Bernd Brunners kulturgeschichtliche Betrachtungen von Naturgeschichte(n) lese ich immer gern. Und für Obst habe ich wirklich eine große Schwäche. Zu gern streife ich selbst sammelnd und naschend umher, die aromatischen reifen Früchte ziehen mich magisch an. Als gebürtige Hamburgerin bin ich mit der norddeutschen Obstvielfalt aufgewachsen, mit den apfellastigen Paradiesen des Alten Lands und der Vierlande. Einer meiner besten Kindheitsfreunde war der Boskopbaum im Garten meiner Großeltern. Das war noch ein richtiger grüner saurer Boskop, der erst nach einiger Zeit mürbe und weniger sauer werden musste. Als Geopark Ranger in Hessen lernte ich dann die Streuobstwiesen kennen und wohne heute nur einen Apfelwurf von der Streuobstwiese entfernt. Dort treffe ich auf wärmeliebenderere Nutzpflanzen als in Norddeutschland, wie Wein, Maronen und Walnüsse und auf andere Apfelsorten. Auf Reisen erkunde ich gern zuerst das Obstangebot: In Valencia hatte mich ein vollreifer Zimtapfel in Entzücken versetzt und bei Freunden in Kalifornien konnte ich es nicht fassen, dass die Straße von Granatäpfeln gesäumt war, die außer den Vögeln niemand erntete. Bis ich kam, sah und sammelte.
Darum war für mich Bernd Brunners neues Buch “Von der Kunst die Früchte zu zähmen – Eine Kulturgeschichte des Obstgartens“ ein absolutes Must-read.
Obst-Archäologie
In der Vorzeit, so erzählt er uns, sammelten Jäger und Sammler garantiert auch Früchte, die als Wildformen natürlich selten auch nur annähernd die Süße, Saftigkeit und Größe der heutigen Zuchtformen hatten. Die neolithische Revolution, der Übergang von Jägern und Sammlern zu ortsfest niedergelassenen Bauern, ist in erster Linie mit dem Anbau von nährstoffreichem Getreide verbunden, dass mit seinem hohen Energiegehalt viele Menschen ernähren konnte. Heute wird es fast weltweit zu Brot verbacken und zu Bier gebraut.
Haben die meisten ArchäologInnen bisher angenommen, dass der Obstanbau erst etwa 5000 Jahre alt ist, haben israelische Archäobotaniker im Jordantal einige kleine Feigen gefunden, die sie als die ältesten Kulturfeigen einordneten: Sie sind über 11.000 Jahre alt! Damit sind sie älter als die bisher bekannten Nachweise für Getreide, Wein und Gerste, die als Grundlage der niedergelassenen Menschen Zivilisation galten.
Herrlich illustriert mit vielen historischen Zeichnungen und Gemälden, die Früchte zum Anbeißen köstlich drapiert zeigen oder auch das Miteinander von Menschen und Früchten in historischen Gärten abbildend, ist das Buch nicht nur Lese-, sondern auch Augenschmaus. Wüsten-Oasen voller Früchte, Obstgärten zur Zierde und Versorgung von Hofgesellschaften und Klöstern bis zu mittsommerlichen schwedischen Streuobstidyllen von Carl Larsson laden ein zu einer Zeitreise des Miteinanders von Menschen und Früchten.
Die Kultivierung von Früchten ist also vermutlich über 11.000 Jahre alt, der Ursprung vieler Zuchtformen von Getreide, Wein und anderen immer noch wichtigen Kulturpflanzen dürfte im Zweistromland und im östlichen Mittelmeer liegen. Exotischere Früchte stammen aus Südamerika, Afrika und Asien.
Der Weinanbau soll in Ägypten begonnen haben, dort sind auch die ersten Zier- und Obstgärten belegt. Plakativ auf Wände aufgemalt und im trockenen Wüstenklima bis heute gut erhalten, geben Sie uns einen Einblick in die schwere Arbeit der Gärtner: die Bewässerung der Früchte und der Schutz reifen Früchte gegen Tiere wie Stare oder Paviane.
Bemerkenswert, dass offenbar das Starproblem schon so alt ist – auch auf unserer Streuobstwiese beäuge nicht nur ich die zunehmenden Scharen der frechen Stare mit großer Sorge, schließlich sind sie bis heute berüchtigte Kirschdiebe.
Äpfel!
Ein ganzes Kapitel ist meiner Lieblingsfrucht gewidmet: Dem Apfel. Einige 4500 Jahre alte gedörrte Wildäpfel in Siedlungen an Schweizer Seen und im Grab der mesopotamischen Königin Puabi aus Ur geben Aufschluss über die Herkunft der paradiesischen Frucht: Wildäpfel sind überall in der Nordhemisphäre vorhanden. Allerdings sind die kleinen Holzäpfel (Malus sylvestris) nicht die Vorfahren unserer heutigen Tafeläpfel!
Diese Kulturäpfel stammen wahrscheinlich aus Wildäpfeln im zentralasiatischen Raum, ihr Urahne ist wohl Malus siversii, die ersten Kulturäpfel sind Malus pumila (Danke für die Richtigstellung – @thomas) (Diese asiatischen Wildäpfel stehen heute auf der “Roten Liste”, da die Apfelwälder in Kasachstan weitgehend abheholzt sind). Die Täler des Tian Shan-Hochgebirges zwischen Westchina und Usbekistan bieten eine besonders heterogene Landschaft mit wilden Äpfeln, Birnen, Quitten, Walnüssen, Aprikosen, Kirschen, Pflaumen, Haselnüssen, Mandeln und noch viel mehr, also allem, was heute unsere Gärten und Obststände in Europa so ziert. In dieser abgelegenen Gegend haben Forscher die größte Vielfalt dieser Früchte gefunden und vermuten darum dort ihren Ursprung. Die Verbreitung der ersten verfeinerten Äpfel ist wahrscheinlich durch reitende Nomadenvölker und entlang der Seidenstraße durch Händler geschehen.
1404 erblickte und beschrieb ein Spanier als erster europäischer Reisender einen solchen parkartigen Obstgarten, dessen Mauern eine Vielzahl von Obstbäumen schützte. Allerdings keine Zitrusfrüchte, wie er verwundert bemerkte.
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