Die verschlüsselte Postkarte von George Furlong aus dem Jahr 1873 hat mir schon einiges Kopfzerbrechen bereitet. Heute möchte ich eine bisher unbeachtete Hypothese dazu vorstellen.
English version (translated with DeepL)
Auf Cipherbrain habe ich in den letzten neun Jahren schon so manche verschlüsselte Postkarte vorgestellt. Meist war es nur eine Sache von Stunden, bevor meine Leser den Klartext ermitteln konnten.
Die Furlong-Postkarte
Es gibt jedoch eine große Ausnahme. Eine Karte, die der Fußballfunktionär George Furlong aus Luton in England im Jahr 1873 an seine Schwester schickte, hat bisher allen Dechiffrier-Versuchen widerstanden.
Eine Möglichkeit wäre, dass hier eine Kurzschrift verwendet wurde. Da es damals recht viele Kurzschriften gab, kommt es durchaus vor, dass man die eine oder andere davon heute nicht mehr kennt. Allerdings sehen die Buchstaben des verwendeten Alphabets nicht danach aus, dass sie auf schnelles Schreiben ausgerichtet wären.
Phonetische Schriften
Auf eine weitere mögliche Erklärung kam ich, als ich vor Kurzem zufällig von phonetischen Schriften las. Der Hintergrund ist, dass es im Englischen recht häufig vorkommt, dass ein Buchstabe oder eine Buchstabenkombination in verschiedenen Wörtern unterschiedlich ausgesprochen wird. Man denke etwa an “he goes” und “he does” oder an “lost” und “host” – um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Darüber hinaus werden im Englischen viele Buchstaben-Kombinationen wie ein einziger Laut ausgesprochen, etwa das “ph” in “physics” oder das “gh” in “enough”.
Diese Beobachtungen führten dazu, dass sich seit dem 18. Jahrhundert verschiedene Gelehrte daran machten, phonetische Schriften zu entwickeln. Eine solche kennt für jeden Laut einen eigenen Buchstaben und nur diesen. Auf diese Weise wird die Rechtschreibung vereinfacht, man kann die Aussprache eines Worts an der Schreibweise erkennen, und viele Wörter werden kürzer.
Die meisten Beispiele für phonetische Schriften, die ich gefunden habe, wurden für die englische Sprache geschaffen. Es gibt allerdings auch andere. Eine frühe phonetische Schrift entwickelte etwa der US-Pfarrer Jonathan Fisher (1768-1847). Leider weiß ich nicht, wie diese aussieht.
Die wohl bekannteste phonetische Schrift ist das Deseret-Alphabet. Dieses wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von Mormonen in Utah entwickelt. Hier ist ein Textauszug:
Eine weitere phonetische Schrift ist Quikscript. Diese wurde von Ronald Kingsley Read Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt.
Das Unifon-Alphabet ist eine phonetische Schrift, die in den 1950er Jahren von dem Chicagoer Wirtschaftswissenschaftler John R. Malone erfunden wurde. Sie sieht wie folgt aus:
Das Shaw-Alphabet, ein weiteres Beispiel aus dem 20. Jahrhundert, ist hier zu sehen:
Das Ewellsche Alphabet wurde 1980 von Doug Ewell entwickelt und führt zu folgendem Schriftbild:
Passt das zur Furlong-Postkarte?
Als ich mir die diversen Wikipedia-Einträge zu den genannten Schriften durchlas, dachte ich immer wieder an die Furlong-Postkarte. Ist es möglich, dass diese mit einer phonetischen Schrift verfasst wurde? Gewisse Ähnlichkeiten sind nicht zu übersehen. Mit jeder neuen phonetischen Schrift, die ich mir anschaute, hoffte ich auf den Heureka-Moment – leider kam er nicht.
Dies liegt natürlich auch daran, dass die meisten der oben genannten phonetischen Schriften aus dem 20. Jahrhundert stammen und daher für eine Postkarte von 1873 nicht infrage kommen. Dennoch waren solche Schriften zu Furlongs Zeiten bereits bekannt. Einige Argumente sprechen dafür, dass wir es hier mit einer zu tun haben:
- Die Größe des Alphabets würde zu einer phonetischen Schrift passen.
- Der flüssige Schreibstil könnte darauf zurückzuführen sein, dass Furlong diese Schrift irgendwo gelernt hat und häufiger verwendete. Das wäre bei einer phonetischen Schrift sicherlich denkbar.
- Die übereinander stehenden Buchstaben könnten darauf zurückzuführen sein, dass Furlong sich bei der Schreibweise einiger Wörter nicht sicher war und Korrekturen vornahm, indem er zusätzliche Zeichen einbrachte. Auch das passt zu einer phonetischen Schrift, denn bei einer solchen ist die Schreibweise oft nicht eindeutig, wobei man tendenziell wohl eher zu wenige als zu viele Zeichen zur Buchstabierung eines Worts verwendet. Einige Zeichen könnten Akzente sein.
Die wichtigste Frage ist nun natürlich, ob es zur fraglichen Zeit eine phonetische Schrift gab, die zur Furlong-Postkarte passt. Kann ein Leser etwas dazu sagen? Vielleicht lässt sich dieses ungewöhnliche Kryptogramm nach all den Jahren endlich lösen.
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Further reading: Fünf kryptologische “Cold Cases”
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