Die Zitronen der Dichter
Das Kapitel über die Zitruspflanzen ist untrennbar mit Goethes Italienischer Reise und seinem Gedicht „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen“ verknüpft. Kaum jemand, der heute im Supermarkt die Massenware Orange, Clementine und Zitrone in den Einkaufskorb legt, hat eine Ahnung von der Vielfalt dieser Früchte. Die meisten Deutschen dürften niemals eine der riesigen Zedrat-Zitronen in der Hand gehabt haben. Ich selbst habe diese Früchte erst vor zwei Jahren kennengelernt, als ich ein altmodisches Zitronenmarmeladen-Rezept nachkochte. Die Zubereitung von eineinhalb Litern dieser Marmelade dauert etwa drei Stunden und ergibt eine absolut göttliche Speise in einer verlockenden Bernstein Farbe, der Duft erfüllt das ganze Haus.
Der Ursprung der Zitruspflanzen liegt weit östlich. So schrieb vor 1200 Jahren der chinesische Lyriker Du Fu: „An diesem Herbsttag duften die Tausend Orangenbäume rund um den Landpavillon“. Zitronen werden heute überall in tropischen und subtropischen Gegenden angebaut, immer wieder kommen neue Züchtungen gerade aus Asien auch in unsere Supermärkte.
Dabei ist interessant, dass ausgerechnet von den heute als Frucht und Saft so weit verbreiteten Orangen, die ja auch früh in Italien und Spanien kultiviert wurden, lange Zeit keine Wildpopulation gefunden wurde. Eine Hypothese meinte, das Orangen aus einer Kreuzung von Mandarinen und Pampelmusen hervorgegangen seien (Mit Mandarinen sind übrigens nicht die geschmacksarmen, leicht zu pellenden Clementinen gemeint, sondern die wesentlich aromatischeren echten Mandarinen). Erst in jüngerer Zeit wird der Orangen-Ursprung in den östlichen und südöstlichen Ausläufern des Himalayas vermutet, in Tälern mit starker Sonneneinstrahlung und geringen Regenfällen mit hoher Luftfeuchtigkeit. Frost mögen sie nicht, dafür wachsen sie auch auf armen Böden.
Die golden leuchtenden Orangen, die teilweise bizarr geformten Zedrat-Zitronen und andere Zitrusfrüchte in ihren außergewöhnlichen Farben, Formen und Düften sind seit der Antike immer wieder in die Bildende Kunst und Dichtung mit eingeflossen, so waren die goldenen „Äpfel“ der Hesperiden ganz sicher Zitrusfrüchte, vermutlich Orangen.
Obst in der Kunst
Die starken Düfte der Obst-Arten haben schon immer an unsere Sinne appelliert: Ihre Farben, Formen und Düfte sprachen nicht nur Natur-IllustratorInnen, sondern auch bildende KünstlerInnen immer wieder an. Dass zumindest einige Früchte auch Metaphern für sündhafte Verlockungen und Erotik sind, dürfte das noch unterstützt haben. Viele Künstler hatten ihre eigenen Obstgärten mit Glashäusern und Frühbeeten, wie etwa die Renoirs. So versorgten sie sich damit nicht nur den ganzen Winter über mit Blumen und Gemüsen, sondern malten diese auch. Dem französischen Impressionisten Renoir standen die Mädchen und Frauen, die die Oliven ernteten, manchmal Modell. Im Impressionismus stellen viele Gemälde den Obstgarten als Symbol für den Rückzug zum ländlichen Leben und als Ort zum Ausruhen dar. Gleichzeitig sind Früchte seit Jahrhunderten Zutaten für Stillleben, sowohl aufgrund ihrer Ästhetik als auch als Symbol der Vergänglichkeit. Auch in die Dichtung fanden Früchte und ihr Einfluss auf unsere Gefühle ihren Platz, etwa im Werk der englischen Dichterin Emily Dickinson, die Brunner als eine begeisterte Gärtnerin mit soliden botanischen Kenntnissen beschreibt. Dickinson dichtete unter anderem, dass sie am Sonntag ihren Obstgarten der Kirche vorzieht: „Den Sonntag feiert man mit Kirchgang, ich feiere ihn, daheim, ein Starling ist der Sängerknab, ein Obsthain ist der Dom“.
In unserer Zeit waren viele Obstsorten nur noch auf ihre Lager- und Transportfähigkeit sowie süße und Gleichförmigkeit hin gezüchtet worden, dadurch sind viele alte Sorten mit besonders gutem Geschmack und großer Bedeutung für die Biodiversität heute ausgestorben. Erst in jüngerer Zeit kümmern sich wieder Communities und NaturschützerInnen oft gemeinsam um alte Obstgärten wie Streuobstwiesen und hüten dort auch alte Sorten. Glücklicherweise wird in Sortenbanken das Saatgut historischer Formen aufbewahrt und oft angepflanzt. Seit einigen Jahren fordern auch Konsumenten wieder mehr Geschmack und Vielfalt bei Äpfeln, Tomaten und Kartoffeln, so dass nun auch alte Sorten meist im kleinen Umfang und regional etwa auf Bauernmärkten oder in Hofläden gut vermarktet werden können. So bewahrt etwa die im Südosten Englands gelegene Brokedale Farm heute 2200 Apfelsorten, 550 Birnen, 285 Kirsch, 337 Pflaumen, 19 Quitten, 42 Nuss vor allem Haselnuss sowie vier Mispelsorten auf. Da würde ich mich zu gern einmal hindurchprobieren!
Außerdem sind die Experten dieser Farm Ansprechpartner für professionelle Obstgärtner im ganzen Land und präsentieren auf Obstwettbewerben mit Verkostungen die alten Früchte.
Das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet Europas ist, so Brunner, das Alte Land (und die Vierlande) bei Hamburg mit seinen über 10.000 Hektar die zu 3/4 von Apfelbäumen bestanden sind. Seit Jahrhunderten versorgt dieses Apfelanbaugebiet südwestlich von Hamburg am niedersächsischen südlichen Elbufer Bürger der Freien und Hansestadt Hamburg, früher stakten die Apfelbauern auf Lastkähnen über Kanäle (Fleete) auf die städtischen Märkte, heute kommen sie per LKW. Äpfel und Knupperkirschen aus dem Alten Land sind das Obst meiner Kindheit und nehmen in meinem Herzen immer noch einen besonderen Platz ein!
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