Der Autor eines Kryptologie-Buchs aus dem 19. Jahrhundert nannte seinen Namen nur verschlüsselt. Blog-Leserin Julia Bernotat hat nun die (wahrscheinliche) Lösung dieses Rätsels gefunden – mit einem Spürsinn, der Sherlock Holmes alle Ehre machen würde.
Wer verbirgt sich hinter dem verschlüsselten Namen „; + 1 Λ + o“? Blog-Leserin Julia Bernotat hat die mögliche Lösung gefunden. Wahrscheinlich handelte es sich um den sächsischen Physiker Georg Wilhelm Sigismund Beigel (1753-1837).
Julia Bernotat stammt aus Münster und lebt in Hochstetten bei Karlsruhe. Dass in der Region Karlsruhe kryptologisch Bedeutendes geleistet wird, ist nichts Neues, denn die Universität Karlsruhe (an der ich studiert habe) ist seit Jahrzehnten als Krypto-Hochburg bekannt. Allerdings hat Frau Bernotat damit wenig zu tun. Sie arbeitet bei einer Firma für Landschafts- und Gartenbau. Zur Kryptologie kam sie 2014 über das Krypto-Rätsel-Portal MysteryTwister C3.
Doch wie kommt Frau Bernotat darauf, dass Georg Beigel der gesuchte Autor ist? Es handelt sich um das Ergebnis akribischer Detektiv-Arbeit, die ich absolut beeindruckend finde. Die Details finden sich in einem Aufsatz, den es hier als Download gibt.
Ein Personenprofil
Julia Bernotat stellte zunächst alle Informationen zusammen, die sie über den unbekannten Autor herausfinden konnte (einzige Quelle war der Inhalt des Buchs). Die folgende Liste nennt die wichtigsten Punkte:
- Der Nachname des Autors folgt dem Muster ABCDBE.
- Der Autor hatte einen Bezug zur Region Leipzig (dort ist das Buch erschienen).
- Der Autor interessierte sich für Kryptografie.
- Der Autor war Protestant (der Begriff „Konkordientag“ ist protestantisch).
- Der Autor ging sehr sorgfältig und systematisch vor.
- Der Autor war ein Anhänger der Aufklärung und war gebildet.
- Der Autor war Freimaurer.
- Der Autor hatte sehr gute chemische Kenntnisse.
- Der Autor hatte ein starkes Interesse an Sprachwissenschaft und/oder Orientalistik.
- Der Autor konnte fließend Latein lesen.
Im nächsten Schritt wählte Julia Bernotat aus einer Datenbank von 35.000 deutschen Nachnamen diejenigen aus, die auf das Muster ABCDBE passen. Mit Hilfe von Wikipedia suchte sie alle bedeutenden Persönlichkeiten heraus, die einen dieser Nachnamen tragen. Für jede Persönlichkeit prüfte sie zunächst, ob diese zur richtigen Zeit lebte und etwas mit Sachsen zu tun hatte. Für die verbleibenden Personen ermittelte sie, ob die restlichen Kriterien (z. B. Protestant, Kenntnisse in der Chemie, Lateinkenntnisse) passten.
Am Ende der Nachforschungen blieb schließlich nur eine Person übrig, die alle Kriterien erfüllte – und das sogar sehr gut. Dabei handelte es sich um den besagten Georg Beigel. Frau Bernotat hat folgende Daten über sein Leben zusammengestellt:
- 1753 in Ippersheim bei Windsheim in Franken geboren
- 1779 juristische Promotion in Leipzig (nach Jura-Studium in Altdorf und in Leipzig)
- 1786 Stelle als Legationssekretär in kursächsischen Diensten an der Münchner Gesandtschaft
- 1802 kehrte er nach Sachsen (Dresden) zurück
- seit 1802 Legationsrath im Etranger Departement (gehört zum geheimen Kabinett)
- seit 1804 als Geheimer Kabinettssekretär Reisebegleiter des Kurfürsten
- 1804 bis 1812 geheimer Cabinets-Secretarius und Legationsrath im Etranger Departement
- 1813 bis 1826 Oberbibliothekar in Dresden
- 1826 Pensionierung wegen Gehörleidens und Gedächtnisschwäche
- 1837 in Dresden gestorben
Beigel erfüllt die Kriterien
Und so erfüllt Beigel die von Frau Bernotat erstellten Kriterien:
- Nachname folgt dem Muster ABCDBE: Dies ist beim Name Beigel gegeben.
- Bezug zur Region Leipzig: Er lebte in Leipzig und Dresden.
- Interesse an Kryptografie: Als Kabinettsmitglied hatte Beigel sicherlich von Berufs wegen mit Verschlüsselung zu tun (auch wenn „geheimes Kabinett“ in diesem Fall nichts mit „geheim“ im Sinne von vertraulich zu hat, sondern eher „vertraut“ bedeutet).
- Protestant: Beigel war Protestant.
- Sorgfältig und systematisch: Beigel veröffentlichte zur Astronomie, zu Naturwissenschaften und zu Vermessungstechniken. Ein sorgfältiges und systematisches Vorgehen ist dabei stets zu erkennen.
- Anhänger der Aufklärung und gebildet: Auch dieses Kriterium passt.
- Freimaurer: Beigel war Freimaurer.
- Sehr gute chemische Kenntnisse: Beigel veröffentlichte zur Chemie.
- Starkes Interesse an Sprachwissenschaft und/oder Orientalistik: Beigel veröffentlichte auch zur Linguistik.
- Latein: Beigel konnte Latein.
Wie es scheint, hat Frau Bernotat das Rätsel gelöst. Es gibt zwar keinen eindeutigen Beweis, aber die Indizienlast ist geradezu erdrückend. Auch Tobias Schrödel, der dieses schöne Rätsel entdeckte und bei MysteryTwister C3 einstelle, sieht es als mit hoher Wahrscheinlichkeit gelöst an.
Ich kann Julia Bernotat zu ihrer Arbeit nur gratulieren. Ich finde es bewundernswert, mit welcher Akribie und welchem Spürsinn sie zu Werke gegangen ist. Und natürlich freue ich mich, dass sie all diese Energie in eine Fragestellung gesteckt hat, die mit Kryptografie zu tun hat und die ich auf meinem Blog behandelt habe. Frau Bernotat hat auf MysteryTwister C3 für ihre Leistung 900 von 1000 möglichen Punkten erhalten.
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