Verschlüsselte Zeitungsannoncen waren im 19. Jahrhundert ein beliebtes Kommunikationsmittel. Es gab interessante Anwendungen dafür.

“KZDMVV – Xzoo uli z ovggi zg” konnte man am 26. Oktober 1854 in der Times lesen. Die unverständlichen Worte erschienen in einer Annonce, die offensichtlich nur Eingeweihte lesen sollten. Verschlüsselte Zeitungsanzeigen waren damals nichts Ungewöhnliches. Vor allem heimlich Verliebte nutzten diese Form des Kommunizierens. In der Times und anderen britischen Zeitungen fanden sich damals verschlüsselte Anzeigen zu Hunderten oder gar Tausenden.

Leider ist dieses Kapitel der Kryptologie-Geschichte bisher noch weitgehend unerforscht. Zwar gibt es ein paar Veröffentlichungen darüber (z. B. in David Kahns Buch The Codebreakers), doch diese beschränken sich meist auf ein paar Seiten. Das einzige mir bekannte Buch, das sich ausschließlich diesem Thema widmet, ist The Agony Column Codes & Ciphers von Jean Palmer (dahinter verbirgt sich der geniale britische Codeknacker Tony Gaffney, der sich schon öfters im Diskussionsforum dieses Blogs zu Wort gemeldet hat). Dieses Buch listet über 1.000 verschlüsselte Anzeigen aus dem England des 19. Jahrhunderts auf. Tony Gaffney wäre nicht Tony Gaffney, wenn er nicht viele davon schon gelöst hätte. Das folgende Beispiel aus der Times vom 1.11.1854 ist dagegen bisher nicht entschlüsselt (vielleicht schafft es ja ein Leser):

Times-1854-11-01

Transkription: QLB gl KVG vxireva zh ozhg glyvgz Oxhgivvg lm hregs – wrgvh o‘zwivhhv wvoz ovggiv jfr nzmjfv – hzb ruzoo rhirtsg mld -.

Gaffneys Buch ist zwar eine tolle Fundgrube, aber eben keine Analyse. Da es eine solche bisher anscheinend nicht gibt, klaffen in diesem Kapitel der Krypto-Geschichte große Wissenslücken. Mir ist beispielsweise nicht bekannt, wann genau verschlüsselte Anzeigen aufkamen und warum diese Praxis Ende des 19. Jahrhunderts aus der Mode kam. Ich weiß auch nicht, in welchen Ländern derartige Anzeigen verbreitet waren (in Deutschland vermutlich nicht, in Frankreich scheint es dieses Phänomen dagegen gegeben zu haben).

Und vor allem gibt es bisher nur wenige Erkenntnisse darüber, wer diese Art der Kommunikation zu welchem Zweck nutzte. Klar ist immerhin: Es waren nicht nur Verliebte. Ein Beispiel habe ich vor kurzem in Klausis Krypto Kolumne vorgestellt: Der Seefahrer Richard Collinson ließ sich während seiner Fahrt nach Alaska und Hong Kong über verschlüsselte Anzeigen in der Times über Neuigkeiten aus seiner Familie informieren. Das Kalkül: Die Times war damals auch in Amerika und Ostasien erhältlich, wodurch Collinson auf seiner Fahrt darauf hoffen konnte, ab und zu ein Exemplar zu ergattern.

Es gab zweifellos weitere Nutzer verschlüsselter Anzeigen. Geschäftsleute informierten ihre Investoren über den Stand der Geschäfte. Geschäftsreisende hielten sich gegenseitig auf dem Laufenden. Familienoberhäupter informierten ihre verstreut lebenden Verwandten über den neuesten Klatsch. Verschlüsselte Zeitungsanzeigen erfüllten also einen Zweck, für den man heute E-Mail oder das World Wide Web verwendet. Sie waren also quasi das Internet des 19. Jahrhunderts.

In Gaffneys Buch finden sich verschlüsselte Anzeigenserien, die sich teilweise über Monate oder Jahre hinzogen. Viele davon sind noch nicht entschlüsselt und ihr Zweck ist unklar. Im zweiten Teil dieses Artikels werde ich ein interessantes Beispiel vorstellen.

Zum Weiterlesen: Verschlüsselte Zeitungsanzeigen, Teil 2: Eine mysteriöse Anzeigenserie

Kommentare (11)

  1. #1 Jan
    13. November 2014

    QLB gl KVG
    joy to pet

    vxireva zh ozhg glyvgz Oxhgivvg lm hregs
    ecrivez as last tobeta lcstreet on sivth

    wrgvh o‘zwivhhv wvoz ovggiv jfr nzmjfv
    dites l’adresse dela lettre qui manque

    hzb ruzoo rhirtsg mld
    say ifall isrigt now

    Ist also ein Gemisch aus Englisch und Französisch.

    A=Z, bis Z=A

    • #2 Klaus Schmeh
      14. November 2014

      Super, ich werde gleich Tony Gaffney informieren.

  2. #3 Bernhard Gruber
    13. November 2014

    Wow!
    Gratuliere!

  3. #4 jj preston
    14. November 2014

    “Leider ist dieses Kapitel der Kryptologie-Geschichte bisher noch weitgehend erforscht.”

    Ich nehme an, es soll “UNerforscht” heißen. Oder steckt darin etwa auch was Kryptisches?

    • #5 Klaus Schmeh
      14. November 2014

      Nein, es ist nichts Kryptisches, einfach nur ein Fehler.

  4. #6 Draalo
    NRW
    14. November 2014

    “Leider ist dieses Kapitel der Kryptologie-Geschichte bisher noch weitgehend erforscht” müsste es nicht unerforscht heissen?

    Ansonsten: Interessanter Artikel 🙂

    • #7 Klaus Schmeh
      14. November 2014

      Stimmt, wird korrigiert.

  5. #8 Buch
    14. November 2014

    Leider ist dieses Kapitel der Kryptologie-Geschichte bisher noch weitgehend erforscht.
    Ist wirklich so gewollt?

  6. #10 Laconia
    19. November 2014

    Arthur Conan Doyle hat die “Seufzerspalten” nicht selten in seinen Holmes-Geschichten erwähnt.

  7. […] scienceblogs.de (Teil 1) / scienceblogs.de (Teil 2) […]