Auf meine Leser war wieder einmal Verlass. Nach nur zwei Tagen kann ich heute die Lösung des Roosevelt-Kryptogramms sowie ein paar interessante Hintergrund-Informationen präsentieren.

William Friedman, der wohl bedeutendste Codeknacker der Geschichte, berichtete in einem Vortrag einst von einem Brief, den der damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt erhalten hatte:

Roosevelt-Kryptogramm

Was, so fragte ich vor zwei Tagen in Klausis Krypto Kolumne, mag wohl die Zeichenfolge “NDOIMDEYLOAUEETVIEBR?” bedeuten?

Die Lösung

Die Antwort lieferte bereits eine Stunde nach Veröffentlichung der Leser Max Baertl. “NDOIMDEYLOAUEETVIEBR?” ist ein Anagramm (also eine Vertauschung der Buchstabenreihenfolge) von DID YOU EVER BITE A LEMON. Friedman hat also die Lösung in seinem Vortrag gleich mitgeliefert, sie steht unter dem Kryptogramm. Diese letzte Zeile war vermutlich kein Bestandteil des Briefs, sondern das Ergebnis von Friedmans Dechiffrier-Arbeit.

Nun stellt sich natürlich die Frage, wie Friedman die Lösung gefunden hat. Ich weiß es zwar nicht, doch ich gehe davon aus, dass er zunächst die Buchstaben zählte und feststellte, dass das E viermal vorkommt und damit der häufigste Buchstabe ist. Das O, das D und das I kommen jeweils doppelt vor, alle anderen Buchstaben nur einfach. Der Anteil der Vokale beträgt 50 Prozent. Diese statistischen Angaben passen zu einem Text in Englischer Sprache. Daraus dürfte Friedman geschlossen haben, dass es sich um ein Anagramm (man spricht auch von einer Transpositions-Chiffre) handelte.

Eine Transpositions-Chiffre kann ziemlich schwer zu knacken sein. Das Kryptogramm NDOIMDEYLOAUEETVIEBR hat zwar nur 20 Zeichen, doch diese kann man schon in 2 400 000 000 000 000 000 unterschiedliche Reihenfolgen bringen. Friedman musste also darauf hoffen, dass der Verfasser des Briefs eine bestimmte Umordnungsregel verwendet hatte, die sich nachvollziehen ließ.

Ein einfacher, aber oft erfolgreicher Trick besteht nun darin, das Kryptogramm in Reihen unterschiedlicher Länge aufzuschreiben. Wir beginnen mit 19er-Reihen:

NDOIMDEYLOAUEETVIEB
R

Es folgen 18er-Reihen:

NDOIMDEYLOAUEETVIE
BR

usw.

Irgendwann landet man bei Zehner-Reihen

NDOIMDEYLO
AUEETVIEBR

usw.

Und am Ende schreibt man Zweierreien:

ND
OI
MD
EY
LO
AU
EE
TV
IE
BR

Und siehe da, die Zweierreihen verraten den Klartext. Liest man nur die rechte Spalte, dann ergibt sich DIDYOUEVER. Die linke Spalte von unten gelesen ergibt: BITEALEMON. Wenn man im Original-Kryptogramm nur jeden zweiten Buchstaben liest, erhält man die Lösung ebenfalls (danke an Moritz Stocker, der die Umordnungsregel gefunden hat).

Warum sollte der Präsident in die Zitrone beißen?

Doch was bedeutet nun die Frage “Did you ever bite a lemon?” mit dem Zusatz “Or else you die”?

Der Blog-Leser Richard Santa-Coloma hat eine interessante Erklärung dafür. Dazu muss man wissen, dass Franklin D. Roosevelt an Kinderlähmung erkrankt war (neueren Forschungen zufolge könnte es auch das Guillain-Barré-Syndrom gewesen sein, das man damals noch nicht von der Kinderlähmung unterscheiden konnte). Roosevelt war daher auf einen Rollstuhl angewiesen und konnte nur mit größter Mühe ein paar Schritte zurücklegen. Obwohl Roosevelt sein Gebrechen nicht öffentlich machte und die Presse dies respektierte, war die Behinderung des Präsidenten kein wirkliches Geheimnis.

Roosevelt-Wheelchair

Mitte des 20. Jahrhunderts vermuteten einige Wissenschaftler (zu Unrecht), dass man die Kinderlähmung mit Vitamin C heilen könnte. Hier ist eine Veröffentlichung dazu aus dem Jahr 1949. Die Aufforderung, in eine Zitrone zu beißen, könnte daher ein ernst gemeinter Tipp an den Präsidenten gewesen sein. So gesehen handelte es sich vielleicht nicht um einen Drohbrief, sondern um den Versuch, auf eine vermeintlich wirksame Therapie aufmerksam zu machen.

Wie dem auch sei, kryptografisch ist das Rätsel gelöst.

Zum Weiterlesen: E-Mails von Barack Obama gehackt: Hätte Verschlüsselung das verhindern können?

Kommentare (5)

  1. #1 Martin
    Paderborn
    23. Juni 2015

    Auf die Lösung ist er vermutlich auf folgende Art und Weise gekommen:
    Das menschliche Gehirn ist recht gut darin, Buchstabendreher in Texten zu ignorieren und stattdessen den Sinn eines Wortes direkt zu erkennen. Hierbei versucht das Gehirn automatisch, bekannte Strukturen, also Wörter, aus dem gelesenen zu basteln. Gerade die sehr häufigen Wörter “did” und “you” stechen somit direkt aus dem Text hervor. Mir erging es beim ersten Lesen des Anagramms so, dass ich das Gefühl hatte, englische Worte zu erkennen, ohne direkt sagen zu können welche. Daraufhin habe ich sofort angefangen, wie bei “Buchstabensalat”-Rätseln in Zeitschriften die Buchstaben umzustellen. Die Methode jeden zweiten Buchstaben zu lesen, lag dann relativ schnell nahe. In den Kommentaren stand dann allerdings schon die ganze Lösung.

    Derart erstellte Anagramme sind deshalb extrem unsicher und schnell “geknackt”, was wohl hier auch beabsichtigt war. Vermutlich damals ein “Marketing Gag”.

  2. #2 TWO
    24. Juni 2015

    An alternative method is to read from left to right and skip one letter at a time and at the end of the line reverse the direction.

    Once you find the DID YOU the rest is simple. It is the reverse at the end of line that messes the skip by one letter up a little bit.

  3. #3 TWO
    24. Juni 2015

    as follows :
    NDOIMDEYLOAUEETVIEBR?
    .D.I.D.Y.O.U.E.V.E.R
    N.O.M.E.L.A.E.T.I.B

    and the keyword ELYOIE for Kryptos is revealed….

    just kidding 🙂

  4. #4 TWO
    24. Juni 2015

    This is the skip 1 start at 2 from the NSA Rumkin site :

    DIDYOUEVERNOMELAETIB?

  5. #5 TWO
    24. Juni 2015

    oh as usual this was already found by another reader 🙂