Die verschlüsselten Botschaften des Frauenmörders Henry Debosnys sind ein spektakuläres Rätsel. Heute kann ich einen interessanten Ansatz präsentieren, der zur Lösung führen könnte.

Im Frühling des Jahres 1882 tauchte in Essex (US-Bundesstaat New York) ein gewisser Henry Debosnys auf. Debosnys war ein gebildeter Schöngeist, der sechs Sprachen sprach, malte und Gedichte schrieb. Bei Frauen kam er bestens an.

Die Debosnys-Kryptogramme

In der Witwe Elizabeth Wells fand Debosnys schnell eine Geliebte, die er schon nach kurzer Zeit heiratete. Doch bereits zwei Monate nach der Hochzeit wurde Mrs. Debosnys tot aufgefunden – erschossen und mit durchgeschnittener Kehle.

Henry Debosnys war naturgemäß der Hauptverdächtige und wurde festgenommen. Doch er bestritt die Tat. Außerdem behauptete er, dass “Henry Debosnys” nicht sein richtiger Name war, ohne über seine wahre Identität Auskunft zu geben. Schon zwei frühere Ehefrauen von ihm waren unter merkwürdigen Umständen gestorben. War Debosnys also ein Serienmörder? Das Gericht sah den Mord an seiner letzten Frau als erwiesen an. 1883 wurde er gehenkt.

Während seiner Haft fertige Debosnys zahlreiche Bilder, Gedichte und Texte an. Außerdem hatte man ihm einige Unterlagen aus seinem Besitz ins Gefängnis geliefert. In diesem Fundus fanden sich vier verschlüsselte Texte (Kryptogramme). Diese Debosnys-Kryptogramme sind bis heute nicht entschlüsselt.

Scans der vier Kryptogramme gibt es hier (Originalquelle ist die Brewster Memorial Library). Wer mehr über den Fall wissen will, sollte das Buch Adirondack Enigma von Cheri L. Farnsworth lesen.

Ein verschlüsseltes Gedicht?

Heute soll uns nur das vierte Debosnys-Kryptogramm interessieren. Dieses hat das Format eines Gedichts. In den meisten Fällen stimmen sogar die letzten Buchstaben zweier benachbarter Zeilen überein, was auf Reime schließen lässt.

Besonders intressant ist eine Tatsache, die ich bisher noch nicht erwähnt habe (obwohl sie im Buch von Farnsworth steht): Henry Debosnys hat eine “Übersetzung” des Gedichts hinterlassen. Sie steht auf der Rückseite des Blatts, auf dem das Gedicht notiert ist. Allerdings ist diese “Übersetzung” in griechischen Buchstaben verfasst. In der folgenden Abbildung habe ich Gedicht (links) und “Übersetzung” (rechts) nebeneinander gestellt.

Debosnys-Poem

Nun ergeben sich interessante Fragen:

  • Enthält die “Übersetzung” sinnvollen Text (ich kann leider kein Griechisch)?
  • Wenn ja, was steht in der “Übersetzung”?
  • Wenn nein, lässt sich die “Übersetzung” entschlüsseln?
  • Kann die “Übersetzung” dazu beitragen, das vierte Debosnys-Kryptogramm zu knacken?

Hinweise aller Art nehme ich gerne entgegen.

Zum Weiterlesen: Top-25 der ungelösten Verschlüsselungen – Platz 18: Die Bekennerbriefe des Zodiac-Killers

Kommentare (7)

  1. #1 Lercherl
    3. Dezember 2015

    Ja, das ist schon sinnvolles Griechisch. Vielleicht schaff ich es über’s Wochenende, das ganze Gedicht zu entziffern und zu übersetzen.

    Zeile 11 heißt z.B.:

    He de theaon anassa SOPHIE
    Die Herrin der Götter, die Weisheit

    Zeilen 8 und 9
    Ho de leuka porphyroisi krina syn dodoisi (?) plexas
    Der die weißen Lilien mit purpurnen […] verflochten hat

    • #2 Klaus Schmeh
      3. Dezember 2015

      >Vielleicht schaff ich es über’s Wochenende
      Das wäre super!

  2. #3 Lercherl
    3. Dezember 2015

    Nachtrag: heißt nicht dodoisi sondern rhodoisi (er schreibt das rho etwas seltsam). Damit ergibt es gleich Sinn: mit purpurroten Rosen verflochten hat.

  3. #4 Lercherl
    3. Dezember 2015

    Noch ein paar Fragmente (Zeile 3 bis 6):

    Fröhlich lachend … trunken und musizierend
    Um ihn herum tanzten sanft Eroten

    Das ganze scheint eine Hommage an Anakreon zu sein, der unten (Zeile 13 und 16) namentlich erwähnt wird. Auch „Teios” (aus Teos) in Zeile zwei bezieht sich auf den Heimatort Kreons.

    Von Anakreon ist zwar sehr wenig erhalten, aber seine Gedichte handeln, so wie anscheinend dieses, vom Trinken und der Liebe.

    Was uns ein Frauenmörder damit sagen will, erschließt sich mir allerdings nicht.

    • #5 Klaus Schmeh
      3. Dezember 2015

      Danke für die Informationen. Das klingt interessant, auch wenn ich mir bisher keinen Reim darauf machen kann.

  4. #6 Klaus Schmeh
    4. Dezember 2015

    Tony Gaffney hat mir eine Transkription und eine Übersetzung des Gedichts geliefert:
    https://scienceblogs.de/klausis-krypto-kolumne/files/2015/12/Debosnys-Poem.pdf
    Vielen Dank!

  5. #7 Olivia von Westernhagen
    Deutschland
    2. März 2016

    Lieber Herr Schmeh,

    ich habe einen Hinweis gefunden, der bisher scheinbar übersehen wurde:

    Das vorliegende Gedicht entstammt der Feder des irischen Dichters Thomas Moore (1779 – 1852), der es im Rahmen seiner Übersetzungen antiker anakreontischer Gedichte veröffentlichte. Es ist unter anderem hier zu finden:

    https://books.google.de/books?id=e1YJAAAAQAAJ (Seite 11)

    Da Moore es direkt auf (alt?-)griechisch verfasst hat, trifft Debosnys Behauptung, es handele sich hier um eine “Übersetzung” des verschlüsselten Texts, nicht zu. Wahrscheinlicher ist, dass Debosnys eine eigene (vermutlich französisch- oder englischsprachige) Übersetzung von Moores Gedicht erstellt und verschlüsselt hat. Laut der Informationen, die mir vorliegen (die meisten stammen aus Cheri L. Farnsworths “Adirondack Enigma”), hat Debosnys es mit der Wahrheit jedoch zeitlebens nicht sehr genau genommen, so dass es sich ebenso gut um eine falsche Fährte handeln kann.

    Hier noch zwei Links zu bereits vorliegenden englischen Übersetzungen von Moores Text, die Debosnys bekannt gewesen sein dürften – vielleicht bringen sie uns der Lösung ein Stück näher:

    https://books.google.de/books?id=U8wPAAAAQAAJ (Seite 417)
    https://books.google.de/books?id=K8QPAAAAQAAJ
    (Seite 287)

    Ich selbst versuche gerade, mit Hilfe von Häufigkeitsanalysen (unter Berücksichtung der von Debosnys beherrschten Sprachen) zum Ziel zu kommen. Sofern Interesse an einem Austausch besteht, können Sie sich gern melden.

    Viele Grüße & viel Erfolg!

    Olivia von Westernhagen