Im Infektionsschutzgesetz (IfSG) ist festgelegt, dass die im Rahmen der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ getroffenen Maßnahmen extern bis zum 30.6.2022 evaluiert werden sollen. Der dazu einberufene Sachverständigenausschuss hatte ursprünglich 18 Mitglieder, die eine Hälfte vom Bundestag berufen, die andere Hälfte von der Bundesregierung.
Anders als das Expertengremium, das die Bundesregierung bei den Corona-Maßnahmen beraten soll, hat der Sachverständigenausschuss keine öffentlichen Papiere vorgelegt. Kürzlich ist dieses wenig bekannte Gremium trotzdem wiederholt in den Medien aufgetaucht. So gab es Diskussionen darum, ob eine Evaluation der Maßnahmen bis zum 30.6.2022 wirklich vorliegen wird oder ob eine Verschiebung nötig ist und ob, wie von der WELT und in Querdenkerkreisen spekuliert, Lauterbach auf den Zeitplan Einfluss nehmen wollte. Ein anderes Mal lieferte der Rückzug von Christian Drosten aus dem Sachverständigenausschuss Schlagzeilen. Im Expertengremium, das die Bundesregierung berät, blieb er dagegen. Und zuletzt hat die Süddeutsche Zeitung über ein Entwurfspapier des Evaluationsberichts berichtet, das allerdings öffentlich nicht verfügbar ist.
Der Rückzug von Drosten aus dem Sachverständigenausschuss ist, unabhängig von seinen persönlichen Motiven, von der Sache her sinnvoll, weil es schwierig ist, Maßnahmen zu evaluieren, für die man selbst Empfehlungen in öffentlich exponierter Weise mitformuliert hat. Allerdings wird man beim Thema Corona kaum Fachleute finden, die gänzlich unbefangen sind. Die Konstruktion des Sachverständigenausschusses ist daher auch eher auf die Ausbalancierung von Positionen und eine interdisziplinäre Pluralität angelegt. Ob das gelungen ist, darüber kann man natürlich streiten. Angesichts der heiklen Folgen der Infektionsschutzmaßnahmen für Kinder und für Heimbewohner/innen wäre vermutlich mehr Expertise zu den Themen Kindergesundheit und Pflege nicht verkehrt gewesen.
Auf den ausgeschiedenen Christian Drosten ist nun vor kurzem Klaus Stöhr nachgefolgt, wie Drosten auf dem Ticket der Unionsfraktion. Das ist interessant, weil Klaus Stöhr immer wieder andere Positionen vertrat als Christian Drosten. Drosten wurde unter Minister Spahn zu Zeiten der Großen Koalition berufen, mit Lauterspahn als gesundheitspolitischem Tandem. Jetzt haben wir die Ampel-Koalition, die Union ist in der Opposition und hat nun offensichtlich auch mehr Interesse an Widerspruch zur Regierungspolitik. Schade, dass die Union die Chance nicht genutzt hat, im Gremium fehlende fachliche Expertise auszugleichen, sondern einen Virologen wieder durch einen Virologen ersetzt hat.
Die Zusammensetzung des Ausschusses sieht jetzt wie folgt aus:
Auf Vorschlag der SPD:
• Prof. Dr. Andrea Kießling (stellv. Vorsitzende), Inhaberin der Professur für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Sozialrecht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
• Bis zum 26.1.2022: Dr. Ute Teichert, ehemals Direktorin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf und Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. Sie ist ausgeschieden, weil sie als Abteilungsleiterin ins BMG gewechselt ist. Eine Nachfolge wurde bisher nicht berufen.
Auf Vorschlag der Union:
• Prof. Dr. Michael Brenner, Lehrstuhlinhaber für Deutsches und Europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
• Dr. Anne Bunte, Leiterin des Gesundheitsamtes des Kreises Gütersloh
• Klaus Stöhr, Virologe und freier Berater, ehem. Leiter des Global Influenza Programme (GIP) und SARS-Forschungskoordinator bei der WHO
Auf Vorschlag der Grünen:
• Prof. Dr. Thorsten Kingreen, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Gesundheitsrecht an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Regensburg
Auf Vorschlag der FPD:
• Prof. Dr. Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn
Auf Vorschlag der Linken:
• Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, apl. Professor an der Berlin School of Public Health in der Charité Universitätsmedizin Berlin; Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes – Gesamtverband e.V.
Auf Vorschlag der AfD:
• Prof. Dr. Werner Bergholz, Partner der ISC International Standards Consulting GmbH & Co. KG; ehem. Professor für Electrical Engineering an der Jacobs University Bremen
Auf Vorschlag der (GroKo-)Bundesregierung:
• Prof. Jutta Allmendinger, Ph. D., Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB); Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität Berlin
• Prof. Dr. Dr. Katharina Domschke M.A. (USA), Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg
• Prof. Dr. Horst Dreier, ehem. Lehrstuhlinhaber für Rechtsphilosophie sowie Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Würzburg
• Prof. Dr. Stefan Huster (Vorsitzender), Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum
• Prof. Dr. Heyo K. Kroemer (stellv. Vorsitzender bis 21.12.2021), Vorstandsvorsitzender der Charité-Universitätsmedizin Berlin
• Prof. Dr. Helga Rübsamen-Schaeff (stellv. Vorsitzende ab 21.12.2021), Virologin und Infektiologin, Gründungs-Geschäftsführerin der AiCuris Anti-Infective Cures AG in Wuppertal; Mitglied des Aufsichtsrats der AiCuris AG und der Merck KGaA Darmstadt, Mitglied des Gesellschafterrats der E. Merck KG
• Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI – Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen; Lehrstuhlinhaber für Wirtschaftspolitik und Angewandte Ökonometrie an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum
• Prof. Dr. Britta Siegmund, Direktorin der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie, Charité-Universitätsmedizin Berlin
• Prof. Dr. Jochen Taupitz, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim
Nachdem mehrfach bestätigt wurde, dass zumindest eine erste Evaluation zum 30.6.2022 vorliegen wird, darf man gespannt sein. An kritischen Stimmen fehlt es im Sachverständigenausschuss jedenfalls nicht, ein Cheerleader-Papier ist also nicht zu erwarten.
Kommentare (60)