich ist, kann man über einige Details sicherlich streiten.

 

Lösungsansätze

Insgesamt haben die vier Nachrichten eine Länge von 68 Zeichen. 33 unterschiedliche Symbole kommen darin vor. Es könnte sich um eine homophone Chiffre handeln. Denkbar ist jedoch auch, dass Maximilian I. für die vier Nachrichten zwar jeweils eine ähnliche, aber nicht die gleiche Ersetzungstabelle wählte.

Zoë hat mich darauf hingewiesen, dass einige Symbole für ein ganzes Wort stehen könnten. Demnach würde es sich um einen Nomenklator handeln, was durchaus plausibel wäre. Ich glaube aber nicht, dass jedes Symbol für ein Wort steht, da es sonst nicht so viele Wiederholungen gäbe.

Die beiden Blog-Leser Jozef Krajcovic und Thomas Bosbach haben zwei Quellen zu Verschlüsselungsverfahren von Maximilian I. gefunden:

Zoë hat mir zwei weitere Links genannt, die hilfreich sein könnten:

Kann jemand zur Lösung dieses Rätsels beitragen? Zoë Maula würde sich zweifellos darüber freuen. Ich mich natürlich auch.


Further reading: Wie ein Mathematiker einen Geheimcode aus dem Nachlass von US-Präsident Jefferson knackte

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Kommentare (11)

  1. #1 Thomas
    1. Dezember 2021

    Die chiffrierten Teile dürften zu kurz für eine Entschlüsselung ohne Schlüssel sein. Wurde schon einmal beim Österreichischen Staatsarchiv (Abt. Haus-, Hof- und Staatsarchiv) in Wien nachgefragt, ob sich dort ein passender Chiffrenschlüssel aus Maximilians Kanzlei befindet?. Decrypt weist jede Menge von Chiffrenschlüssel z.T. um 1500 nach, die sich dort befinden, hier exemplarisch nur eine Seite: https://de-crypt.org/decrypt-web/RecordsList?start=521

  2. #2 Holger Gruber
    Stuttgart
    2. Dezember 2021

    Die Übersetzung ist die des zweiten, des Februarbriefes, also besser erst unter dem zweiten Digitalisat bringen. Wobei der Anfang zu ergänzen wäre, denn statt “Maximilian” muss es heissen “We Maximilian” – im Original französisch “Nous Maximilian”.
    Beim zweiten Brief steht vor dem Geheimtext:
    “scio extrary” (steht sicherlich für: extrarii). Möglicherweise eine Anweisung an denjenigen, der die Finanztransktion wie angewiesen in die zentrale Buchführung in Lille eintragen soll?

    Vielleicht sind die Kryptogramme sowas wie TANs, die die Echtheit der Transaktion sicherstellen sollen. Denn es geht in allen drei Briefen um Geld, das der König von jemandem bekommen hat, und das er anschließend verbuchen lässt.

  3. #3 Holger Gruber
    Stuttgart
    2. Dezember 2021

    Ich theoretisiere mal dieses Szenario:
    Simon Longin hat von der Krone die Pfründe des Geldeintreibers gepachtet. Statt das Geld beim zentralen Schatzamt in Lille abzuliefern, übergibt er es direkt an Maximilian. Maximilian lässt ihm über die jeweilige Summe eine Quittung ausstellen (= diese “Briefe”), die einen geheimen Transaktionscode enthalten. Bei Gelegenheit fährt Longin nach Lille und legt die Quittungen vor. Dort werden ihm nach Überprüfung der Transaktionscodes die Zahlungen in der zentralen Buchführung gutgeschrieben.

    Möglicherweise sind die “Transaktionscodes” zunächst mit dem Schlüssel: Geldsumme(?), Datum(?) (und Adressat?) als Klartext (ein paar Worte oder eine Phrase) irgendwo “herausgezogen” (“extrarii”, s.o.) worden und dann noch mal per verwaltungsinterner (Silben?)Geheimschrift verschleiert.

  4. #4 Klaus Schmeh
    2. Dezember 2021

    @Holger Gruber:
    >Möglicherweise sind die “Transaktionscodes”
    Interessant. Das würde erklären, warum die Nachrichten so kurz sind und unterhalb des eigentlichen Texts stehen.

  5. #5 Norbert
    3. Dezember 2021

    @Holger Gruber, kleine Korrektur: “extrarii” dürfte zu “extrarius” (auswärtig, fremd) gehören, nicht zu “extrahere” (herausziehen).

    @Klaus:

    Brief, dessen restlicher Inhalt an dieser Stelle nicht relevant ist – abgesehen davon, dass darin Hinweise auf den Klartext enthalten sein könnten.

    Schön ausgedrückt 😉 Wenigstens die Summe, um die es jeweils geht, wäre doch interessant – vielleicht wird in Geheimschrift einfach nur die Zahl wiederholt, um nachträgliche Fälschungen auszuschließen?
    Lese ich es richtig, dass es im ersten Brief um 400 und im dritten um 4000 Livres geht? Wie Holger Gruber schon schrieb, gehört Zoës Übersetzung zum zweiten Brief (dort also 2000 Livres).

  6. #6 Helmut Winkler
    3. Dezember 2021

    Ihr solltet vielleicht einmal bei den Regesta Imperii Maximilian I nachfragen, die sollten da mehr wissen

    http://www.regesta-imperii.de/unternehmen/abteilungen/xiv-maximilian-i.html

  7. #7 Klaus Schmeh
    3. Dezember 2021

    @Holger Gruber:
    >Die Übersetzung ist die des zweiten, des
    >Februarbriefes, also besser erst unter dem
    >zweiten Digitalisat bringen.
    Danke für den Hinweis. habe ich korrigiert.

  8. #8 Holger Gruber
    Stuttgart
    4. Dezember 2021

    @Klaus, alle drei Urkunden liegen im Archiv des Departements Nord in Lille, dem Ort, an dem die Zahlungen vor einem halben Jahrtausend verbucht werden sollten.
    Wenn Du richtig Glück hast, dann liegt da nicht nur noch ein Haufen von weiteren, gleichartigen Quittungen, sondern die sind vielleicht sogar schon als Digitalisat online einsehbar. Kannst Du Zoë Maula mal ganz vorsichtig fragen, ob sie vielleicht einen entsprechenden Link für Dich hat?

    @Norbert, meine “Übersetzung” von extrarii war nur aus einem etymologischen Bauchgefühl heraus, und damit bin ich schon manchmal auf die Nase gefallen. Mittelalterliches Latein ist von jeder Menge Wildwuchs durchsetzt und erfordert manchmal nicht nur mehrbändige Fachwörterbücher, sondern auch entsprechendes Fachwissen in der Bedienung derselben. Was ich beides nicht habe, weil ich eigentlich hobbymäßig mindestens 100 Jahre später in norddeutschen Quellen “zu Hause” bin, und es da fast nur mit etwas komisch klingendem Hochdeutsch zu tun habe. Jetzt habe ich doch mal wenigstens online nachgeschlagen, und Du hast wohl recht! 🙂
    https://tinyurl.com/y2jhpdsz

    Ich weiß nicht, ob Maximilian sich allein auf die verschlüsselte Wiederholung der Summe verlassen haben würde (sofern meine Theorie der Transaktionsabsicherung überhaupt stimmt). Denn sonst könnte Longin oder “the man in the middle” ja einfach einen falschen Quittungsbrief mit einer schon einmal da gewesenen Summe erstellen und das dazu passende Kryptogramm erneut nutzen, ohne dessen Inhalt überhaupt kennen zu müssen. Irgendeine zusätzliche Information aus dem Klartext sollte schon direkt oder indirekt in das Kryptogramm miteinfließen, um das Verfahren einigermaßen abzusichern – analog einem Transaktionszähler: Datum, Monatstag alleine, Monat alleine, drittes Wort in der fünften Zeile, Anzahl der Zeilen, Anzahl der Worte/Buchstaben in der n-ten Zeile, irgendein Krickelkrackel an einer vereinbarten Stelle, die Anfangsbuchstaben aller Worte des fünften Satzes… – die Auswahl ist unendlich. Geschickt gemacht, muss sogar nicht mal die Geldsumme explizit mit drin sein.

    Die Summen 400 (quatre cens) in der ersten und 4000 (quatre mil) in der “alten” Quittung lese ich genauso. “cens” ist vielleicht ein altertümlicher oder regionaler Plural – aber ich hatte nur ein Jahr wahlfrei Französisch in der Schule, deshalb gegebenenfalls bitte andere, schlauere Leute fragen.

  9. #9 Thomas Ernst
    Nekropolis
    19. Dezember 2021

    Hinsichtlich der Symbole und des vorausgeschickten “scio” scheinen diese beiden Chiffren von derselben Machart und ähnlichen Inhalts zu sein, vielleicht für dieselbe Person bestimmt; sollten also gesondert betrachtet werden. Sollte da tatsächlich ein lateinisches Sätzlein folgen, wäre ein Akkusativ mit Infinitiv zu erwarten, “scio [Name] esse/habere”, so wie sie im Englischen, aber nicht im Deutschen überlebt haben: “I know soandso to be/have …”. Die nach oben geöffnete 8 am Ende beider Chiffren mag dasselbe Symbol sein. Also vielleicht der Name eines Garanten für die jeweilige Summe, der 1495 schon Fugger gewesen sein könnte, oder eine seiner Kreaturen. Da es um Geld geht, dürfte es mehr als nur zwei solcher ”scio”-Signaturen geben, die allein betrachtet natürlich nur wenig hergeben, es sei denn, der Brief/die Urkunde selbst kann noch ein bißchen Fleisch auf die Knochen werfen.

  10. #10 Lisa
    Wunderwelt
    14. Februar 2022
  11. #11 Claus
    Greifswald
    14. Februar 2022

    @Lisa
    Ich denke nicht.
    In dem von dir verlinkten Artikel scheint es um Maximilian II und Briefe von 1575 zu gehen.
    In diesem Blog hier geht es um seinen Urgroßvater Maximilian I und Briefe von ca 1495.