Ein wirksamer Schutz wird immer wieder durch die Forderung nach mehr und belastbaren Daten behindert. Besonders unrühmlich hat sich dabei das deutsche Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hervorgetan:

Hier die wichtigsten Schein-Argumente des BMEL gegen einen effektiven Schutz der Ostsee-Schweinswale und die Widerlegungen von Ida Carlen et al (die auf Dutzenden wissenschaftlicher Studien dazu beruhen):

1. BMEL: „Die Schweinswale in der zentralen Ostsee sind gar keine eigene Population“

Carlen, et al: Doch, natürlich!
Sie sind genetisch, morphologisch und durch zeitlich-räumliche Aufenthaltsgebiete klar getrennte Fortpflanzungsgemeinschaften.
Auch wenn sich die Aufenthaltsareale der Baltic Proper- und Kattegatt/Belt-Tiere im Winter teilweise überschneiden: Zur Paarung und Geburt im Frühling und Sommer sind sie dann klar getrennt. Die Tiere der westlichen und zentralen Ostsee könnten sich also gar nicht paaren.

2. BMEL: „Der Schutz des Ostsee-Schweinswals würde das Ende der traditionellen Fischerei mit kleinen Booten und Stellnetzen bedeuten.“

Carlen, et al: Nein. Aber es wird Zeit, endlich anderer Fischereitechniken zu entwickeln. Die bisherigen Stellnetze sind eine Bedrohung für viele Arten wie Meeressäuger (Wale und Robben) und Seevögel. Daher müssen wir alternative Fangmethoden entwickeln und einsetzen, die Beifang vermeiden. Außerdem sollten, wo es sinnvoll erscheint, ADDs (Acoustic Deterrent Devices – Akustische Vergrämer, “Pinger”)  eingesetzt werden, wie es u. a. auch ICES (2020) empfiehlt.
Allerdings  muss sichergestellt werden, dass diese auch wirklich funktionieren – das ist bisher nicht überall geschehen.

3.       BMEL: Ein flächendeckender Einsatz von ADDs (Acoustic Deterrent Devices – Akustische Vergrämer, “Pinger”) würde einen großen Teil des Lebensraums der Schweinswale beschallen und Störungen und Verhaltensreaktionen hervorrufen, die negative Auswirkungen auf die Population haben könnten.
Carlén et al: ADDs könnten Schweinswale stören und die Futtersuche, Aufzucht– und Paarungsverhalten unterbrechen oder sogar verhindern. Weitere Untersuchungen der vorhandenen Pinger (PAL) sind dringend erforderlich, um diese Wechselwirkung noch besser zu verstehen. Sofern wir nicht bereit sind, die Stellnetzfischerei vollständig einzustellen und keine Beifang-vermeidenden Fangtechniken zum Einsatz kommen, werden wir nur die Wahl zwischen tödlichen Beifängen und Vergrämung haben – ob per ADDs oder anderen Methoden.

(Anmerkung: Das Thünen-Institut für Ostsee-Forschung hat einige vielversprechende Ansätze für neue, Beifang vermeidende Fangtechniken entwickelt – STELLA – für deren Erprobung müssten allerdings wesentlich mehr finanzielle Unterstützung bereitgestellt werden. Für die Funktionsfähigkeit der PAL-Pinger liegen bisher nur Resultate des Herstellers vor – unabhängige wissenschaftliche Studien wären dringend nötig  – Meertext)

4.       BMEL: „Die Populationsgröße in der Ostsee hat im letzten Jahrzehnt zugenommen – es gibt mehr Schweinswale in der Ostsee“

Carlen et al: Darauf gibt es keine Hinweise! Für die Zentrale Ostsee liegen nur die Daten aus dem SAMBAH-Projekt vor: ca 300 Tiere (SAMBAH, 2016). Damit ist dieser winzige Bestand akut bedroht (Evans, 2020). Es gibt keine zweite Zählung, darum kann man auch keinen Trend ableiten.

Auf vereinten Druck von NGOs ist in Deutschland endlich Bewegung in die Sache gekommen, BUND, NABU, WWF u. a. Naturschutzverbände hatten im Januar 2018 eine umfangreiche Stellungnahme zu den unzureichenden deutschen Meeresschutzgebieten und dem mangelhaften Schweinswalschutz an die Bundesregierung gesendet.

Ein Hoffnungsschimmer ist, dass die jüngsten Empfehlungen der IWC (International Whaling Commission) (s. o.) und des Internationalen Rates für die Erforschung der Meere (ICES) eine neue wissenschaftliche Grundlage für Erhaltungsmaßnahmen zur Bekämpfung des Beifangs der Fischerei in der Schweinswalpopulation der Ostsee bilden.

Sonderfall Grönland

International ist Walfang in den meisten Staaten heute verpönt und oftmals durch nationales Recht verboten – wie in der EU. Dennoch werden Schweinswale in Westgrönland ohne Quoten oder Schonzeiten gejagt.
Grönland gehört zwar zu Dänemark, hat aber einen Sonderstatus

Per Referendum haben sich die Grönländer 1982 gegen einen Verbleib in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entschieden und ihren EG-Austritt beschlossen – am 1. Januar 1985 Inkrafttreten trat der Grönland-Vertrags in Kraft. Grönland genießt in der EU allerdings weiterhin den zollrechtlichen Status eines „assoziierten überseeischen Landes“

1 / 2 / 3 / 4 / 5

Kommentare (3)

  1. #1 libertador
    11. Februar 2021

    “Infrastruktur-Bau und -Betrieb (Windfarmen)”

    Gibt es da Untersuchungen dazu? Insbesondere was den Lärm im Betrieb angeht, fände ich es interessant wie groß die Lärmeintrage sind.

  2. #2 Bettina Wurche
    11. Februar 2021

    @libertador: Der Bau von Windfarmen mit den Ramm-Arbeiten muss mittlerweile in der Nordsee mit Blasenschleiern abgemildert werden, das schein zu funktionieren. Die Windfarm-Betreiber haben das zumindest teilweise auch freiwillig für die Ostsee übernommen.
    Dazu gibt es einen ganzen Stapel Literatur, das Ergebnis war dieses Gutachten:
    https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/meeresundkuestenschutz/Dokumente/Noise-mitigation-for-the-construction-of-increasingly-large-offshore-wind-turbines.pdf
    und das Schallschutz-Konzept des BfN:
    https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/awz/Dokumente/schallschutzkonzept_BMU.pdf
    (Da ist jeweils viel Literatur zitiert. Allerdings hatte Frau Hendricks es für die Ostsee ebenfalls noch verabschieden wollen, dazu kam es leider nicht mehr)

    Im laufenden Betrieb fallen keine Rammarbeiten an, darum gibt es dazu keine Regelungen.
    Bislang herrschte dazu die Meinung, dass der laufende Betrieb für die Kleinwale kein Problem sei:
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5677494/

    Die Windfarmen selbst und die Turbinen-Geräusche scheinen auch kein Problem zu sein:
    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19507958/

    Letztes Jahr habe ich bei Recherchen und im Gespräch mit einer Schweinswal-Forscher-Gruppe allerdings erfahren, dass es zumindest aus der Schleswig-Holsteinischen Nordsee jetzt doch Probleme gibt:
    Die Wale verschwinden gerade aus deutschen Gewässern:
    http://docs.dpaq.de/17231-fmars-07-606609.pdf
    Gleichzeitig berichteten diese Walforscher, dass es zumindest in/um einige/n Nordsee-Windfarben eine sehr hohe Lärm-Belastung (Zitat: “Höllenlärm”) gibt, vor allem durch Versorgungsschiffe. Diese Beobachtungen sind bis jetzt persönliche Kommunikation und noch nicht publiziert. Für belastbare Daten müssten jetzt Hydrophonketten aufgebaut u ausgewertet werden, dafür gibt es zurzeit noch keine Mittel. Die Publikation dürfte also noch etwas auf sich warten lassen.
    Es wäre jedenfalls eine plausible Erklärung, warum die Schweinswale jetzt ihr eigentliches Kern-Areal verlassen.
    Ich hoffe sehr, dass es bald Projektmittel und dann auch publizierte Daten gibt.

    Da Schweinswale Schiffsrouten meiden, halte ich diese Aussage für belastbar.

  3. […] Schweinswal: Schutzgebiete in Nord- und Ostsee bieten zu wenig Walschutz! […]