Zwei Wissenschaftler wollen die Identität des rätselhaften Somerton-Manns gelüftet haben, der 1948 in Adelaide tot aufgefunden wurde. Ist das Rätsel damit tatsächlich gelöst?
English version (translated with DeepL)
“Der Somerton-Mann wird exhumiert”, lautete vor über einem Jahr der Titel eines Artikels auf diesem Blog. Die damals angekündigte Exhumierung und DNA-Untersuchung sollte ein spektakuläres Rätsel lösen: Die Identität des 1948 tot aufgefundenen Mannes, der nach seinem Fundort am Somerton Beach in Adelaide (Australien) als “Somerton-Mann” bekannt ist, sollte geklärt werden.
Der Somerton-Mann
Für alle, die diese Geschichte noch nicht kennen: Der Somerton-Mann kam Ende November 1948 vermutlich mit dem Zug nach Adelaide und fuhr anschließend mit dem Bus vom Bahnhof zum Somerton Beach. Er war gut gekleidet, körperlich in guter Verfassung und dürfte Anfang 40 gewesen sein. Am Strand wurde er von mehreren Zeugen gesehen. Am 1. Dezember fand man seine Leiche im Sand.
Der Somerton-Mann starb vermutlich an einer Vergiftung oder an einem allergischen Schock. Ob es sich um Mord, Selbsttötung oder einen natürlichen Tod handelte, konnte nie ermittelt werden.
Der Somerton-Mann hatte offensichtlich versucht, seine Identität zu verschleiern. Er trug keine Ausweispapiere bei sich. Die Etiketten aus seiner Kleidung waren entfernt. In seinem Koffer fanden sich nur einige Alltagsgegenstände, die kaum Rückschlüsse auf seine Herkunft zuließen. Es gelang in den folgenden Jahrzehnten nicht herauszufinden, wer der Tote war.
Im Anzug des Toten stieß man auf ein Stück Papier mit der Aufschrift “Tamam Shud”, das aus dem Buch “The Rubaiyat of Omar Khayyam” von Edward FitzGerald herausgerissen war. Das zugehörige Buchexemplar fand sich in der Nähe. Darin waren folgende Buchstaben notiert (Tamam-Shud-Kryptogramm):
Das Tamam-Shud-Kryptogramm besteht vermutlich aus den Anfangsbuchstaben englischer Wörter. Diese könnten einen Text (ein Gedicht?) oder eine Liste von Begriffen bilden. Mehr ist darüber nicht bekannt.
Über den Somerton-Mann habe ich auf Cipherbrain schon öfters gebloggt. In Australien ist dieser Fall sehr bekannt. Es gibt ein Buch dazu (“The Unknown Man” von Gary Feltus), auf YouTube kann man Dokumentationen dazu anschauen. In meinem Buch “Nicht zu knacken” ist diesem Fall ein ganzes Kapitel gewidmet. Und natürlich wurden im Laufe der Jahrzehnte unzählige Theorien veröffentlicht, von denen sich jedoch keine beweisen ließ.
Letztes Jahr stimmten die Behörden in Australien einer Exhumierung des Unbekannten zu. Allerdings hat man seitdem nichts mehr davon gehört.
Hieß der Somerton-Mann Charles Webb?
Gestern wiesen mich Ralf Bülow, Georg Herrmann und Andreas Barchfeld auf neue Presseberichte über den Somerton-Man hin. In diesen hieß es: Die Identität des Toten stehe nach einer DNA-Analyse jetzt fest. Ich dachte zuerst, dass die Untersuchungen an der exhumierten Leiche nun endlich ein Ergebnis hervorgebracht hatten, doch darum ging es nicht.
Vielmehr geht es in den diversen Artikeln um eine Untersuchung, die der australische Wissenschaftler Derek Abbott und die US-Forensikerin Colleen Fitzpatrick durchgeführt haben. Den beiden stand anscheinend ein Haar des Toten für eine DNA-Analyse zur Verfügung, deren Ergebnis sie mit den Einträgen von DNA-Datenbanken vergleichen konnten. Das Resultat: Der Somerton-Mann soll ein damals 43-jähriger Elektroingenieur namens Charles Webb bzw. Carl Webb gewesen sein.
Was ist davon zu halten? Zunächst einmal gehe ich als Laie davon aus, dass eine DNA-Analyse sehr zuverlässig ist. Außerdem sind Abbott und Fitzpatrick Fachleute, die ich für kompetent und seriös halte. Ich nehme das Ergebnis ihrer Forschung daher ernst, auch wenn noch nicht alle meine Zweifel beseitigt sind.
Abbott und Fitzpatrick liefern noch ein paar zusätzliche Argumente dafür, dass sie richtig liegen. Anscheinend gibt es keine Quelle, die darauf hinweist, dass Webb nach 1948 noch gelebt hat. Insbesondere konnten die beiden keine Todesanzeige oder etwas Vergleichbares ermitteln. Dafür fanden sie einen nahen Verwandte von Webb, der Gerald Thomas Keane hieß. Dies könnte erklären, warum einige Kleidungsstücke des Toten mit der Aufschrift “T Kean[e]“ versehen waren. Bisher ging man davon aus, dass es sich dabei um Markierungen einer Wäscherei handelte, doch es könnte natürlich auch sein, dass ein früherer Besitzer diese Aufschriften angebracht hat.
Leider gibt es sonst bisher keine Ansatzpunkte, um zu prüfen, ob der Somerton-Mann tatsächlich mit Charles Webb identisch ist. Ein Foto von Webb wurde bisher nicht veröffentlicht. Allzu viele Details aus Webbs Biografie sind ebenfalls nicht bekannt. Die ungeklärte Todesursache wird wohl ohnehin vorerst ein Rätsel bleiben.
Und schließlich ist auch das aus meiner Sicht größte Rätsel in diesem Zusammenhang noch nicht geklärt: Wie kann es sein, dass eine Person, deren Porträt über Jahrzehnte hinweg durch die Presse geistert, von niemanden erkannt wird? Ich würde das noch halbwegs verstehen, wenn es sich um eine Person handelt, die vom anderen Ende der Welt stammt und die sich erst seit kurzer Zeit in Australien aufgehalten hat. Charles Webb aber war Australier – er stammte aus dem 700 Kilometer entfernten Melbourne. Warum fiel niemandem auf, dass er irgendwann verschwunden war und dass er dem Mann auf dem Foto ähnelte?
Sollte es sich beim Somerton-Mann tatsächlich um Charles Webb handeln, dann könnte dies neue Ansätze zur Lösung des Tamam-Shud-Kryptogramms liefern. Vielleicht hat er irgendwelche Aufzeichnungen hinterlassen, die Aufschluss geben. Ich bin jedenfalls gespannt.
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Further reading: Somerton-Mann: Warum erkannte niemand den unbekannten Toten?
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