Eine angebliche Voynich-Manuskript-Lösung jagt momentan die nächste. Die neueste stammt nicht etwa von einem Verschwörungstheoretiker, sondern von einem Linguisten und Voynich-Experten. Ist etwas dran?
Schon mindestens 30 Voynichologen haben behauptet, die Lösung des Voynich-Manuskripts gefunden zu haben. Den vorläufig letzten Lösungsvorschlag gab es im Januar, als zwei in der Voynich-Szene völlig unbekannte Wissenschaftler namens Tucker und Talbert behaupteten, die Azteken-Sprache Nahuatl im Manuskripttext identifiziert zu haben. Doch die Fachwelt war sich einig: alles nur Unsinn.
Eine weitere (vermeintliche) Lösung
Jetzt gibt es den nächsten Lösungsansatz für das Voynich-Manuskript. Interessant daran: Er stammt von einem anerkannten Wissenschaftler, der obendrein in der Voynich-Szene bekannt ist. Es handelt sich dabei um den britischen Linguisten Stephen Bax. Ich habe ihn vor zwei Jahren auf der “Voynich 100”-Konferenz getroffen und dabei auch fotografiert:
Bax behauptet, etwa zehn Wörter im Manuskript entschlüsseln zu können. Dabei handelt es sich um Bezeichnungen für Pflanzen und für Sterne, die nach Bax’ Meinung im Voynich-Manuskript abgebildet sind – beispielsweise Koriander und Centaurea (Flockenblume). Zu welcher Sprache die gefundenen Wörter gehören, kann Bax bisher nicht sagen – er hält eine Sprache aus dem Osten (z. B. Arabien oder Türkei) mit griechischen Einfluss für wahrscheinlich. Nachdem andere das Voynich-Manuskript den Azteken, den Chinesen oder gar Außerirdischen in die Schuhe schieben wollten, wirkt Bax’ Vorschlag reichlich unspektakulär. Man muss sich fragen, warum bisher niemand anderer auf diese Ideen gekommen ist.
Was die Präsentation seiner Forschungsergebnisse anbelangt, verfährt Bax nach dem Motto “nicht kleckern, sondern klotzen”. Es gibt einen 62-seitigen Forschungsaufsatz und natürlich eine Pressemitteilung. Demnächst wird Bax eine Vorlesung zu seiner Hypothese halten, und für Juni ist sogar eine Voynich Language Conference in London geplant. Außerdem gibt es ein Video (47 Minuten lang!):
Was ist dran an dieser Lösung?
Mein Spezialgebiet sind die statistischen Eigenschaften des Voynich-Manuskripts – schließlich bin ich Kryptologe. Da das Voynich-Manuskript ziemlich wirre statistische Eigenschaften hat, halte ich es nach wie vor für unwahrscheinlich, dass man den Text Buchstabe für Buchstabe in einen sinnvollen Klartext übertragen kann. Es gilt also, was schon bei der Azteken-Hypothese galt: Bax muss nachlegen. Wenn er es schafft, ganze Abschnitte des Voynich-Manuskripts plausibel zu übersetzen, dann hat er gewonnen. Bisher kann Bax aber nur 10 Wörter vorweisen.
Was sagen andere Experten?
René Zandbergen, Betreiber einer Web-Seite zum Thema und einer der bedeutendsten Voynich-Manuskript-Experten überhaupt, ist skeptisch bezüglich Bax’ Arbeit. Gegenüber Klausis Krypto Kolumne erklärte er: “Es reicht nicht aus, im Voynich-Manuskript ein paar Wörter zu finden, die sich vermeintlich identifizieren lassen. Das haben schon viele geschafft, ohne dass es zu etwas geführt hätte. Die statistischen Eigenschaften des Voynich-Manuskript-Texts machen es generell äußerst unwahrscheinlich, dass man den Text Wort für Wort in eine natürliche Sprache übersetzen kann. Noch will ich die Tür allerdings offen lassen und bin auf weitere Neuigkeiten gespannt.”
Auch Nick Pelling, Voynich-Manuskript-Experte und -Blogger aus London, ist noch nicht in Euphorie ausgebrochen. In seinem Blog erklärt er: “Obwohl ich ungern derjenige bin, der den Stecker aus der Musikanlage zieht, bevor die Party richtig losgeht, bin ich mir ziemlich sicher, dass jede einzelne von Bax’ Schlussfolgerungen auf einer langen Folge klar demonstrierbarer Fehler beruht.”
Von einem Durchbruch in der Voynich-Forschung kann also noch nicht die Rede sein. Warten wir ab, was Stephen Bax noch nachliefern kann.
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