Ein paar Gedanken …

Schon im März warnte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus vor einer “Infodemie”:

“We’re not just fighting an epidemic; we’re fighting an infodemic”

Mediziner, die sich “für Gesundheit” auf die Fahne schreiben …

Und während viele sich fragen, wie es unseren Nachbarn geht und es um die Situation des Gesundheitssystem in Inland bestellt ist, haben die selbsternannten Verteidiger von Wissenschaft, Freiheit und Demokratie von Anfang eine Verschwörung der Politik gegen das Volk bemerkt und damit gezeigt wessen Geistes Kind sie sind. Zu den Gründungsmythen zählt folgerichtig die “Inszenierung der Pandemie” durch “den Staat”:

Und ich dann sehr schnell gemerkt, dass da eine Ähnlichkeit ist mit der schon 2009 inszenierten Schweinegrippenpandemie …

In einem neuen Video aus einer “Zwangsquarantäne” meldet sich Gründungsmitglied Dr. Ronald Weikl des aus vielen wissenschaftlichen Laien (hier und hier) zusammengesetzten Vereins zu Wort mit einer bemerkenswerten Aussage: Er meint sich, wie alle willigen Attestbescheiniger des Vereins, an ärztlichen Bestimmungen zu halten, wenn auf Bitten von Coronaskeptikern Atteste zur Bestätigung keine Maske tragen zu können ausgestellt werden. Und weiter sagt er:

Trotzdem werden unsere Atteste immer wieder angezweifelt … Und das ist im Grunde genommen nicht statthaft. Die Patientinnen und Patienten, die von uns Atteste müssen sich oft einem wahren Spiessrutenlauf aussetzen …

Neiiin! Selbstverständlich sind Zweifel an derartigen Attesten nicht angebracht, wenn schon vorab verkündet wird, dass man gegen Masken Sturm laufen wird und im Internet einen Aufruf an Ärzte tätigt, die derartige Atteste ausstellen. Wie kann man da nur einen Zweifel am Attest und Lauterkeit der damit wedelnden Mitbürger haben? (Persönlich tun mir diejenigen leid, die darunter zu leiden haben, weil sie wirklich auch ohne Masken Schwierigkeiten haben Luft zu bekommen und sich nun immer wieder erklären müssen – falls sie überhaupt noch unter Leute gehen). Folgerichtig ist es, bei den querdenkenden Medizinern und Heilberufenden nun auch Anwälte mit ins Boot zu nehmen (Link unter dem verlinkten Video – noch bessere Aufmerksamkeit, mag ich durch diesen Blog nicht geben), die dem Attest in eine andere Form des Persilscheins wandeln — kostet dann nochmal 25 € (für einen Standardbrief??).

… treffen Anwälte für Aufklärung …

Oder mit anderen Worten: Es gibt da einen Verein von Anwälten, also Menschen mit juristischer Expertise, die gemeinsam mit den schwurbelden Medizinern gegen die Maskenpflicht, die sich ebenso unter dem Dach des MWGFD finden, Druck gegen alle ausüben wollen, die sich und andere zu schützen beabsichtigen. Seltsame Vorstellung von “Freiheit und Demokratie” ist das schon. Die Aussage ist ja: Meine Freiheit soll nicht da aufhören müssen, wo Deine Unversehrtheit beginnt!

Was wäre eigentlich die juristische Beurteilung bei einer bewusst in Kauf genommenen Ansteckung(skette) mit Folgen? Gemeinschaftliche Körperverletzung? Beihilfe zur Körperverletzung? In Anbetracht der möglichen Spätfolgen (Einschätzung des RKI mit einer vorsichtigen Wahl wissenschaftlicher Referenzen)  kann da auch noch “schwer”, “grobfahrlässig” und im Extrem “mit Todesfolge” hinzukommen. Aber ich bin kein Jurist. Über eine juristische Bewertung würde ich mich freuen, wichtiger finde ich aber einen anderen Aspekt:

Da sind Menschen, die sich die Verteidigung von Freiheit und Demokratie auf die Fahnen schreiben und offen dazu aufrufen, Recht und Gesetz zu dehnen und zu hintertreiben. Wer 100%ig zufrieden mit dem Krisenmanagement der Länder und des Bundes ist, melde sich bitte. Ich bin es nicht: Die Situation der Solo-Selbstständigen und Künstler macht mir Sorgen. Die soziale Abfederung der “Anti-Coronamaßnahmen” insgesamt ist mit heißer Nadel gestrickt und wie so oft in Fällen der Not lassen Nachbesserungen auf sich warten und brauchen Verwaltungen Zeit bis sie Hilfen weitergeben können. Etcetera.

Doch wenn mich als Bürger etwas an diesem Staat und seiner Gesellschaft aufregt, habe ich ein Bündel von Rechten: Äußerung meiner Meinung in Wort, Schrift und Video. Demonstrationen und Klagen sind ebenfalls im Portfolio. Anrufen der eigenen Abgeordneten, Engagement in Parteien, usw. usw.. Wer diese Wege erschöpft sieht und dennoch der Auffassung ist, die eigene Meinung über das Rechst stellen zu müssen kann weiterhin gewaltlos das Recht beugen (Beispiel).

Das verlangt sehr spezifische Aktionen, die nicht den Rechtsstaat als Ganzes infrage stellen, wie es Protagonisten des MWGFD, von Querdenkern & Co. (wobei die verschiedenen Gruppen auch große Überlappungen zeigen) zu tun scheinen. Denn hier wird im Grunde gesagt: “Wir stellen nicht nur die Expertise derjenigen in Frage, die wirklich arbeiten (während wir Cargo-Kult-Politik betreiben)” — wobei natürlich die Überzeugung herrscht, auf der richtigen Seite zu stehen und da ist die Ausdrucksweise selbstverständlich eine andere.

… die auch wissenschaftliche Erkenntnisse infrage stellen

Interessant ist denn auch, dass die Anwälte in ihren offenen Briefen Dinge wie

Die Behauptung einer „Epidemie“ ergibt sich jedenfalls nicht aus …

schreiben. Also geht es auch ihnen von vornherein nicht um “Feststellungen” oder andere neutrale Ausdrücke, die man sachlich diskutieren mag. Nein, Ausgangspunkt ist “die Behauptung” (begleitet von allfälligen Feststellungen berufener Superstatistiker, die hier auf Scienceblogs häufig Thema waren). Das ist nichts Neues und wer erwartet schon originelle oder gar gute Argumente? Doch beziehen sich auf diese und andere Einlassungen sehr viele Menschen ohne zu bemerken, dass bereits die Prämisse diffamierend ist.

Und ewig grüßt das Murmeltier!

Hieraus resultiert immer wieder die Frage wie damit umzugehen ist: Diskutieren und dagegen v/bloggen? Oder links liegen lassen? Das ist in der Tat ein Thema, dass Wissenschaftskommunikation bereits seit ihren Anfängen begleitet – schon bevor man das Wort kannte.

Der “Corona-Diskurs” hat sich 2020 nicht nur für “verschwörungsaffine” Menschen weg von etablierten Zeitungen und öffentlich rechtlichem Rundfunk hin zu Videokanälen, insb. Youtube, verlagert. Und seitdem Youtube immer mehr der sektiererischen Videos löscht (u. a. hat Youtube sogar entschieden, sich von Herrn Bhakdi nicht mehr auf der Nase tanzen zu lassen:

This account has been terminated for violating YouTube’s Community Guidelines.

), verlagert sich die Blase weiter zu Telegram (keine Links oder Kanaladressen an dieser Stelle).

Leider ist die Erzählung “Ich weiß alles besser! Alle verschwören sich gegen mich und niemand Offizielles hört mich an, meine Videos werden gelöscht. Das ist Beleg dafür, dass ich Recht habe!” Da ist die Accountlöschung natürlich Wasser auf den Mühlen der Verschwörungsgläubigen.

Der Notwendigkeit aufzuklären kommen Presse, Rundfunkanstalten und Andere längst nach (und auch hier auf Scienceblogs wurde mitgemischt). Doch die Auswirkungen der “Infodemie” werden Jahre wirken …

Nachtrag: Anderswo, bin gerade darauf aufmerksam gemacht worden, veröffentlichen Leute rund um die “Corona-Ausschuss”-Protagonistin Frau Kämmerer, auf einer Homepage (also wieder außerhalb der üblichen wissenschaftlichen Plattformen) eine Kritik an der SARS-CoV-2-PCR-Diagnostik. Wir kennen dieses Verhalten aus der Esoterikkritik: Immer wieder werden neue Kanäle aufgemacht und teils sogar geschaffen und sich darüber echauffiert, dass die wissenschaftliche Community zu borniert ist, diese Wissenschaftskritik aufzunehmen. Behauptungen kommen schneller, als irgendwer debunken kann. Mal schauen, was es hierzu geben wird …

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Kommentare (7)

  1. #1 rolak
    2. Dezember 2020

    Orac macht mit seinem aktuellen Text aus diesem Paar einen flotten (wenn auch nicht gänzlich disjunkten) Dreier: Casedemic.

  2. #3 rolak
    2. Dezember 2020

    bei fefe

    Da gehen mir drei Dinge durch den Kopf:
     • wie mag der rC3/37C3 wohl werden?
     • wie mag diese erschröckliche Litanei wohl angemessen vertont klingen?
     • wieso Bingo? Da macht man doch ne Karte und fiebert dann jeder möglichen Auskreuzung mehr oder weniger lange entgegen. Beim Thema Corona wäre dagegen jede nur vorstellbare Bingokarte aufgrund des verschärft grassierenden Blödsinns bereits bei der Drucklegung formal komplett durchgekreuzt…

  3. #4 Christoph Ertel
    Ahlen
    2. Dezember 2020

    Sie haben ja so recht! Sie können so schön alles erklären. Fragt Sie eigentlich keiner, wie man die anstehenden Probleme flugs lösen könnte. Herabsetzender Adjektivismus bietet sich als neuer Wissenschaftszweig an.

    • #5 Christian Meesters
      3. Dezember 2020

      Sie dürfen gerne alles kritisieren und Frust ablassen. Aber fortan werde ich Ihre Angriffe einfach löschen. Sie können das besser: Sachlicher und pointierter. Oder?

  4. #6 herb
    Heidelberg
    6. Dezember 2020

    In diesen Zeit bin ich zunehmend entsetzt darüber wie insbesondere Menschen mit einem akademischen Titel plötzlich Fakten ignorieren und sich ein sinnfreies Verschwörungsmärchen zusammenbasteln. Es wird höchste Zeit, dass sich die Plagiatsjäger mal um deren Doktorarbeiten kümmern.

    • #7 Christian Meesters
      6. Dezember 2020

      Das Entsetzen wird auch bei mir stärker und stärker. Doch ich denke nicht, dass Plagiatsvermutungen irgendwie weiterbringen:

      • die Leute haben zu Zeiten promoviert, wo die Digitalisierung in den Anfängen steckte – die Arbeiten sind rel. schwer zu erhalten
      • wer heute glaubt auf Seiten der Lauterkeit zu stehen, hat auch damals mit geringer Wahrscheinlichkeit Dreck am Stecken
      • Medizinische Dissertationen, die 30 Jahre und älter sind, sind nicht selten das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind – die Analyse würde wenig bringen
      • Verschwörungsgläubige liessen sich durch derartige Recherchen, wenn erfolgreich, nicht vom Glauben abbringen. Da ist eine Reaktion des Establishments eher bestärkend.

      ABER: die Idee hat einen so guten Kern – das muss ich unbedingt mal in einem anderen Beitrag aufgreifen!