Derzeit wird in den Medien viel darüber geschrieben, wie absurd Putin die Tatsachen verdreht: In der Ukraine herrschen die Nazis, die Ukrainer sind keine Nation oder kein Volk, er führt keinen Krieg, wahlweise nur zur Verteidigung, für die Massaker an der Zivilbevölkerung in der Ukraine ist die Ukraine selbst verantwortlich, oder, alternativfaktisch, sie wurden vom britischen Geheimdienst inszeniert, und natürlich hat die Ukraine an Massenvernichtungswaffen gearbeitet, diese Referenz auf die erfundene Begründung der USA für den seinerzeitigen Angriff auf den Irak findet er vermutlich besonders lustig.
Warum gibt sich Putin gar keine Mühe, das Offenkundige seiner Lügen zu vermeiden, mit dem Geschick zu täuschen, das doch lange sein Geschäft als Geheimdienstler war? Die Antwort dürfte ganz einfach die sein, dass er glaubt, es nicht mehr nötig zu haben. Stattdessen klassifiziert er für seine Gefolgschaft die Wahrheit als Kampfmittel der Gegenseite. Man könnte ihn fast für einen gelehrigen Schüler Nietzsches halten, der die Berufung auf die Wahrheit als Versuch der Schwachen sah, Macht über die Starken zu gewinnen, als moralische Waffe, nicht als epistemologische Norm.
Anders als in Orwells 1984 kommt es Putin dann gar nicht darauf an, dass seine Anhänger wirklich glauben, dass 2 plus 2 gleich 5 ist. Putins Behauptungen markieren eher ein Revier als einen Wahrheitsanspruch. Wie bei radikalen Querdenkern geht es darum, Orientierungspfosten der Zugehörigkeit zu setzen. Putin ist mit dieser Methode Trump nicht unähnlich. Auch für Trump sind Tatsachen, wenn sie gegen ihn vorgebracht werden, nur Fake News, Waffen des Feindes. Es reicht, wenn die eigenen Anhänger diese Reviermarkierungen erkennen und wissen, dass der Feind mit sogenannten „Tatsachen“ nur Krieg führt, letztlich also unaufrichtig ist, auf eine tiefere Weise lügt.
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Zum Weiterlesen:
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