Dass sich Ökonomie und Soziales nicht immer harmonisch zusammenfügen, ist kein Geheimnis. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen Ökonomie und Sozialmedizin – Sozialmedizin hier sehr weit verstanden als Gesamtheit der gesellschaftlichen Aspekte der Gesundheit, von der gesundheitsgerechten Gestaltung der Arbeit über Aufklärungskampagnen bis zur Organisation der sozialen Sicherungssysteme. Wissenschaftlich wird darüber in ganz verschiedenen Zusammenhängen diskutiert, u.a. in den einschlägigen Fachgesellschaften. Nächste Woche beginnt in Essen die diesjährige Jahrestagung einer solchen Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention.

Das Leitthema der Tagung lautet: „Gesundheitsökonomie versus Sozialmedizin“ – ohne Fragezeichen am Ende. Das Fragezeichen kommt erst im Untertitel: “Wie viel Ökonomisierung verträgt ein solidarisches Gesundheitssystem?” Auf der Tagung werden Sigrid Stöckel von der Medizinischen Hochschule Hannover, Gabriele Moser von der Universität Heidelberg und ich einen medizinhistorischen Workshop dazu moderieren. Der Dortmunder Sozialhistoriker Eckart Reidegeld wird den historischen Einführungsvortrag halten und der Berliner Gesundheitsökonom Hartmut Reiners die Situation aus aktueller Perspektive kommentieren.

Aus historischer Sicht ist es nämlich gar nicht so selbstverständlich, dass Sozialmedizin und Ökonomie so konträr zueinander ins Verhältnis zu setzen sind, wie wir das heute meist ganz spontan annehmen. An der Wiege der Sozialmedizin im 18. Jahrhundert standen vielmehr selbst ökonomische Motive. Die Sozialmedizin entwickelte sich, als die Fürsten den Wert einer gesunden Bevölkerung für die Machtentfaltung ihrer Länder entdeckten. Große Sozialmediziner wie Johann Peter Frank oder Max von Pettenkofer haben immer auch ökonomisch argumentiert. Die hygienische Stadtsanierung war für Pettenkofer nicht zuletzt ein volkswirtschaftliches Gebot. Sozialmedizinisches Handeln galt als ökonomisch vorteilhaft. Umgekehrt wurde vom „ökonomisch Vorteilhaften“ aus aber im 20. Jahrhundert auch die Ausgrenzung der Schwachen begründet. Der Psychiater Alfred Hoche und der Jurist Karl Binding argumentierten in ihrem Buch “Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens” im Jahr 1920 über weite Strecken ökonomisch: Man könne es sich nicht mehr leisten, die “Ballastexistenzen” durchzufüttern, die Kosten seien zu hoch. Die ökonomische Relevanz der Sozialmedizin markiert also zugleich ihre Anschlussfähigkeit für antihumanistische Positionen bis hin zur Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. Das „Ökonomische“ vertritt hier bestimmte Gruppeninteressen gegen das Individuum – wobei die Gruppeninteressen im Gewande des Allgemeininteresses auftreten: „Wir“ können „uns“ die Versorgung der Schwachen nicht mehr leisten, heißt es dann. Zumindest die Schwachen sind mit diesem „wir“ wohl nicht gemeint.

Und heute? Verbirgt sich in den utilitaristischen Abwägungen der Gesundheitsökonomie nicht auch die Gefahr einer Überwältigung des Individuums durch kollektive Interessen, und auch hier: durch die Interessen bestimmter Gruppen? In aller Munde sind die angebliche “Kostenexplosion im Gesundheitswesen” oder die “Ausgabenkatastrophe durch die Alterung der Gesellschaft”. Die Frage danach, ob “wir” uns die Versorgung der kranken Alten noch leisten können, liegt sie nicht nahe? Im Februar 2012 hat die Rating-Agentur Standard & Poor´s folglich auch davor gewarnt, wenn die Gesundheitsausgaben in den Industrieländern weiter so anstiegen, würde kein Land mehr eine Triple-A-Bewertung bekommen: Verlust der Kreditwürdigkeit im Falle sozialmedizinischer Verantwortung sozusagen. Wir hatten dies auch schon hier auf Gesundheits-Check diskutiert.

Ist mit dieser Gegenüberstellung das Verhältnis zwischen Sozialmedizin und Ökonomie auf den Begriff gebracht? Oder ist das eine Sichtweise, die durch das Tragen einer Scheuklappe bedingt ist? Müsste man, in Wiederaufnahme der Anfänge der Sozialmedizin, nicht stärker auch danach fragen, welchen Nutzen sozialmedizinisches Engagement mit sich bringt, welche Art von Ökonomie die volkswirtschaftlichen Effekte sozialmedizinischen Engagements angemessen bewertet und was das für die Anwendung ökonomischer Kalküle im Gesundheitswesen bedeutet? Es scheint, als ob es historisch eine Blickverschiebung gegeben hätte, von Fragen nach der gesellschaftlichen Produktion und der gesellschaftlichen Produktivität der Gesundheit hin zur Frage, wie die Kosten in der Krankenversorgung aufzubringen und zu verteilen sind.

Wer sich das Programm der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention einmal ansehen will, kann es hier tun: https://www.dgsmp.de/index.php/jahrestagung/essen-2012. Ich bin gespannt, was dort an Ideen und Diskussionen zum Zusammenhang von sozialmedizinischem und ökonomischem Denken kommt – und ob sich auch ein paar Leute für die medizinhistorische Entwicklung dieser Fragestellung interessieren, die im Mittelpunkt unseres Workshops steht.

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Kommentare (24)

  1. #1 Dr. Webbaer
    Erde
    7. September 2012

    Auf den ersten Blick erkennbar:
    Eine Gesundheitsökonomie muss “soziale Medizin” sein.

    Eine Gerechtigkeit oder “Gerechtigkeit” oder vielleicht besser “Richtigkeit” das Sollen betreffend, muss ökonomisch [1] machbar sein.

    MFG
    Dr. Webbaer (der froh ist nicht in jenen Runden diskutieren zu müssen, der aber dringend anrät eine garantierte Grundversorgung durchzudenken und durchzusetzen – die ja nach dem Re-Launch der Währungssysteme ohnehin kommen wird)

    [1] ‘Ökonomie’ oder ‘Wirtschaft’ , blöde Wörter und dem frühen Gewerbe geschuldet, man meint aber meist das gesamtheitliche kooperative Handeln, gerne auch auf dem Austausch von Gegenständen oder Versprechungen basierend, denen Wert zugemessen werden

  2. #2 BreitSide
    7. September 2012

    Volkswirtschaftlich lohnen sich Gesundheitsanstrengungen immer. Das Geld, das die Einen als Ausgabe sehen und gerne behalten würden, bekommen die Anderen als Lohn.

    Insoweit ist die Gesundheits- (und Pflege-) Branche ein Jobmotor.

  3. #3 Sven Türpe
    https://erichsieht.wordpress.com
    7. September 2012

    Die Kommunisten haben das Soziale über das Ökonomische gestellt — bis ihre Staaten pleite waren und zusammenbrachen. Ökonomische Zusammenhänge zu ignorieren und sich eine heile Welt zu erträumen, funktioniert also schon mal nicht. Genauer gesagt funktioniert die rhetorische Konstruktion eines Scheingegensatzes zwischen sozial und öknomisch nicht. Nachhaltig sozial kann immer nur sein, was auch ökonomisch funktioniert. Selbstverständlich haben wir Kosten und Nutzen abzuwägen, weil die Sache sonst nicht funktioniert — und das ist gerade keine Frage des Ob, sondern des Wieviel wofür.

  4. #4 Joseph Kuhn
    8. September 2012

    @ Türpe: Haben die Kommunisten wirklich das “Soziale” über das “Ökonomische” gestellt, oder das Bürokratische über das Vernünftige, oder das Ideologische über das Naheliegende, oder …
    Man muss hier aufpassen, dass man nicht nur die Gedankenlosigkeiten reproduziert, mit denen in der Politik über dieses Thema gesprochen wird, d.h. dass man das “Soziale” nicht einfach mit der Umverteilung von Krankheitskosten und das “Ökonomische” mit dem dafür zur Verfügung gestellten Budget gleichsetzt. Daher habe ich ja auf die Altväter der Sozialmedizin hingewiesen. In Sätzen wie “Nachhaltig sozial kann immer nur sein, was auch ökonomisch funktioniert”, die uns aus der politischen Sprechblasenfabrikation so vertraut sind, kann man man “sozial” und “ökonomisch” genauso gut vertauschen, der Satz klingt dann so plausibel wie vorher.

  5. #5 Dr. Webbaer
    Erde
    8. September 2012

    Haben die Kommunisten wirklich das “Soziale” über das “Ökonomische” gestellt, oder das Bürokratische über das Vernünftige, oder das Ideologische über das Naheliegende, oder …
    Man muss hier aufpassen, dass man nicht nur die Gedankenlosigkeiten reproduziert (…)

    In der Tat muss man aufpassen: Die Sozialisten haben das Soziale [1] in der Vordergrund gestellt und ein diesbezügliches Lehrsystem, einen Ismus bereitgestellt, das sagt ja bereits der Begriff: ‘Sozial-Ismus’.Zurzeit gilt der Sozialismus als uncool, eben weil er zwangsläufig bürokratistisch wird und die Menschen demotiviert. Der Sozialismus ist aber naheliegend, auch daran erkennbar, dass heute so viele auf das unscharf definierte Soziale geil bleiben.MFGDr. Webbaer (der das grundsätzlich Verständige im Artikel wohl erkannt hat)[1] das Kollektivistische, im Gegensatz zum Individuellen, das K. ist immer noch beliebtPS: Die Vorschau ist auf der Strecke geblieben, die Textbox grausig, da bessert sich aber noch was, gell?!

  6. #6 Dr. Webbaer
    Erde
    8. September 2012

    So schaut’s besser aus:

    Haben die Kommunisten wirklich das “Soziale” über das “Ökonomische” gestellt, oder das Bürokratische über das Vernünftige, oder das Ideologische über das Naheliegende, oder …
    Man muss hier aufpassen, dass man nicht nur die Gedankenlosigkeiten reproduziert (…)

    In der Tat muss man aufpassen: Die Sozialisten haben das Soziale [1] in der Vordergrund gestellt und ein diesbezügliches Lehrsystem, einen Ismus bereitgestellt, das sagt ja bereits der Begriff: ‘Sozial-Ismus’. Zurzeit gilt der Sozialismus als uncool, eben weil er zwangsläufig bürokratistisch wird und die Menschen demotiviert. Der Sozialismus ist aber naheliegend, auch daran erkennbar, dass heute so viele auf das unscharf definierte Soziale geil bleiben.

    MFG Dr. Webbaer (der das grundsätzlich Verständige im Artikel wohl erkannt hat)

    [1] das Kollektivistische, im Gegensatz zum Individuellen, das K. ist immer noch beliebt

    PS: Die Vorschau ist auf der Strecke geblieben, die Textbox grausig, da bessert sich aber noch was, gell?!

  7. #7 Joseph Kuhn
    8. September 2012

    @ Dr. Webbär: Ob im real existierenden Sozialismus wirklich das “Soziale” im Vordergrund stand, wäre zu diskutieren. Dazu müsste man sich erst einmal darüber verständigen, was man darunter versteht. Ist “Einkommensgleichheit” gemeint, wird man sich wohl einigen können. Aber was ist das für ein Verständnis von “sozial”? Das ist (fast) so wie die Gleichsetzung von “freiheitlich” mit freier Fahrt auf der Autobahn. Anspruchsvollere Begriffe des Sozialen, die z.B. darauf abheben, gemeinsam ein Maximum an Entfaltungschancen zu verwirklichen, verlieren schnell ihre in politischen Debatten so sehr gewünschten Grenzen zum “Ökonomischen”. Ökonomisch zu handeln, ist ja eine Rationalitätsform, um “sozial” und nicht nach Robinsonscher Inselwirtschaft ein gutes Leben zu ermöglichen. Daher soll eine gute Ökonomie auch nicht ein Übermaß an Gesundheitsrisiken prodzuzieren, sonst wird sie in ihren Zielen selbstwidersprüchlich.

    Was vermisste WordPress-Funktionalitäten wie die Kommentarvorschau angeht: Das wird bei scienceblogs alles diskutiert, wie ich höre. Aber ich kann es auf meinem Blog alleine nicht einrichten.

  8. #8 Dr. Webbaer
    Erde
    8. September 2012

    Kleiner Test:
    One, two, one, two, testing, one, two…

  9. #9 Dr. Webbaer
    Erde
    8. September 2012

    Lieber Herr Kuhn, schon klar, die Umstellung macht keinen schlechten Eindruck und der Nutzer ist oft der Tester, np.

    Was ist ‘sozial’?

    A: Nun, sozial ist das Gemeinschaftliche, das Berücksichtigen des Anderen, des Gegner oder Partners, der Vertrag, der Sex und die Koexistenz.

    Erst einmal.

    Gemeint ist heutzutage aber eine Metaphorik, die der Schreiber dieser Zeilen so definieren möchte:
    ‘Sozial ist etwas genau dann, wenn ein bestimmter Grad an Umverteilung erreicht ist, der allgemein [1] oder mehrheitlich befriedigt; meist politisch.’ [2]

    Man könnte gut ohne dieser Metaphorik auskommen und offen diskutieren, wer wem wie viel anknapsen möchte.
    Das ginge auch, die üblichen politischen Meinungen: Sozialdemokratie, Union (“Angleichung der Vemögensverhältnisse” steht im Wahlprogramm) und die doitschen Parteiliberalen hätten hier keine Probleme.
    Und wenn, dann Probleme mit der Offenheit.

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1] also: ‘sozial’ – das Sozialparadoxon, nein, nur ein Spaß, hier war mit ‘sozial’ wieder die ursprüngliche Bedeutungsebene adressiert
    [2] also eher nüscht mit ‘Maximum an Entfaltungschancen’ oder allgemeiner Efolgsmaximierung

  10. #10 Joseph Kuhn
    9. September 2012

    @ Dr. Webbär: Bleibt man bei einem engeren Verständnis des “Sozialen” mit Blick auf Einkommensunterschiede, so ist die Position, die Richard Wilkinson und Kate Pickett in ihrem Buch “The Spirit Level” (dt. Übersetzung: Gleichheit ist Glück, Verlag Zweitausendeins, 2010) auch in der breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht haben, ganz interessant: Sie legen Daten vor, wonach einkommensgleichere Gesellschaften – ab einem bestimmten Wohlstandsniveau – gesündere Gesellschaften sind und auch die “Reichen” in einkommensgleicheren Gesellschaften gesünder seien. Allerdings hängt hier einiges an der Auswahl der untersuchten Länder und der Wohlstandsschwelle, Stichwort ehemalige Ostblock-Länder. Eine literaturgestützte Bewertung der Wilkinson/Pickett-These findet sich z.B. in diesem Report von Karen Rowlingson, der von der Rowntree Foundation herausgegeben wurde: https://www.jrf.org.uk/sites/files/jrf/inequality-income-social-problems-full.pdf. Karen Rowlingson sieht einige Evidenz für die Wilkonson-Pickett-These, aber auch viele offene Fragen.

  11. #11 Dr. Webbaer
    Erde
    9. September 2012

    ‘Gleichheit ist Glück’ – da scheint nicht so viel dran zu sein an dieser These, Dr. W kann hier aus Ostblockzeiten und aus Nach-Ostblockzeiten berichten: Weder die Zufriedenheit war da, noch die Gesundheit und das Vermögen. Sie kennen sicherlich die Lebenserwartung im Ostblock und in der Nachzeit.

    Richtig bleibt natürlich, dass Zufriedenheit ganz primär im Vergleich entsteht, dass Unzufriedenheit Kinderlosigkeit und kulturellen Rückbau bedingt und dass bspw. eine Euro-Umverteilungsunion nicht glücklich machen wird, nicht die Zahlenden, nicht die Empfänger.

    Q: Warum sind Doitsche unglücklich? A: Weil es mit dem Vergleich hapert, man ist doch grundsätzlich noch sehr regional oder provinziell aufgestellt und weiß die hervorragende Position der BRD nicht zu schätzen, mitursächlich hier anzunehmenderweise auch die Nachrichtenlage, die zu einem Großteil von der regionalen Sozialindustrie bestimmt scheint.

    MFG
    Dr. Webbaer (der nichts gegen andere Sichten hat, sich aber ganz bevorzugt erst bei Bedarf vom Offensichtlichen in die nähere Ideologisierung begibt – nichts gegen die von Ihnen verlinkten Arbeiten (die Sie gerne vorab auch politisch in Richtung Auftraggeber und Forschende/Meinende hätten aufschlüsseln können))

  12. #12 Dr. Webbaer
    Erde
    9. September 2012

    Nachtrag:
    ‘One of its central claims is that Wilkinson excludes certain countries from his data without justification, such as South Korea and the Czech Republic.’ (Quelle)

    Und ganz sicher nicht nur die CR…

  13. #13 michael
    9. September 2012

    @WB
    > Q: Warum sind Doitsche unglücklich?

    Wo leben die eigentlich ? Im Bärenwald ?

    Ausserdem, geh ich fehl in der Annahme, dass das Bärchen den von J.Kuhn verlinkten Artikel nicht gelesen hat ?

    > weiß die hervorragende Position der BRD nicht zu schätzen

    Bärensicht ? Nun ja, im Alter schränkt sich das Gesichtsfeld ein.

  14. #14 WolfgangM
    10. September 2012

    Aus ökonomischer Sicht ist es in die EU Verkehrslegistik eingegangen, dass man eine Massnahme zur Vermeidung eines Verkehrstoten setzen soll (= wird als sinnvoll erachtet) wenn die Kosten bis zu 1 Mio € liegen (one Mio € rule).

    Legt man diese Forderung auf vermeidbare Todesfälle im Gesundheitswesen um, so könnte dies noch viel teurer werden. Vergleichsweise “kostet” ein durch Impfung vermeidbarer Cervix Ca Todesfall lediglich 380.000 €

  15. #15 Wolf
    10. September 2012
  16. #16 threepoints...
    10. September 2012

    Teuer ist das Gesundheitssystem nur, weil man inzwischen durch Forschung daran sehr viel Diagnostizieren kann, aber davon sehr wenig effektiv therapieren. Verglichen mit Tieren ist der Mensch das kränkelnste Wesen auf der Erde – meine ich zu mutmaßen. Da gibt es sicher noch Möglichkeiten (die aber scheinbar nicht durchbrechen können).

    Diese Diskussion um Gesundheitskosten ist bedrohend. Gleichzeitig ergaben sich Tendenzen wie die Sterbehlfe (und der Diskussion darum), die darauf hindeuten, dass es zukünftig weniger Wert sein wird, ein Volk gesund zu erhalten. Ebenso gleichzeitig werden auch gesundheitsschädliche Bedingungen immer weniger vermieden.
    Insgesamt gehen hier wichtige und grundlegende Orientierungsrichtungen aus dem Blickfeld langsam verloren.

    Insbesondere ist ein mangelnder Preisverfall in der Medizin auch dafür verantwortlich, das Therapieleistungen nicht in ein evolutionär entwickelndes System übergehen, wie es etwa im Microprozessorbereich der Fall ist, wo Preisverfall die Tagesordnung ist (o.k., Extremfall). Das kann nur daran liegen, dass es mit der Heilung unseres tollen Gesundheitssystems leider nicht ganz ernst gemeint ist. Es bleibt auf einem frühen Stadium stecken. Und ist nicht wirklich hochmodern und Fortschrittlich. Dazu gab es in den letzten hundert Jahren keine nennenswerten Entdeckungen und Entwicklungen – ausser das gut ausgearbeitete System und ein paar Weiterentwicklungen.

    Es gibt also ein großes Angebot (an Krankheiten) zur Verfügung, aber kaum nennenswert erfolgreiche Therapien, die krankheiten wirklich heilen vermögen. Teuer also ist die künstliche (mindestens durch Unterlassung an Forschung) Aufrechterhaltung von chronischen verläufen.

    keine guten Aussichten für das oziale an der Medizin.

  17. #17 Wolf
    11. September 2012

    „Ich habe übrigens schon seit vielen Jahren das Paradoxon aufgestellt, dass die steigende Vervollkommnung der ärztlichen Kunst wohl dem Individuum zugute kommt, die menschliche Gesellschaft aber ruinieren muss.“ Theodor Billroth, Brief an J. Brahms (1892)

  18. #18 Wolf
    11. September 2012

    @threepoints:
    “[…]Dazu gab es in den letzten hundert Jahren keine nennenswerten Entdeckungen und Entwicklungen […]”

    Im Bereich der Medizin?
    Ich weiß ja nicht auf welchem Planeten du lebst, aber auf meinem gab es diverse Fortschritte im Bereich der Medizin. Und nein, das waren nicht nur einfache Weiterentwicklungen von irgendwas; und selbst so etwas ist ein Fortschritt. Beispiel Cholezystektomie: als ich im KH Bereich angefangen habe lag die Verweildauer bei gut 8-10 Tagen und die Leute hatten (meistens) einen Bauchschnitt in auffälliger Größe. Heute: Single Port [Zugang über Bauchnabel] 3 Tage. Hüft TEPs: Als ich anfing minimum 16 Tage, riesige OP Wunde am Bein. Heute: Minimalinvasiv, die Wunde ist im Vergleich zu früher winzig, Verweildauer ist auf 10 – 14 Tage gesunken. Von NOTES fange ich gar nicht erst an.
    Klar, nicht bei jedem möglich, dennoch machbar.

    “[…]Insbesondere ist ein mangelnder Preisverfall in der Medizin auch dafür verantwortlich[…]”
    Ist doch auch irgendwie logisch, oder? Neue Verfahren, neue Therapien sind erst einmal teuer. Sei es weil neue Geräte und/oder neue Medikamente benötigt werden. Das will alles irgendwie finanziert sein. Man sollte sich von dem glauben verabschieden Ärzte und Pflegekräfte würden nur von Luft, Liebe und Dankbarkeit leben.

    Für uns ist es heutzutage eigentlich selbstverständlich an jedem Feld-, Wald- und Wiesenkrankenhaus einen Linksherzkatheter bekommen zu können. Das sah vor 10 – 20 Jahren noch ganz anders aus. Von 1984 bis 2005 hat sich die Zahl der Eingriffe vervierzehnfacht. Jetzt kann man auf der einen Seite sagen “Viel zu viele” (Krankenkassen) auf der anderen aber auch “Dadurch wurde vielen Menschen das Leben gerettet” (Ärzte, Krankenhäuser, Angehörige, Betroffene). Die Frage ist jetzt: WAS wollen wir uns leisten? Wollen wir die Leute überleben lassen, oder wollen wir Geld einsparen? Wollen wir, dass die Leute sich im Krankenhaus soweit auskurieren, dass sie möglichst “gesund” entlassen werden, oder wollen wir (wie von den Krankenkassen gefordert) die Leute möglichst schnell aus den Krankenhäusern rausschmeißen (damit die KKN dann über die bösen Krankenhäuser berichten können, die Ihre Patienten ja blutig entlassen, und bei denen so viele Behandlungsfehler passieren)?
    [OT: was mich kollossal nervt, ist, das ich das Kommentarfenster nicht mehr vegrößern kann 🙁 ]

  19. #19 rolak
    11. September 2012

    /nicht mehr vegrößern/ Wieso, Wolf 10:48? Rechts unten hat es doch so ein gepunktetes Dreieck, über dem sich der Mauszeiger in einen Diagonal-Doppelpfeil verwandelt und ein Ziehen der Ecke erlaubt.
    /NOTES/ Wat et all jit^^ Kannte ich bisher nur von Lotus 😉

  20. #20 Wolf
    11. September 2012

    @rolak: So war es vorher. Nun gibt es das nicht mehr; Browser (IE 9) hat sich nicht geändert. Ich habe da nur die Scrollbalken. Lustig: Eben mal im Firefox geschaut, da ist diese Ecke vorhanden, dafür fehlen die Scrollbalken…

    NOTES ist schon sehr interessant. Hat aber wohl eher einen kosmetischen Hintergrund. (Ist bei uns im Haus aber auch nicht so wirklich verbreitet. Ich glaub unser Chefarzt der Allgemeinchirurgie hat das ein paar Mal gemacht, bin aber nicht so ganz sicher)

  21. #21 rolak
    11. September 2012

    Ah, eine dieser lästigen Inkompatibilitäten, von denen, wie es scheint, jeder browser die eine oder andere in petto hat.
    Da kann mensch mal sehen, wie unsinnig eine Aussage werden kann, wenn sie ausschließlich auf lokalen Begebenheiten fußt (ganz zu schweigen von subjektiven Eindrücken)… Scrollbalken gibt es beim FF nur einen, nämlich den für hoch/runter – und das auch nur dann, wenn er nötig ist.

    Oh ja, interessant ist NOTES in dieser mir neuen Bedeutung wirklich, habe eben auch einige Zeit im wiki und Umgebebung verbracht.

  22. #22 Dagda
    11. September 2012

    @ Wolf
    Die Diskussion um eine Übertherapie ist durchaus relevant, gerade auch bei Herzkathetheruntersuchungen.
    Aber ob diese sicherlich auch für Patienten schädliche Übertherapie jetzt unser Gesundheitssystem teuer macht wage ich mal zu bezweifeln, ich glaube, da ist einfach der Anteil den diese Kosten an den Gesamtkosten haben zu gering.

  23. #23 Wolf
    12. September 2012

    @Dagda:
    Man sollte nicht vergessen (wie es Krankenkassen gerne tun), das KEIN Ergebnis bei einer Untersuchung auch ein Ergebnis ist.

  24. #24 Dr. Webbaer
    Erde
    12. September 2012

    > Insbesondere ist ein mangelnder Preisverfall in der Medizin auch dafür verantwortlich, das Therapieleistungen nicht in ein evolutionär entwickelndes System übergehen, wie es etwa im Microprozessorbereich der Fall ist, wo Preisverfall die Tagesordnung ist (o.k., Extremfall).

    Interessanter Punkt. Ist das so beim Gesundheitssystem? Oder ist es vielleicht so, dass die zunehmenden Möglichkeiten die Gesundheitssysteme immer teurer machen? – Was dann ja nicht schlecht wäre.

    MFG
    Dr. Webbaer