Die Verschlüsselungsmaschine Machina Deciphratoria von Gottfried Wilhelm Leibniz hatte nur einen Fehler: Sie kam 250 Jahre zu früh.
Zu den schönen Dingen in der Kryptologie-Geschichte gehört, dass man immer mal wieder Überraschungen erlebt. So geschehen, als ich vor einigen Wochen einen Artikel in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Cryptologia las. Darin erfuhr ich: In den 1670er-Jahren konzipierte das Universalgenie Gottfried Wilhelm Leibniz eine Verschlüsselungsmaschine, die er Machina Deciphratoria nannte. Dies ist eine echte Sensation, denn bisher ging man davon aus, dass die ersten Verschlüsselungsvorrichtungen, die man als Maschinen bezeichnen kann, Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Ihren Durchbruch schaffte diese Technologie erst um 1920.
Der Autor des Cryptologia-Artikels ist der deutschamerikanische Philosoph Nicholas Rescher, Professor an der Universität Pittsburgh. Rescher (Jahrgang 1928) ist in der Kryptologie-Geschichtsforschung bisher nicht in Erscheinung getreten. Die Machina Deciphratoria wird in der gängigen Literatur zur Kryptologie-Geschichte nicht erwähnt und war wohl bis vor einigen Jahren generell unbekannt. Leider wurde das Gerät nie gebaut. Es gibt jedoch genaue Unterlagen, die die Funktionweise beschreiben. Zusammen mit Klaus Badur (Experte für die von Leibniz ersonnenen Maschinen) und dem Ingenieur Richard Kotler hat Rescher die Maschine nachgebaut. Hier ist ein Video davon:
Die Machina Deciphratoria ist ohne Zweifel ein Meisterwerk. Ihre Funktionsweise nimmt einige Ideen der Enigma vorweg. Ihre Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit wurde erst um 1920 wieder erreicht, als die Enigma und andere Verschlüsselungsmaschinen auf den Markt kamen. Leibniz war seiner Zeit also um etwa 250 Jahre voraus. Die Machina Deciphratoria ging aus einer von Leibniz entwickelten Rechenmaschine hervor. Leibniz hatte also damals schon erkannt, dass zwischen der Mathematik und der Kryptologie ein Zusamenhang bestand – auch diese Erkenntnis setzte sich erst zu Zeiten der Enigma wirklich durch. So dürfte es kaum überraschen, dass Leibniz’ Erfindung von seinen Zeitgenossen kaum beachtet wurde.
Laut Reschers Artikel hätte sich im August 1716 das Blatt doch noch wenden können. In diesem Monat wollten zwei Verschlüsselungsexperten Leibniz in Hannover besuchen: Johann Ludwig Zollmann und dessen Sohn Philip Heinrich. Vater und Sohn Zollmann waren exzellente Kryptologen und hätten die Quallität der Machina Deciphratoria möglicherweise erkannt. Doch Leibniz war gerade verreist, als die beiden Besucher kamen. Drei Monate später starb Leibniz, und seine Verschlüsselungsmaschine geriet in Vergessenheit.
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