In den letzten Tagen haben wir erfahren, dass es wahrscheinlich ist, dass Menschen in meinem Alter viele Lebensjahre durch SARS-CoV-2 verlieren können[Hanlon et al., 2020] (Diese Simulationsstudie bezieht sich auf Daten, die in Italien erhoben wurden.). Wir erfahren, dass Kinder möglicherweise, aufgrund unbekannter Ursachen, schwer erkranken können – möglicherweise verbunden mit einer SARS-CoV-2-Infektion. Wir erfahren außerdem, dass Kinder, obschon selten getestet, weil selten Symptome zeigend, doch Virusträger wie wir Erwachsenen sein können[Jones et al., 2020] — ob sie allerdings genauso starke “Verbreiter” wie wir Erwachsenen ist unklar.
Von Anfang an waren Experten der WHO und die Wissenschaftler hierzulande vorsichtig. Die Politik musste reagieren, hat dies ebenso vorsichtig und besonnen getan und gerät mittlerweile immer stärker von Politikern der zweiten Reihe, üblichen Vertretern der Trutherszene, aber auch Medizinern und Wissenschaftlern mit Hand zu Vertretern der Verschwörungsszene immer lauter werdend angegriffen. Die Kakophonie der Experten wird lauter und lauter, vor lauter selbsternannten Epidemiologen kann kaum wer mehr die Übersicht behalten.
Mein Artikel über Herrn Bhakdis erste Äußerungen wird, angefeuert durch mehr und mehr Videos und Einlassungen seinerseits, immer noch häufig gesucht und aufgesucht. Ich befürchte dieser Artikel wird den Hoffnungen Klarheit zu gewinnen nicht gerecht. Doch der Umstand, dass er häufig gesucht wird, lässt mich noch einmal zu dem Thema schreiben, obwohl ich wissenschaftlich wenig beitragen kann. Aber ich merke auch, dass in meinem Umfeld die Kritik an den Maßnahmen der Politik immer lauter wird (hier geht es zu dem im Link genannten offenen Brief, falls jemand unterzeichnen mag – ich bin es nämlich auch leid, dass mir Zensur vorgeworfen wird, mir liegt nämlich im Gegenteil sehr viel an freier Meinungsäußerung. Und wenn jemand eine Petition oder offenen Brief zeichnen mag, deren/dessen Intention ich nicht teile: Bitte sehr!). Oh, auch mir gehen die Folgen der Kontaktbeschränkungen ziemlich auf den Keks und ich befürchte – wie manche Kritiker der Kontaktbeschränkungen – extreme Folgen in Wirtschaft und Gesundheit (auch mental) von uns Betroffenen. Und die Notwendigkeit mehr und bessere Daten zu gewinnen (mein schon teils überholter Beitrag hat diesbezüglich) an Aktualität nichts verloren. Dies beides zu schreiben scheint mir Pflicht, um manchen Kommentatoren den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Inzwischen ahnen wir, dass die Exzessmortalität / Übersterblichkeit durchaus durch “Corona” steigen kann, in Europa (Link zum selber Stöbern) und anderswo (selber suchen). Möglicherweise auch Deutschland (Link zum Selberdenken). Hierzulande kann man noch (Stand: 1. Mai 2020) zu Trend und Ursachen wenig sagen. Auch international ist Vieles über den Aspekt der Übersterblichkeit hinaus wissenschaftlich unklar.
Möglicherweise hat uns der lockdown vor Schlimmeren bewahrt. In Anbetracht dessen, das aber harte Daten nur langsam gewonnen werden können – diesen Artikel versuche ich kurz zu halten, ich hoffe jemand weiß noch was oben geschrieben und belegt war; die Kommentare zum letzten Artikel lassen vermuten, dass er z. T. nicht gelesen wurde – werden doch immer wieder von verschiedenen Protagonisten Rosinen gepickt (ein Beispiel gibt es nebenan; schön, dass ich mich nicht alleine echauffiere).
Nun gut, dass die “üblichen Verdächtigen” (Verschwörophile, rechtslastig Artikulierende, etc.) ihr Politik- und Wissenschaftsbashing stets fortsetzen werden und jedwede Krise ein gefundenes Fressen ist … das überrascht nicht. Da ist es erfrischend selbstkritische und selbsteinschränkende Kollegen zu hören (Beispiel). Auch das RKI informiert bisher vorsichtig zu “Corona” und nimmt Korrekturen an seinen Empfehlungen vor. Aber allen Verwirrten und noch nicht Verschlossenen möchte ich mitgeben:
- Gute WissenschaftlerInnen formulieren Vermutungen und grenzen diese von ihren Befunden und diese von ihren Schlussfolgerungen ab. Anderes Aussageverhalten ist unwissenschaftlich. Dabei ist unerheblich wie sehr einen irgendwelche Aussagen emotional berühren. (Mich irritiert, dass Kollegen ihre wissenschaftliche Autorität in die Wagschale werfen, wo sie keine Expertise besitzen.) Nochmal deutlich: Emotionen sind unerheblich für die Schlussfolgerungen, welche man in guter Wissenschaft ziehen kann.
- Streit gehört zur Wissenschaft dazu. Das heißt nicht, dass Wissenschaft beliebig ist und man nicht auf sie hören sollte.
- Politik sollte auf Wissenschaftler hören und die ExpertInnen einbeziehen, die wissen wo ihre Expertise endet (das scheint hierzulande zu funktionieren). Politik muss aber mehr. Sie muss Entscheidungen treffen und als Grundlage hierzu dient mehr als “nur” Wissenschaft.
Zuvorderst hatte Politik die Aufgabe Schlimmeres (lies: die Überlastung des Gesundheitssystems) zu verhindern. Hierzu Mai Thi Nguyen-Kim am 2. April 2020 – also zu einer Phase in der die Politik schon zu einschränkenden Maßnahmen gegriffen hat (greifen musste, weil Apelle nicht fruchteten) – in einem leicht verständlichen Video:
Jetzt erst befinden wir uns in einer Phase, in der das wissenschaftliche Bild langsam klarer wird. Das geht nicht schnell und wird auch nicht auf einen Schlag alle Fragen beantworten (s.o.). Und ist doch rasend schnell für uns Beobachter. In Anbetracht hiervon …
… Entwarnung zu geben ist — auch wenn ich seiner Emotionalität und mancher fachlichen Aussage durchaus etwas abgewinnen kann — von Herrn Bhakdi unwissenschaftlich! Was ich in der Bildunterschrift nämlich noch unerwähnt lies: Der gelb hinterlegte Bereich, ist der, der korrigiert ist für verzögertes Eintreffen von Daten. Wissenschaftlich lauter wäre es zu sagen: “Ich glaube und hoffe, dass alles gut wird und die Maßnahmen überflüssig waren”. Vielleicht funktioniert “flatten the curve” hierzulande bislang schlicht? Geben wir Wissenschaft und Politik noch etwas Zeit, auch wenn es schwer fällt.
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