Derzeit wird intensiv darüber diskutiert, welche Aussagekraft die Inzidenz noch hat und wie künftig ein Indikatorenset aussehen kann, das für eine zeitnahe Steuerung von Infektionsschutzmaßnahmen geeignet ist. Bundesgesundheitsminister Spahn hat bereits angekündigt, dass die in § 28a IfSG vorgegebenen, allein an der Inzidenz festgemachten Auslöseschwellen für Infektionsschutzmaßnahmen fallen und stattdessen Hospitalisierungen in der einen oder anderen Weise eine größere Rolle spielen werden.
Ein wesentlicher Grund für diese Neuausrichtung sind die Impfungen. Sie haben das bisherige Verhältnis zwischen der Inzidenzrate und erwartbaren schweren Verläufen bzw. Sterbefällen erheblich verändert. Einerseits zieht z.B. eine Inzidenz von 100 nicht mehr so viele Krankenhausfälle oder Sterbefälle nach sich wie im letzten Jahr, als es noch keine Impfung gab. Andererseits muss man berücksichtigen, dass eine auf die Gesamtbevölkerung bezogene Inzidenzberechnung die Infektionsdynamik unter den Ungeimpften unterschätzt. Darauf haben vor ein paar Monaten Maren Dreier und Bernt-Peter Robra hier in einem Gastbeitrag hingewiesen.
In welchem Ausmaß das der Fall ist, kann man jetzt auch an den immer häufiger veröffentlichten getrennten Inzidenzen für Ungeimpfte und Geimpfte sehen. In Bayern beispielsweise ergibt sich auf der Basis der Infektionsmeldungen nach IfSG ein Ratenverhältnis zwischen Ungeimpften und Geimpften von ca. 10:1 (Datenstand 25.8.2021), wie eine Grafik des bayerischen Gesundheitsministeriums zeigt. Einen gewissen Einfluss mag dabei haben, dass sich Geimpfte seltener testen lassen, somit in dieser Gruppe etwas mehr Infektionen übersehen werden als bei den Ungeimpften, aber natürlich nicht um den Faktor 10.
Die Bundesregierung wird mit einer IfSG-Novellierung einen neuen Rahmen für Warnwerte vorgeben, die Länder werden ihn absehbar mit eigenen Akzentuierungen ausfüllen. Wie schon bisher geht es dabei um die Dimensionen Infektionsdynamik, Krankheitsschwere und Belastung des Gesundheitssystems. Darin kommen die wichtigsten kurzfristigen Perspektiven der Pandemiebekämpfung zum Ausdruck.
Aus den oben genannten Gründen bietet sich dazu künftig statt der Orientierung an der Inzidenz alleine ein mehrdimensionales Indikatorenset an – mit der Herausforderung, einen guten Kompromiss zwischen der validen Abbildung der drei Dimensionen einerseits und der verwaltungsorganisatorischen und kommunikativen Handhabbarkeit andererseits zu finden.
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