Während sich unbedarfte Beobachter fragen, ob unsere Regierungen doch auf die “Strategie” der Herdenimmunität setzen (Öffnung der Schulen mit nachgelagerter Vielleichtteststrategie; Kommunen, die dem Tübinger Modell folgen wollen / sollen und dabei erst mal beim Gesundheitsamt fragen müssen, ob es denn die SORMAS-Software einsetzt, während die Gesundheitsämter z. Zt. alle Hände voll zu tun haben, Nachverfolgbarkeit in das diffuse Infektionsgeschehen zu bringen; ein locker leichtes Modellsaarland), geht die Desinformationskampange der Nichtfachleute des MWGFD und anderer Nichtdenker munter weiter.
Ein aktuelles Beispiel ist das durch die Republik diffundierende Flugblatt des MWGFD, herausgegeben durch die “Freiheitsboten“, mit dem schönen Titel “Kliniksterben trotz Pandemie?” Die Medien haben darüber berichtet und auch wer hier liest hat dieses Flugblatt und die Kommentare darüber vielleicht schon gelesen. Warum schreibe ich dennoch darüber, wo doch nach dem satirischen Negativpreis für Herrn Bhakdi hier im Blog über die dümmlichen Auslassungen von ihm und anderen geschwiegen wird? Weil ich im schönen Ingelheim wohne und vielleicht noch beitragen kann, was hier die Spatzen von den Dächern pfeifen.
Worum geht es?
Letztes Jahr schlossen in Deutschland zahlreiche Krankenhäuser. Das medizinische Personal wurde in Kurzarbeit geschickt oder gar entlassen. Auch eine in Ingelheim eröffnete Corona-Spezialklinik stellte ihre Tätigkeit Ende 2020 ein und entließ alle 190 Beschäftigten. Warum finden diese Klinikschließungen in einer Pandemie statt? Die Antwort ist einfach: Die verbliebene Bettenkapazität war zu jeder Zeit ausreichend.
So der Flyer. Klinikschliessungen sind hierzulande nichts Neues und doch stieg in den letzten Jahren die Zahl der Intensivbetten. Man bietet eine eigene Erklärung:
Warum finden Klinikschliessungen mitten in der Pandemie statt?
Die Antwort ist einfach: Die verbliebende Bettenkapazität war zu jedem Zeitpunkt ausreichend. Es gab zwar immer wieder böse Spekulationen über drohende Engpässe oder gar eine “Triage”, doch bewahrheiteten sich solche Panikmeldungen nie. Die neu erbaute Corona-Klinik in Berlin steht leer. Kein Wunder, Deutschland hat eine der höchsten Intensivkapazitäten der Welt.
Ei nun, der erste Satz ist wahr – hierzulande. Bei unseren Nachbarn sah es schon anders aus. Verschwiegen wird hier nonchalant auch, dass um Kapazitäten frei zu halten Operationen verschoben wurden. Und “Panikmeldungen”? Ist vorsichtiges Handeln und Transparenz darüber eine “Panikmeldung”? Sicher bei denen, die “Corona” für einen “Fehlalarm halten”.
Es folgt das Argument zu den Intensivbetten:
Das sogenannte DIVI-Intensivbettenregister, das die Belegung der deutschen Intensivstationen registriert, zeigte während des ganzen Jahres 2020 eine ungefähr konstante Bettenbelegung, die nur an Wochenenden und um Weihnachten schwankte. Seit dem Jahreswechsel ist sogar die orange hervorgehobene Anzahl der Testpostiven rückläufig.
Na ja, erstens schwankte die Zahl der COVID19-Fälle, zeitversetzt zu den Infektionswellen (was der Flyer verschweigt). Und zweitens steigen die Zahlen der intensivmedizinisch behandelten COVID19-Fälle wieder an:
Man könnte auch erwähnen, dass die Situation schon eine Weile angespannt ist,
aber man möchte nicht kleinlich sein. Das übliche nölige Geschwurbel zu Symptomen, Ansteckung und Schwere der Krankheit ersparen wir uns an dieser Stelle – das wurde in diesem Blog schon ein paar Mal aufgegriffen.
Wie war das noch gleich mit der Corona-Spezialklinik in Ingelheim?
Kurz, die gab es nie. Es gab die Idee, eine solche einzurichten. Es gab einen solchen Plan, der wird im Flyer als Fakt zitiert. Und es gab den Stempel, der sich in der Folge durch Presseartikel zieht. Die Allgemeinen Zeitung aus Mainz stellte jedoch unlängst klar (Artikellink hinter Paywall):
Die Umsetzung (des Spezialklinikplans) blieb dann allerdings in einem frühen Stadium stecken. … Zwar wurden bis zuletzt vereinzelte Corona-Patienten auf einer isolierten Station behandelt und es war auch zusätzliche Ausstattung zur Intensivversorgung angeschafft worden, darunter Beatmungsgeräte. Doch angeschlossen und eingesetzt wurden die Apparate nie, wie der jetzige Insolvenzverwalter Mark Boddenberg von der Kanzlei Eckert berichtet. Von einer vollwertigen „Corona-Spezialklinik“ in Ingelheim konnte demnach zu keinem Zeitpunkt die Rede sein.
Richtig ist jedoch, dass die Klinik geschlossen wurde. Das Haus hat jedoch eine lange Vorgeschichte der Probleme. Kurz zusammengefasst:
- 2017 übernimmt die Mainzer Unimedizin das defizitäre Haus vom Gesundheitskonzern Agaplesion. Damals schon war klar, das das Gebäude “modernisierungsbedürftig” ist, wie die zitierte SWR-Chronik sagt. Insbesondere in puncto Brandschutz und Hygiene gab es Nachbesserungsbedarf.
- 2019 stößt die Mainzer Unimedizin das Krankenhaus ab, die Gesellschaft CCare übernimmt mit großen Plänen. Das Haus kommt dennoch nicht aus den roten Zahlen.
- im Mai 2020 übernimmt die Stadt das Krankenhaus in einem Anflug kommunalen Größenwahns und aus dem Wunsch heraus nicht ausgerechnet jetzt das einzige Krankenhaus der Stadt zu schliessen
- bereits im Dezember 2020 erfolgt das endgültige Haus, die Stadt zieht sich zurück (Änderung durch den Blogschreiber):
Ausschlaggebend sei die Erkenntnis gewesen, dass die notwendigen städtischen Zuschüsse für den Weiterbetrieb deutlich höher ausfallen würden als im Frühjahr
errechneterträumt, so Oberbürgermeister Claus. Nach Angaben der Stadt hat die Trägergesellschaft “Krankenhaus Ingelheim GmbH” deshalb Insolvenz beantragt.
Jahrelang verschleppte Investitionen, zu geringe Belegung, ein schlechtes Häuptlinge- zu Indianerverhältnis und weiteres Missmanagement waren ausschlaggebend. Die Pandemie hat nichts mit der Schließung des Krankenhauses zu Ingelheim am Rhein zu tun. Kommunale Wunschträume das Krankenhaus zu erhalten und neue Bedeutung als “Corona-Spezialklinik” einzuhauchen , die mangels einschlägigem COVID-Behandlungsbedarf geschlossen wurde (wie “Freiheitsbotenflyer” suggeriert) ist vielleicht eine Faktenverdrehung, zumindest hat man nicht recherchiert, was man nicht recherchieren wollte.
Mittlerweile ist auch wenig mehr zu erwarten. Den Weg der wissenschaftlichen Integrität haben die Vertreter des MWGFD längst verlassen. Erinnert sich jemand an die bhakdische Prophezeihung nicht mehr als 30 Tote pro Tag seien zu erwarten? Wäre nicht hier und zu anderen Behauptungen ein “Ich habe mich geirrt.” fällig? Man könnte ja sogar manche “Coronastatistik” sinnvoll diskutieren, zum Beispiel die Frage nach der Dunkelziffer und ihrer Bedeutung, die nach der Überschätzung der Coronapatienten (schließlich werden alle Patienten, auch Beinbrüche auf SARS-CoV-2 getestet). Man könnte versuchen auf Basis der eigenen wissenschaftlichen Erfahrung, sich einarbeiten und Expertise einbringen. Kann man vielleicht auch nicht. Will man ganz bestimmt nicht. Als Hobby-Experte gegen das Establishment zu stänkern garantiert die größere Aufmerksamkeit.
In Erinnerung bleibt
Die Informationen hat unser Verein auf Basis wissenschaftlicher Literatur zusammengestellt.
Es ist das immer gleiche Spiel der willkürlichen Informationswahl und tendenziöser Interpretation. Gerne – wie hier wieder einmal belegt – werden Fakten so verdreht, dass sie das eigene Argument stützen. Wie öde. Auch die suggestive Sprache verstellt nur den Blick auf das Argument. (Suggestion geht auch in einem Blogartikel wie diesem. Ist jemandem das “?” im Titel aufgefallen? Nein, eine Lüge kann ich nicht nachweisen. Nur vermuten. Aber einmal möchte ich das Spiel auch spielen.)
Politik sollte auf bessere Experten hören, selber denken und sich nicht von selbsternannten Quer-Denkern ins Bockshorn jagen lassen.
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