Der Autor eines Kryptologie-Buchs aus dem 19. Jahrhundert nannte seinen Namen nur verschlüsselt. Blog-Leserin Julia Bernotat hat nun die (wahrscheinliche) Lösung dieses Rätsels gefunden – mit einem Spürsinn, der Sherlock Holmes alle Ehre machen würde.

Wer verbirgt sich hinter dem verschlüsselten Namen „; + 1 Λ + o“? Blog-Leserin Julia Bernotat hat die mögliche Lösung gefunden. Wahrscheinlich handelte es sich um den sächsischen Physiker Georg Wilhelm Sigismund Beigel (1753-1837).

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Julia Bernotat stammt aus Münster und lebt in Hochstetten bei Karlsruhe. Dass in der Region Karlsruhe kryptologisch Bedeutendes geleistet wird, ist nichts Neues, denn die Universität Karlsruhe (an der ich studiert habe) ist seit Jahrzehnten als Krypto-Hochburg bekannt. Allerdings hat Frau Bernotat damit wenig zu tun. Sie arbeitet bei einer Firma für Landschafts- und Gartenbau. Zur Kryptologie kam sie 2014 über das Krypto-Rätsel-Portal MysteryTwister C3.

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Doch wie kommt Frau Bernotat darauf, dass Georg Beigel der gesuchte Autor ist? Es handelt sich um das Ergebnis akribischer Detektiv-Arbeit, die ich absolut beeindruckend finde. Die Details finden sich in einem Aufsatz, den es hier als Download gibt.

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Ein Personenprofil

Julia Bernotat stellte zunächst alle Informationen zusammen, die sie über den unbekannten Autor herausfinden konnte (einzige Quelle war der Inhalt des Buchs). Die folgende Liste nennt die wichtigsten Punkte:

  • Der Nachname des Autors folgt dem Muster ABCDBE.
  • Der Autor hatte einen Bezug zur Region Leipzig (dort ist das Buch erschienen).
  • Der Autor interessierte sich für Kryptografie.
  • Der Autor war Protestant (der Begriff „Konkordientag“ ist protestantisch).
  • Der Autor ging sehr sorgfältig und systematisch vor.
  • Der Autor war ein Anhänger der Aufklärung und war gebildet.
  • Der Autor war Freimaurer.
  • Der Autor hatte sehr gute chemische Kenntnisse.
  • Der Autor hatte ein starkes Interesse an Sprachwissenschaft und/oder Orientalistik.
  • Der Autor konnte fließend Latein lesen.

Im nächsten Schritt wählte Julia Bernotat aus einer Datenbank von 35.000 deutschen Nachnamen diejenigen aus, die auf das Muster ABCDBE passen. Mit Hilfe von Wikipedia suchte sie alle bedeutenden Persönlichkeiten heraus, die einen dieser Nachnamen tragen. Für jede Persönlichkeit prüfte sie zunächst, ob diese zur richtigen Zeit lebte und etwas mit Sachsen zu tun hatte. Für die verbleibenden Personen ermittelte sie, ob die restlichen Kriterien (z. B. Protestant, Kenntnisse in der Chemie, Lateinkenntnisse) passten.

Am Ende der Nachforschungen blieb schließlich nur eine Person übrig, die alle Kriterien erfüllte – und das sogar sehr gut. Dabei handelte es sich um den besagten Georg Beigel. Frau Bernotat hat folgende Daten über sein Leben zusammengestellt:

  • 1753 in Ippersheim bei Windsheim in Franken geboren
  • 1779 juristische Promotion in Leipzig (nach Jura-Studium in Altdorf und in Leipzig)
  • 1786 Stelle als Legationssekretär in kursächsischen Diensten an der Münchner Gesandtschaft
  • 1802 kehrte er nach Sachsen (Dresden) zurück
  • seit 1802 Legationsrath im Etranger Departement (gehört zum geheimen Kabinett)
  • seit 1804 als Geheimer Kabinettssekretär Reisebegleiter des Kurfürsten
  • 1804 bis 1812 geheimer Cabinets-Secretarius und Legationsrath im Etranger Departement
  • 1813 bis 1826 Oberbibliothekar in Dresden
  • 1826 Pensionierung wegen Gehörleidens und Gedächtnisschwäche
  • 1837 in Dresden gestorben

 

Beigel erfüllt die Kriterien

Und so erfüllt Beigel die von Frau Bernotat erstellten Kriterien:

  • Nachname folgt dem Muster ABCDBE: Dies ist beim Name Beigel gegeben.
  • Bezug zur Region Leipzig: Er lebte in Leipzig und Dresden.
  • Interesse an Kryptografie: Als Kabinettsmitglied hatte Beigel sicherlich von Berufs wegen mit Verschlüsselung zu tun (auch wenn „geheimes Kabinett“ in diesem Fall nichts mit „geheim“ im Sinne von vertraulich zu hat, sondern eher „vertraut“ bedeutet).
  • Protestant: Beigel war Protestant.
  • Sorgfältig und systematisch: Beigel veröffentlichte zur Astronomie, zu Naturwissenschaften und zu Vermessungstechniken. Ein sorgfältiges und systematisches Vorgehen ist dabei stets zu erkennen.
  • Anhänger der Aufklärung und gebildet: Auch dieses Kriterium passt.
  • Freimaurer: Beigel war Freimaurer.
  • Sehr gute chemische Kenntnisse: Beigel veröffentlichte zur Chemie.
  • Starkes Interesse an Sprachwissenschaft und/oder Orientalistik: Beigel veröffentlichte auch zur Linguistik.
  • Latein: Beigel konnte Latein.

Wie es scheint, hat Frau Bernotat das Rätsel gelöst. Es gibt zwar keinen eindeutigen Beweis, aber die Indizienlast ist geradezu erdrückend. Auch Tobias Schrödel, der dieses schöne Rätsel entdeckte und bei MysteryTwister C3 einstelle, sieht es als mit hoher Wahrscheinlichkeit gelöst an.

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Kommentare (98)

  1. #1 Norbert
    15. Januar 2016

    Gratulation! Eine sehr beeindruckende Arbeit!

    Mich würde noch eine Sache interessieren: Wenn Beigel Freimaurer war und der Bezug zum Freimaurertum im Buch gegeben ist, wie es Frau Bernotat überzeugend darstellt, dann wäre es doch denkbar, dass sein Namenskryptogramm nicht in irgendeiner, sondern in einer Chiffre seiner Loge geschrieben ist (so dass also für die Eingeweihten der Klarname erkennbar war, ohne dass sie ihn über das Buchstabenmuster erschließen mussten).

    Kann man vielleicht an Originalquellen der Loge Zu den drei Schwertern aus dieser Zeit gelangen (die Loge existiert ja noch heute)? Es wäre spektakulär, wenn sich darin die hier benutzten Geheimzeichen in gleicher Bedeutung wiederfinden würden (bin kein Freimaurer-Spezialist, aber ich könnte mir vorstellen, dass man für verschiedene Geheimhaltungsstufen verschiedene Geheimalphabete benutzte, Beigel könnte hier mit Erlaubnis der Loge eins niedriger Priorität verwendet haben).

    • #2 Klaus Schmeh
      15. Januar 2016

      Wenn man (bei den Freimaurern oder anderswo) eine Beschreibung des Verschlüsselungsverfahrens finden würde, würde dies die letzten Zweifel ausräumen. Die Suche danach wäre sicherlich eine interessante Aufgabe.

  2. #3 Dino
    Frankfurt
    15. Januar 2016

    Lieber Herr Schmeh,
    wie paßt diese Lösung zu dem Kommentar von Thomas Ernst, der wohl die Lösung in seinem am 26. Juni 2013 verfaßten Kommentar andeutete aber nicht verriet. Er ging von einer anderen Person aus, da die Geburts- und Sterbedaten nicht mit Herrn Beigel übereinstimmen. Es wäre schön, seinen Alternativvorschlag zu erfahren.
    In gespannter Erwartung

    • #4 Klaus Schmeh
      15. Januar 2016

      Ich habe Thomas Ernst deswegen angschrieben. Voraussichtlich wird er dazu Stellung nehmen.

  3. #5 Thomas
    15. Januar 2016

    Ja, ein überaus interessanter Aufsatz, mit großem Gewinn zu lesen!
    Aber einige Fragen bleiben doch offen:
    Liegt es nicht näher, dass – wie am Ende eines Vorworts üblich – vor dem Datum der Ort genannt ist?
    Die Bayerische Staatsbibliothek gibt als Autor/Herausgeber einen Georg Victor Carl Gerstenbergk an; aus dem Scan ergibt sich dies aber nicht.
    Falls mit der Chiffre der Name verschlüsselt sein sollte, käme bei monoalphabetischer Substitution noch der Leipziger Juraprofessor, Literat und Freimaurer Christian Daniel Erhard in Betracht. Das “Rezept” für ein Blutwunder muss nicht auf Chemiekenntnisse hindeuten. Orthographie und Wortwahl sprechen für eine Quelle, die zeitlich näher zu Caspar Neumanns Experiment liegen dürfte und schlicht abgeschrieben worden sein kann.
    Nebulös bleibt der Konkordientag. Während der Grotefend ohne näheren Beleg den 18. Feb. nennt, wird im Heiligenlexikon als Tag der hl. Concordia der 13. Aug. angegeben.Mit der Konkordienformel der lutherischen Kirche war wohl kein bestimmter Gedenktag verbunden.

  4. #6 Thomas
    16. Januar 2016

    Es handelt sich vermutlich um einen wegen der geänderten politischen Verhältnisse anonymisierten Nachdruck des 1782 erschienen Werks von Carl Arnold Kortum “Anfangsgründe einer Entzifferungskunst deutscher Ziffernschriften” Kortum war ein Bochumer Arzt, der auch ein Werk zur Verteidigung der Alchemie verfasste. Sein Kryptologiebuch ist wohl nur in UBs in Berlin, München Göttingen und Augsburg als Präsenzexemplar zugänglich. Für mich ist das zu weit, vielleicht ist jemand in der Nähe.

  5. #7 Thomas
    16. Januar 2016

    Will noch die Fundstelle nachliefern: Der Hinweis ergibt sich aus dem Anmerkungsapparat in dem Buch von Joachim von zur Gathen: CryptoSchool

  6. #8 Thomas
    16. Januar 2016

    Noch etwas: Die im Vorwort – das wohl aus dem Buch von 1782 übernommen ist ? – genannte merkwürdige Verbindung von Geheimschrift und der “morgenländischen Blumensprache” findet sich in dem anonymen Werk “Mysterienbuch alter und neuer Zeit oder Anleitung geheime Schriften lesen zu können … Nebst einem Anhange die Blumenchiffern der Morgenländerinnen zu verstehen und nachzuahmen.” (Leipzig 1797; Digitalisat im Internet). Bei dem Verfasser dürfte es sich um dieselbe Person handeln. Es ist ein ähnliches, jedoch umfassenderes Buch über Kryptographie, Stenographie, Geheimtinten und die erwähnte Blumensprache. Zudem enthalten die Seiten 75 – 82 die Entschlüsselung eines Chiffrats, das verblüffend demjenigen in der “Kunst, geheime Schriften zu entziffern” gleicht. Die Auflösung von S. 82, übertragen auf die Chiffre vor dem “Konkordientag”, gibt aber keinen Sinn (; AVLA o); vielleicht findet ein berufener Entschlüssler hier noch die Lösung. Möglicherweise handelt es sich aber nur um einen Jux des Autors (wohl C.A. Kortum).

  7. #9 Norbert
    17. Januar 2016

    Das Buch “Anfangsgründe einer Entzifferungskunst deutscher Ziffernschriften” von Kortum scheint tatsächlich in der Staatsbibliothek Berlin einsehbar zu sein. Da ich in Berlin wohne, werde ich gerne zur Vor-Ort-Recherche schreiten und deren Ergebnisse hier posten! Ich muss schon sagen, ein spannender Diskurs 🙂

    • #10 Klaus Schmeh
      17. Januar 2016

      >Da ich in Berlin wohne, werde ich gerne zur Vor-Ort-Recherche schreiten
      Das wäre toll. Ich bin gespannt.

  8. #11 Thomas
    17. Januar 2016

    Der Tag der hl. Concordia war damals noch der 18. Februar, wie sich aus zeitgenössischen Kalendern ergibt. Auch in einem Wert über deutsche Geschichte aus dem Jahr 1793, das ausdrücklich den Begriff “Konkordientag” verwendet, gibt den 18. Feb. an. Später hat die Kirche den Tag dann auf den 13. Aug. verlegt. Die ungewöhnliche Datumsangabe könnte auf der Bedeutung concordia=Einigkeit beruhen und sich auf dem Hintergrund der napoleonischen Besetzung erklären.

  9. #12 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    18. Januar 2016

    Lieber Thomas, ich habe Ihnen gestern schon zur Lösung des Plagiats gratuliert – die “Kunst” ist zu 95 % umfrisierter Kortum, enthält aber auch ca. 5 Seiten Prosa (+ Alphabete am Schluß), die der Konkordienfälscher hinzugefügt hat. Friedrich Wagner hatte schon 1888 einen Verdacht, doch kannte er den Inhalt von Kortum nur aus der Göttinger Rezension. – Die Heiligentage 18. Februar (Kalender von 1831, ich weiß, aber auch mal der 17. und 22.) und 13 August für Concordia wurden nicht geändert, sondern beruhen auf einem Mißverständnis zwischen dem Ort Concordia und der Person. Am Ort Concordia fanden angeblich im Februar mehrere Märtyrer ihr Ende, der Heiligen Concordia hingegen wird schon in Schedels Weltchronik (1493) wie auch den Acta Sanctorum oder einem Heiligenlexikon von 1719 der 13. August zugewiesen. Ein Hinweis auf das Ende des Heiligen Römischen Reiches einer Woche vorher ist nicht auszuschließen; ich verstand Concordia allerdings auch als beruflichen Hinweis auf den Fälscher, einen Pädagogen – Concordia als Amme und Schutzpatronin von Zöglingen.

  10. #13 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    18. Januar 2016

    Ach, und da die Sache jetzt schon so weit gediehen ist: für den Konkordienfälscher halte ich den Enkel bzw. Großneffen Gottfried Hensels, nämlich Johann Daniel (31. 12. 1757 – 10. 12. 1839), Amateurkomponist, Hofmeisterschicksal, Philologe, Pädagoge; Chronist der Stadt Hirschberg, Autor einer Sprachlehre, Gründer eines Schulinstitutes, eingefleischter Friederizianer. Die beste Information über ihn bei Nowack. An und für sich eine sehr respektable Person, sprachlich ungeheuer begabt, der eine schnelle Geldarbeit hingelegt hat. Er hat die Ortenburg-Chiffre nachgetragen (alle anderen Chiffrierbeispiele schon bei Kortum), und die einleitende Schlußpassage mit dem Verweis auf die “Synopsis” bzw. “Harmonia” Gottfried Hensels von 1741, Zweitauflage 1754, aber auch einen zweieinhalbseitigen Exkurs zu Beginn des Werks. Kann ich Johann Daniel das Plagiat 100prozentig nachweisen – nein, es fehlt mir an Quellen hier. Inwieweit hat Hensel z. B. Veichters Ramler-Operette “Cyrus und Cassandana” (1784) in einem von “ihm selbst” komponierten und Prinz Heinrich gewidmeten Klavierauszug plagiiert? – U. a. Nun erspart sich mein versprochener Artikel über den Konkordienfälscher; wegen Details können Sie gern nachfragen.

  11. #14 Norbert
    18. Januar 2016

    @Thomas Ernst: Welche Indizien gibt es denn dafür, dass Johann Daniel Hensel beim Singspiel “Cyrus und Kassandane” von Franz Adam Veichtner abgeschrieben hat? Ein Incipit-Vergleich bei opac.rism.info liefert jedenfalls keinerlei derartigen Anhaltspunkte:
    https://opac.rism.info/search?id=452505024
    https://opac.rism.info/search?id=469138200

    (“Sinfonia” ist z.B. das, was man heute “Ouvertüre” nennt, und in beiden Werken offensichtlich völlig verschieden)

    Mir scheint, beide Komponisten haben einfach nur dasselbe Libretto von Karl Wilhelm Ramler verwendet, eine seit den Anfängen der Oper bis heute gängige und nicht im geringsten anrüchige Praxis.

  12. #15 Thomas
    18. Januar 2016

    Lieber Thomas Ernst, Ihre Lösung überzeugt mich – auch. Dennoch: Kann die These einer Zweitverwertung durch Kortum selbst schon ad acta gelegt werden? Werde an der spannenden Sache dranbleiben, vorab nur einige Einwürfe aus dem Handgelenk: Sprechen noch mehr Argumente als die Erwähnung des Werks Gottfried Hensels und die Übereinstimmung des 2. und 5. Buchstabens im Familiennamen für die Urheberschaft von Hensel jun.? Letzteres setzt die Deutung der Chiffre als Name voraus; was spricht gegen eine Ortsangabe oder einen anderen Inhalt? Da mir Kortum 1782 nicht zugänglich ist: Ist die morgenländische Blumensprache auch dort schon im Vorwort erwähnt, oder ist dies erst in der “Kunst” von 1806 der Fall? Insoweit stellt sich die Frage, von wem die wohl bemerkenswerte Verbindung von Kryptographie usw. und der morgenländische Blumensprache im Mysterienbuch 1797 herrührt. Dem Humor Kortums (man denke etwa nur an die Hermetische Gesellschaft) wäre solches wohl auch zuzutrauen.
    Eines noch: Haben Sie eine Erklärung dafür, auf welcher Grundlage die Bayerische Staatsbibliothek einen Gesternbergk bzw. Gesternbergk als Autor/Herausgeber angibt?

  13. #16 Thomas
    18. Januar 2016

    Möge nicht am Ende unserer Bemühungen stehen: Ihr Schönen forschet umsonst!

  14. #17 Thomas
    18. Januar 2016

    Soweit im Vorwort der “Kunst” von 1806 sich eine Bezugnahme auf die Entzifferungskunst der Kabbala (Themura und Ziruph) findet, halte ich eine Übernahme aus dem “Hermetischen Journal zur endlichen Beruhigung für Zweifler und Sucher” von der hermetischen Gesellschaft aus dem Jahr 1802 für äußerst wahrscheinlich. Das Journal wurde von Kortum herausgegeben (Barke, Die Sprache der Chymie, 1991). Sollte dies Hensel übernommen haben? Mir scheinen im Vorwort von 1806 eher die besonderen Vorlieben von Kortum durchzuscheinen.

  15. #18 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    18. Januar 2016

    @ Norbert: ich danke Ihnen für diese Quelle! Ich kannte sie nicht. Ich wußte nur von Hensels Klavierauszug, nicht von seiner eigenen “Operette” (wie schon Veichtners Komposition bezeichnet wurde). Ich glaubte, keinen Zugang zu Veichtners Operette oder Hensels “Klavierauszug” zu bekommen und über Bibliotheken suchen zu lassen. Da Klavierauszüge normalerweise von existierenden Werken gemacht werden, ich aber nicht von Hensels eigener Operette wußte, hielt ich es für möglich, daß er einen Auszug von Veichtners Werk als eigene Komposition hätte ausgeben können. Dem war anscheinend nicht so. Das ist ein Argument gegen Hensel als Plagiator. Was des weiteren für ihn sprach, war die Natur der nicht bei Kortum stehenden Texteinlagen: sie sind kryptologisch eigentlich nicht relevant, und eher poetologisch (Form von Chiffretexten sei ausschlaggebend) und philologisch (Erkennen von Sprachen und deren Alphabeten). Ein kurzer Abschnitt über “kk” statt “ck” ist ausführlicher in der “Kunst” und deckt sich mit einer entsprechenden Beobachtung Hensels in seiner Sprachlehre. Es wäre sinnvoll, die Lexik und Grammatik der nur der “Kunst” eigenen Texte und Textumschreibungen mit jenen aus Hensels fast zeitgenössischer Sprachlehre (1807) zu vergleichen, und, wenn Hensel nicht ausreichend passt, woanders zu suchen. ich habe nur einen kurzen Anfang gemacht. Allerdings sagt Hensel an einer Stelle, daß man die Sprache an sein Publikum – er meinte damit auch seine Schüler – anpassen müsse. Hier ist der Anfang einer solchen Tabelle (die hier leider untereinandersteht):

    Kortum: allezeit
    Cryptographie
    Cyprian
    diejenigen, denjenigen
    erfordern
    gemein, gemeiniglich
    glaubten
    hierin
    hoch bringen
    imgleichen
    meiste
    eine mühsame Arbeit seyn
    obgleich
    ein offener Kopf
    vorkommend
    ein Widerspruch se[yn]
    worinn

    “Kunst”: immer (16)
    Krypthographie
    Zyprian
    jene, jenen
    vorausserzen
    gemeiniglich (5), gewöhnlich (7)
    waehnten
    Hierinn (1), hierinne (1)
    weit bringen
    ingleichen
    mehreste (1), meist (1)
    müsam werden
    obschon (1), wenn schon
    Scharfsinn
    erscheinend (1), vorkommen (13), vorkommend (1)
    im Widerspruch stehen
    worin (2), worinnen (10)

    Hensel 1807:allezeit: 1 / immer: 100
    – / –
    – / –
    diejenigen: 12 / jene: 7
    gemein: – / gewöhnlich: 51
    kein Imperfekt; glauben: 17
    hierin: 25 / hierinne: –
    imgleichen: – / ingleichen: –
    Meiste: 1 / mehreste: –
    obgleich: 37 / obschon: –
    wenn schon: 1
    vorkommen: 11 / erscheinen: /
    worin: 3 / worinnen: –

    @ Thomas: die Sache mit der “morgenländischen Blumensprache” war ein populäres Thema und erscheint nicht bei Kortum, sondern wurde vom Plagiator hinzugefügt. Bekannt gemacht wurde die Floriographie wohl durch Mary Wortley Montagu (1689-1762); türkischer Begriff “Sélam” seit 1763; zeitgenössisches Interesse schon vor Hensel; dann am eingehendsten erläutert durch den österreichischen Orientalisten Joseph Freiherr von Hammer[-Purgstall] (1774-1856), Dictionnaire du langage des fleurs (SS. 36-42 in Sur le langage des fleurs, SS. 32-42, in: Fundgruben | des | Orients [MINES | DE | L’ORIENT, | EXPLOITÉES | PAR UNE | SOCIÉTÉ D’AMATEURS] | bearbeitet | durch eine | Gesellschaft von Liebhabern. […] WIEN, 1809. | Gedruckt bey Anton Schmid […]); seine Hafis-Übersetzung von 1812 übrigens regte Goethes West-östlichen Divan (1819) an. Mit dem Hinweis auf die Blumensprache hatte der Verfasser der “Kunst” seinen Finger einfach am Puls der Zeit. Die Vorrede ist einer der am gründlichsten überarbeiteten Abschnitte des Buches. Ein Vergleich der Lexik der “Anfangsgründe” und der “Kunst” – auch da habe ich eine Liste – schließt es völlig aus, daß Kortum selbst die “Kunst” verfaßt hat. Viele Sätze sind umgeschrieben, manche aber auch nur abgeschrieben worden; ein paar Paragraphen Kortums – Kortums Buch ist in 167 Paragraphen unterteilt – fehlen in der “Kunst”, z. B. über die “Doppelbuchstaben” n, r, s usw. – da hat der Abschreiber einfach keine Lust gehabt. Dasselbe gilt für die beiden “Figuren” in der “Kunst”, die – zumindest in der online-Ausgabe – fehlen, bei Kortum jedoch vorhanden sind. Warum die BSB Gesternbergk oder dergleichen hat, weiß ich nicht. Aber dann habe ich auch nie verstanden, warum seit Galland eine Steganographie von 1799 Johann Baptist Andres zugeschrieben wird?

  16. #19 Thomas
    18. Januar 2016

    Die Fundstelle im Hermetischen Journal ist dort auf S. 113

  17. #20 Thomas
    18. Januar 2016

    Waren die “Allgemeinen Voraussetzungen zur Entzifferungskunst” schon in den “Anfangsgründen” enthalten? Dann nehme ich meinen Einwand im Zusammenhang mit der Stelle im Hermetischen Journal zurück. Leider stehen mir die “Anfangsgründe” nicht zur Verfügung.

  18. #21 Thomas Ernst
    Latrobe
    18. Januar 2016

    Ich habe Kortums Vorrede und ersten Paragraphen vollständig im Computer; von besonderem Interesse ist, wie der Abschreiber den Schlußsatz von Paragraph 1 an den Anfang rückt. Kortums Ton ist eher auf Muße eingestellt, jener der “Kunst” durch reißerische Zusätze gekennzeichnet:

    “Vorrede. | Ich wage es, diese kleine Schrift öffentlich erscheinen zu lassen. Weil sie aus einem Fach ist, in welchem wir wenige Schriften haben, und verschiedene, von andern nicht angezeigte Hülfsmittel, zur Erlernung der Entzifferungskunst, sich darin befinden; so hoffe ich, nichts überflüssiges gethan zu haben, vielleicht auch nichts unnützliches. Wenigstens ist die Entzifferungskunst, überhaupt betrachtet, nicht ohne Nutzen. Denn außerdem, daß sie Gelegenheit giebt sich im Denken zu üben, reichet sie Hülfsmittel, alte Urkunden zu verstehen, deren Buchstaben nicht mehr in Gewohnheit sind, auch Handschriften zu lesen, welche oft nützliche Geheimnisse enthalten, die der Verfasser einer solchen Schrift für sich allein zu behalten gedachte. Wie vortheilhaft es in Kriegszeiten sey, die in Ziffern geschriebene Briefe der heimlichen oder öffentlichen Feinde zu ermitteln, ist bekannt genug. Einiger maßen träget sie auch zur Menschenkenntniß etwas bey, indem sie oft in Zifferschriften, welche der Verfasser zu seiner eigenen Nachricht gemacht hatte, verborgene Falten des menschlichen Herzens entdeckt. Ich will nichts sagen, von dem Vergnügen, welches der Entzifferer empfindet, wenn er nach vielem Denken und Mühe den Sinn der Zifferschrift herausgebracht hat. Uebrigens bin ich genug für meine Mühe belohnt, wenn die wenigen Liebhaber der Entzifferungskunst in der gegenwärtigen Schrift etwas gefallendes finden. | Der Verfasser.

    ¶ 1.Von der Entzifferungskunst überhaupt. | Entweder ganze Gesellschaften, oder nur wenige Personen, welche ihre Geheimnisse sich schriftlich mittheilen wollen, pflegen oft, an statt der gewöhnlichen Buchstaben des Alphabets, andere Zeichen oder Buchstaben zu wählen, davon ein besonderes Alphabet zu verfertigen, und solche wie rechte Buchstaben in ihren Briefen zu gebrauchen. Wenn man auch zu seiner eigenen Nachricht etwas Geheimes aufschreiben will, so pflegt man dieses mit fremden Zeichen zu thun, oder man giebt den sonst gebräuchlichen Buchstaben eine ungewöhnliche Bedeutung. Unerfahrne glauben dann, daß solche Schriften von keinem andern, als der den Schlüssel dazu hat, oder die Bedeutung dieser Zeichen weiß, gelesen werden können. Indessen ist eine solche geheime Schrift einem Geübten sehr leicht zu verstehen, wenn er auch niemals den Schlüssel dazu gesehen hat. Die Wissenschaft aber, welche solche geheime Schriften lesen lehret, oder die Kunst, dergleichen geheime Buchstaben zu kennen, wird die Entzifferungswissenschaft oder die Entzifferungskunst genennet.”

    Kortums Schlußsatz des ersten Paragraphen dient 1808 als Einleitung. Die Gruppe Chiffrierender findet sich um “Ordensverbindungen”, “Freunde”, “Liebende” erweitert, die “Briefe” um “Memoiren”. “von keinem andern, als der den Schlüssel dazu hat” wurde offensichtlich als fehlerhaft empfunden und gebessert zu: “von keinem andern, als von dem der den Schlüssel dazu hat”. “pflegen […] zu wählen” und “verfertigen” wurden zu “erfinden” verkürzt.

  19. #22 Thomas Ernst
    Latrobe
    18. Januar 2016

    Ich hätte präziser antworten sollen: die “Allgemeinen Voraussetzungen zur Entzifferungskunst” vereinen Kortums Paragraphen 1 und 2, von denen ich nur den ersten parat hatte. In Kortums zweitem, längeren Paragraphen ist schon von den alten “Egiptern”, Kabale, Themura, Ziruph etc. die Rede – das ist 1808 nur ein wenig umfrisiert worden.

  20. #23 Thomas Ernst
    Latrobe
    19. Januar 2016

    Noch ein Nachtrag zum Vergleich von Text und Struktur zwischen Kortum und “Kunst”: Die “Allgemeinen Voraussetzungen” 1808 sind ein Amalgam von Kortums Paragraphen 1-2 und 4-10. Kortums Paragraph 3 wurde 1808 ausgelassen, da er “musings” über die menschliche Neugierde enthält, jedoch nichts praktisches, und zum Schluß Schwenter – ausgerechnet – als Vater der Dechiffrierkunst erklärt. Solcherlei otium verlangsamt den Fahrwind des Plagiator. Zwischen Kortums Paragraphen 10 und 11, andererseits, dreht er eine eigenständige Pirouette: die Passage “Das erste, worauf ein Entzifferer […] welche in den folgenden Abschnitten vorgetragen wird” (1808, pp. 6-8) ist eine Originaleinlage. Die “Kunst” ist keinesfalls ein “dummes”, sondern ein rhetorisch und strukturell geschickt ausstaffiertes und organisiertes, stellenweise sogar inhaltlich bemühtes Plagiat, jedoch nicht von einem versierten Kryptologen geschrieben. Wenn man den Terminus “bemühtes Plagiat” überhaupt gelten lassen möchte. – Noch eine Anmerkung: Die “Kunst” erschien erst im Jahre 1808 (vielleicht schon Herbst 1807; hier dürften Buchmesskataloge Auskunft geben). Der Grund dafür mag die “standrechtliche” Erschießung des Nürnberger Buchhändlers Johann Philipp Palm am 26 August 1806 gewesen sein: Palm hatte im Juli 1806 das anti-napoleonische Pamphlet “Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung” veröffentlicht, ohne je dessen Autor bekanntzugeben. Deswegen, vermute ich, wird die “Kunst” eine Zeit lang auf Eis gelegen haben.

  21. #24 Thomas
    19. Januar 2016

    Vermutlich ließe sich die Quelle für die Ausführungen auf Seiten 6-8 der “Kunst” in irgendeinem der in Klübers Literaturverzeichnis zur “Kryptographik” von 1809 genannten Werke finden (Nadel im Heuhaufen)

  22. #25 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    19. Januar 2016

    “Nadel im Heuhaufen”: die Schlußalphabete in der “Kunst” mögen gut aus einer zweiten Quelle stammen. Die Prosaexkurse hingegen, von halben und ganzen Sätzen bis hin zu den längeren Exkursen, halte ich vorerst für frei geschriebene, authentische Einschübe. – À propos Klüber: er kannte natürlich Kortums “Anfangsgründe” inhaltlich, die “Kunst” aber anscheinend nur dem Titel nach; sie wird – Erscheinungsdaten beider Werke – ihm zu spät in die Hände gekommen sein, als daß er sie noch inhaltlich kommentieren können (Wagner ging es 1888 anders herum: er hatte ein Exemplar der “Kunst” zur Hand”, kannte jedoch die wohl schon damals raren “Anfangsgründe, wie schon angemerkt, nur aus einer Rezension). Ironischerweise führt Klüber “Kortum” und die “Kunst” in seinem alphabetischen Literaturverzeichnis nacheinander auf, wie sie ja auch tatsächlich, ihm unwissentlich, voneinander abhängen. Wo Klüber auf das Verbergen einer “Geheimschrift in einer gleichgültigen Erzählung”, z. B. in einer “Fabel” zu sprechen kommt, “so dass nur gewisse Buchstaben oder Wörter, der Abrede gemäss, für die geheime Depesche dienen”, verweist er auf Kortum, jedoch nicht die Kunst: “Beispiele sind 1) wenn man aus dem Aufsatze a) nur dem ersten Buchstaben derjenigen Wörter, welche den Namen eines Thieres oder eine Blume ausdrücken, geheime Bedeutung giebt, oder 2) nur dem ersten Buchstaben der in dem Aufsatze vorkommenden Beiwörter (adjectivorum), Hauptwörter, Perioden u. d. […].” In seiner Fußnote: “a)” bemerkt Klüber: “Solche Aufsätze finden sich in Kortums Anfangsgr. der Entzifferungskunst deutscher Zifferschriften, S. 104, 106, 108, 110, 120.” Klüber bietet damit die ältesten, nur indirekten (!) Hinweise, daß die “Kunst” ein Plagiat sein könne. Wobei abschließend noch das Amüsement anzumerken ist, daß der Konkordienfälscher 1806 in der entsprechenden Fabel aus Kortums kryptologisch bedingtem “Caninchen” (C in ICH ) ein echtes “Kaninchen” gemacht hat.

  23. #26 Thomas
    19. Januar 2016

    Einen Blick wert ist der Verleger: Gottfried Andreas Joachim in Leipzig waren Nachdrucke und Plagiate nicht fremd. Zu seinen Machenschaften und Ermittlungen gegen ihn s. Wögerbauer, Geheime Wege nach Leipzig? Dies mag die Plagiatsthese stützen.

  24. #27 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    20. Januar 2016

    Genau!! “Joachim’s Lit[t]erarisches Magazin”, bzw. die “Joachim’sche Buchhandlung Leipzig”, oder auch “Joachim[‘]s Verlag” existierte frühestens seit 1795, und nachweislich – siehe KVK – bis 1815. Daß ein Verleger des ausgehenden 18. Jahrhunderts unzureichender dokumentiert ist als z. B. jene des 16. und 17. Jahrhunderts, die Josef Benzing so gründlich recherchiert hat, macht ihn nicht “klein” oder “unbedeutend”. Den damaligen Joachimschen Verlag würden wir heute als ein “rühriges”, auf Umsatz bedachtes und nachfrageorientiertes Unternehmen bezeichnen, das sich auf Lehrbücher, Musikalien und Unterhaltungsromane spezialisierte, selbst pseudomedizinische Apparate vertrieb: Ephemera, Zeitbedarf. Das früheste mir bekannte bei Joachim verlegte Werk ist “Mignerons neuerfundenes Verfahren Holz zu verbessern und starke Stämme zu beugen” (1795) (https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10228998_00006.html); an weiteren Titeln seien nur genannt ein “Rezepttaschenbuch zur Philosophie des Lebens” (1803), “25 Deutsche Tänze von Kozeluch” (1803), eine “Briefschule” (1803), “Einhundert und sieben und vierzig ausgesuchte Taschenspielerkünste […]”, und – ebenfalls 1803 – das besonders heute wieder aktuelle Werk: “Was haben die Obrigkeiten zu thun, um dem gemeinen Manne das scheinbare Mißtrauen gegen die Obrigkeiten zu benehmen und ihn zu überzeugen, daß das Bestreben der letztern nur die Wohlfahrt des ersten zum Zwecke habe. Neue Auflage.” Das von der BSB digitalisierte gleichnamige Buch wurde 1803 in “Zerbst, bei Johann Wilhelm Kramer” verlegt (https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10775637_00001.html) Im ZVAB hingegen findet man es, ebenfalls “1803”, mit dem Zusatz “Neue Auflage”, erschienen – in “Joachims litterarischen [sic] Magazin” (https://www.zvab.com/HABEN-OBRIGKEITEN-THUN-gemeinen-Manne-scheinbare/1256989200/buch. Wo ich dies schreibe, noch für läppische € 120,- erhältlich. Wahrscheinlich also ein Joachim-Plagiat. Im “Neuen Teutschen Merkur” vom Januar 1805 wird die “Erste Lieferung” der – unentgeltlichen! – “Neuigkeiten zum Nutzen und Vergnügen für Jedermann” angezeigt, erhältlich “in allen soliden Buchhandlungen und durch die mehresten resp. Ober- und Post=Aemter, Zeitungs=Expeditionen, Adreß=und Intelligens=Comptoire” (Intelligenz-Blatt | des | Neuen | Teutschen Merkurs […] Januar 1805, p. II). Am 16. März 1805 werden im “Neuen Allgemeinen Intelligenzblatt für Literatur und Kunst” für “Joachims Literarisches Magazin” nicht nur Georg Wilhelm Müllers “Theoretische und Practische italienische Sprachlehre für Anfänger” angekündigt, sondern auch der Vertrieb der “Guyton-Morveauschen Apparate zur Vorbeugung u. Tilgung ansteckender Krankheitsstoffe”: es kostete ein “grosser Apparat […] ohne Emballage u. ohne Füllungsstoffe 8 Thlr. 12 gr.” (“NEUES ALLGEMEINES | INTELLIGENZBLATT | FÜR | LITERATUR UND KUNST […]” 16. März 1805, Sp. 220-221). Im selben Jahr erscheint Geitners “Chemisch-Technologischer Robinson: Ein unterhaltendes und belehrendes Lesebuch für die Jugend”, 1808 folgt Schmidts “Neugriechische Sprachlehre”, später auch noch ein paar Rinaldo-Rinaldini-Romane. Zeitgenössische Buchmesskataloge und Rezensionen in Zeitschriften dürften hier noch mehr zu Tage fördern. Joachims Verlag – sowie sein Personal, wenn er dessen denn gehabt haben sollte – wäre zweifellos eine eigenständige Arbeit, wenn nicht ein Buch wert. Ein Buch nicht nur über einen (gelegentlichen) Plagiator, sondern über ein Zeitphänomen: wer, und warum, und wie veröffentlichte er/sie bei Joachim? Ein Buchladen der – zur seiner Zeit anerkannte – antibakterielle Geräte vertrieb!! Fände ich toll im Jahre 2016 (wenn es in den USA denn Buchläden gäbe). Schreiben Sie dieses Buch doch, es ist mein Ernst!

  25. #28 Thomas
    20. Januar 2016

    Ein Gemischtwarenladen! Am anderen Ende der Skala – Bergk, in der Phlilosophiekunst gar unmaskiert. Verbarg sich sonst hinter einem Berg von Pseudonymen, meines Wissens aber nicht dem Vornamen Gestern (BSB!) oder Geheimschriften. Dann war sich auch Hensel wohl nicht zu schade für Joachim. Nochmals zur Blumensprache des Morgenlandes: Ungewöhnlich bleibt aber die Verknüpfung mit Kryptologie in einem Werk. War hier wohl das Mysterienbuch die Anregung für die Ankündigung eines zweiten Bandes in der “Kunst”? Bücherläden mag es hier zwar mehr geben, doch die zunehmende Monokulturalität der vorgehaltenen Palette betrübt.

  26. #29 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    21. Januar 2016

    Natürlich wäre Leos “Mysterienbuch” die Anregung zu einer Fortsetzung gewesen: es wäre genauso umfrisiert worden wie Kortum, ob von Hensel oder jemandem anderen – und: bezeichnenderweise – eher philologisch, denn kryptologisch. Wie schon angemerkt, scheint die Erschießung des Nürnberger Buchhändlers am 26. 8. hier irgendeinen “stop” eingelegt zu haben. Sonst wäre das Plagiat weitergelaufen, über Hensel, oder eine von Joachims Schreibkakerlaken. Hensel war völlig respektabel, bezeichnete sich bis Ende seines Lebens als “Privatgelehrten”, und erlitt – und dies ist nicht zu unterschätzen!
    – das Lenz’sche “Hofmeisterschicksal” (wie übrigens auch Ramler). Es wäre wichtig, zeitgenössische Rezensionen über die “Kunst” einzuholen.

  27. #30 Norbert
    21. Januar 2016

    Der Kortum liegt nun in der Staatsbibliothek Berlin bereit, und ich habe eben einen ersten kurzen Blick drauf werfen können. Zwar scheint mir, dass die umfassenden Rechercheergebnisse von Thomas Ernst, die er dankenswerterweise hier zur Verfügung gestellt hat, keine Fragen mehr offen lassen. Sollten aber trotzdem welche auftauchen, kann ich gerne anbieten, bei Kortum nachzuschlagen.

  28. #31 Norbert
    22. Januar 2016

    Als Zwischenstand kann man festhalten (ich habe mich heute in der Bibliothek davon überzeugen können): Die “Kunst” ist, wie Thomas Ernst schreibt, im Großen und Ganzen ein offensichtliches, wenn auch sorgfältig gearbeitetes Plagiat. Insbesondere der Spruch Salomos und die Blutwunder-Texte sind allesamt schon beim 1782 erschienenen Original von Kortum zu finden. Das spricht leider deutlich gegen die Argumentation von Frau Bernotat. Aus ihrer Arbeit lässt sich aber immerhin die starke Vermutung ableiten, dass Dr. Kortum Mitglied der Bochumer Freimaurerloge “Zu den drei Rosenknospen” war 🙂

  29. #32 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    22. Januar 2016

    @ Norbert: “sorgfältig gearbeitetes Plagiat” – eben das halte ich für entscheidend. Es ist keine flüchtige dumme Abschreiberei, wie z. B. bei dem Wolfenbütteler Trithemius-Woesbruck-Manuskript, das eigens für Herzog August angefertigt wurde (siehe meine “Anatomie einer Fälschung” in “Daphnis”). – Der Kortum-Plagiator hat sich tatsächlich Mühe gegeben – neben den praktischen Auflagen, den Text einfach umzufrisieren – eigene Ideen hinzuzufügen, und dies an mehreren Stellen (die ich Ihnen bezeichnen kann). Und diese Stellen sind eher philogischer und sprachverliebter denn kryptologischer Natur: der Verfasser lenkt um! Das gleiche betrifft das “Mysterienbuch”, das der Philologe Hensel sicher auf dem Regal hatte: es ist eher steganographisch und mystifizierend denn knallhart steganographisch. Hensel lernte noch im Alter von 70 Jahren Spanisch (Nowack), um mit einem “Import” von Havana kommunizieren zu können. Seine eigenständige Schule in Hirschberg, teils von seiner Frau finanziert, bedurfte finanzieller Unterstützung. Nowack erwähnt natürlich keine “Kunst”, aber bei allen diesen Größen – und Hensel war eine davon, kompositorisch und philologisch, eine lenz’sche “Hofmeistergröße”, die die Professur in Halle nicht geschafft hatte – gab es finanzielle Abgründe.

  30. #33 Thomas
    22. Januar 2016

    Als heißer Kandidat kommt auch Johann Adam Bergk in Betracht. Unter seinen Werken finden sich, soweit unter seinem wahren Namen veröffentlich, bereits zwei „Künste“: Die Kunst, Bücher zu lesen (Jena 1799) und die Kunst zu philosophiren (sic), letztere 1805 in Joachims literarischem Magazin in Leipzig. 1806 hat Bergk bei Joachim in Leipzig noch „Verstehen wir auch Bonaparte?“ veröffentlicht, unter dem Pseudonym „Germanus“ und mit dem Verlagsort „Constantinopel“ (s. Emil Wellers „Die falschen und fingierten Druckorte“). Wenn es ganz gefährlich wurde, musste auch der Verlag mit fingiertem Druckort verschleiert werden, so bei napoleonkritischen (Bergk op. cit.) oder erotischen Werken (bei Joachim 1806 etwa: „Kupido. Die Kunst, bei Damen Glück zu machen“, „Die Maitresse“, vermutlich auch das bei Hennings in Erfurt verlegte „Schicksal der vermeinten Gräfin von Ortenburg“). Bei anderen Werken wurde allein der Name des Verfassers geheimgehalten. Hierzu mag auch die „Kunst, geheime Schriften zu entziffern“ gehören; möglicherweise weil es sich um ein Plagiat handelte, mit dem der Autor nicht in Verbindung gebracht werden wollte. Dadurch, dass sich die „Kunst“ mit ihrem Titel an obrigkeitliche Funktionsträger (Feldherren, Postoffizianten etc.) richtete und in der Vorrede bestimmte gegen die Obrigkeit gerichtete Bestrebungen (Ordensverbindungen, Spione etc.) als Ziel von Entschlüsselungsmaßnahmen genannt wurde, sollte wohl in den Hintergrund gerückt werden, dass die im Buch dargestellten Chiffrierungen gerade auch von letzteren nutzbringen eingesetzt werden könnten.
    Dass in der „Kunst“ die „harmonia“ Gottfried Hensels empfohlen wird, überzeugt mich allein noch nicht, um J.D. Hensel als Autor anzunehmen (Die Verwandtschaftsbeziehung ergibt sich i.Ü. aus J.D. Hensels Hirschberggeschichte, in dem g. Hensel als einer der Rectoren geschildert wird, nicht.). Ginge man nach dem cui bono, käme auch Georg Christoph Fembo in Betracht, der in Nürnberg den Kartenverlag Homanns Erben betrieb, von dem die in der Kunst erwähnte Polyglottenkarte und die „harmonia“ herausgab.
    Bei dem in der BSB und der Dt. Nationalbibliothek als Autor genannten Gesternbergk bzw. Gerstenbergk handelt es sich laut einem im Internet zugänglichen Stammbaum um den Vater von Georg Heinrich Karl Jakob Viktor von Gerstenbergk, den 1856 in Weimar verurteilten Fälscher der Schillerautographen. Nach einem Bericht über den Prozess (Anton Vollert, “Der Prozeß wegen betrüglicher Anfertigung Schillerscher Handschriften gegen den Architekten und Geometer Georg Heinrich Karl Jakob Viktor von Gerstenbergk Weimar.” Jena 1856) hat Gerstenbergk jun. seinen Vater als Schneider und Lottocollecteur bezeichnet, der schon früh bei ihm das Interesse an alten Autographen geweckt haben soll. Eine Verbindung zur „Kunst“ ergibt sich aus dem Prozessbericht aber nicht, weshalb mir der Zusammenhang noch unklar ist.
    Ob es sich bei der Chiffre um eine Namens-, Orts- oder sonstige Angabe (kryptologischer Jux) handelt, halte ich nach wie vor für ungeklärt. Um eine weitere (Teil-)Deutung – allerdings ohne Anspruch, insoweit ernstgenommen zu werden – hinzuzufügen: Sieht man sich die in Klübers Kryptographik dargestellte Polizeigeheimschrift an, so steht ein Semikolon für ein protestantisches Bekenntnis.
    Nochmals zum Konkordientag: Hier spricht doch mehr dafür, dass sich der Verfasser an der Angabe in den Anfang des 19. Jh. verbreiteten Almanachen und Kalendern (18. Februar) statt am martyrologium romanum (13. August) orientiert hat, zumal er Protestant gewesen sein dürfte. Die komplizierten Beweisführungen im Zusammenhang mit Luthers Sterbetag (Walch 1750), die dafür sprechen mögen, dass der 18.Februar aufgrund einer Verwechslung in den Kalender gekommen sein kann, dürften keine Rolle gespielt haben.

  31. #34 Thomas
    22. Januar 2016

    Zusatz zu Bergk: Er hat eine weitere “Kunst” verfasst, nämlich die Kunst, zu denken. Kartenwerke wie die Polyglottenkarte und Hensels Buch mit Karte waren ihm sicher bekannt, hat er doch eine Vielzahl landeskundlicher Bücher und Reiseberichte (u.a. Türkei, Syrien, Ostindien, Südamerika) geschrieben.

  32. #35 Norbert
    22. Januar 2016

    Zum “Täterprofil” gehört aber offenbar auch, dass der Plagiator einen Hang zu Trivialliteratur mit vermutlich erotischem Einschlag hatte. Das spricht doch eher gegen Gelehrte vom Schlage eines Bergk oder Hensel, oder erliege ich hier einem Vorurteil?

    Meine Bemerkung bezieht sich auf “Kunst” S. 79f., wo ein chiffrierter Beispieltext aus “Schicksale der vermeinten Gräfin Julie von Ortenburg. Paris 1805” vorgestellt wird. Dieses Werk dürfte lasziven Inhalts sein, dafür sprechen der Inhalt des chiffrierten Zitat, die verschleierte Ortsangabe und eigentlich auch der kurze Auszug, den Tobias Schrödel in einer Rezeption der Jenaischen allgemeinen Literaturzeitung 1804 (sic!) gefunden hat (siehe T. Schrödel, CryptoBits 4, sowie https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00018655/JALZ_1804-Bd.3+4_486.tif).

    Ich finde, dass das “Schicksale”-Zitat bisher zu wenig Beachtung in diesem Forum gefunden hat, und möchte kurz die Aufmerksamkeit darauf lenken sowie bei dieser Gelegenheit gleich eine neue These in die Runde einbringen.

    1.) Bei dem “Schicksale”-Text handelt es sich, wie schon Thomas Ernst geschrieben hat, um das einzige Beispiel eines chiffrierten Textes, welches der Plagiator denjenigen von Kortum hinzugefügt hat (mal abgesehen von “;+ɪΔ+o”), und das an einer Stelle, die doch eigentlich schon genügend spannende Exempel zum Selberlösen bereithält. Warum hat er sich die Mühe gemacht? Weil es noch an Beispielen aus dem halbseidenen Genre fehlte? (Waren denn Lavaters Tagebücher nicht schon trivial genug?) Oder war es ihm einfach nur wichtig, ein zeitgenössisches Beispiel zu finden, um den Eindruck einer frischen, eigenständigen Arbeit zu erwecken?

    2.) Das Kryptogramm in der Einleitung bedient sich offenbar des Zeichenvorrats, den genau diese “Ortenburg”-Chiffre hergibt. Das ist bemerkenswert, auch wenn den Symbolen hier wohl eine andere Bedeutung zuzuordnen ist (nach der Ortenburg-Chiffre ergäbe sich als Klartext CTSPTR, und einen Grund, warum T durch A ersetzt werden sollte, um CASPAR zu erhalten, sehe ich nicht).

    3.) “Schicksale der vermeinten Gräfin” wird vom Plagiator als Quelle nicht nur brav erwähnt, das Werk wird dem Leser sogar schmackhaft gemacht. Kunst S.80: “Dieses letztere Beyspiel ist ein Brief aus dem merkwürdigen Buche: Schicksale (…)” Das Adjektiv “merkwürdig” war zu dieser Zeit m.W. positiv konnotiert, im Sinne von “bemerkenswert”.

    Was folgt aus diesen Punkten? Vordergründig, dass der Plagiator die “Schicksale” zur Hand hat, und dass er das Buch schätzt. Vielleicht hat ihn die Lektüre der “Schicksale” mit ihren Geheimschriften ja erst auf die Idee gebracht, ein Kryptographiebuch zu schreiben (resp. zu plagiieren).

    Könnte es aber denn nicht auch bedeuten, dass er selber der Autor dieses Buches ist und hier die Gelegenheit nützt, subtil die Werbetrommel in eigener Sache zu rühren? Mir gefällt diese These sehr, allerdings wird sie, ähnlich wie die übrigen im Raume stehenden, schwer zu beweisen sein … Aber selbst wenn sie nicht zutreffen sollte, könnten wir uns dem Plagiator möglicherweise annähern, wenn wie die Frage beantworten, wo “Paris” liegt.

    Das ist m.E. schnell geklärt: “Paris” ist Erfurt, damals ein Mekka für Autoren und Verleger, die an der Zensurgrenze publizieren wollten (siehe etwa https://www.iaslonline.lmu.de/index.php?vorgang_id=3818) In Hinrichs’ Halbjahrs-Katalog Juli-Dez. 1804 (sic!) findet sich denn auch für die “Schicksale” die verräterische Angabe “Paris, Hennings” (https://books.google.de/books?id=j35NAAAAMAAJ&pg=PR68&dq=halbjahrsverzeichnis+schicksale+vermeinten+gräfin+ortenburg). Wilhelm Hennings war ein prominenter Erfurter Verleger und wohl eine gute Adresse für heikle Schriften, siehe obiger Link. Damit wäre m.E. “Paris” mit großer Sicherheit als Erfurt identifiziert. (Dass zur Zeit der Erscheinens der “Kunst” Erfurt dann tatsächlich in französischer Hand war, darf man wohl als Ironie des Schicksals bezeichnen…)

    Naja, es dürfte an diesem Punkt bereits klar sein, was ich an der ganzen Angelegenheit so spannend finde: ERFURT passt in das Wortschema.

    Also: “Schicksale der vermeinten Gräfin” wurde in Erfurt publiziert, und ich stelle die Arbeits-Hypothese auf, dass der Autor der “Kunst” mit dem “Schicksale”-Autor identisch ist und in Erfurt lebt. Mit Thomas stimme ich darin überein, dass das Kryptogramm an einer Stelle steht, an der man eine Ortsangabe erwartet. Mein Vorschlag ist also, dass unser Kryptogramm im Klartext “Erfurt” bedeutet.

    Mal sehen, ob ich weitere Argumente für diese These zusammentragen kann … Ein guter Kandidat für den Autor der “Schicksale” wäre jedenfalls z.B. Ignaz Ferdinand Arnold (1774-1812), siehe dessen Wikipedia-Eintrag, aber da könnte vermutlich auch manch Anderer in Frage kommen.

  33. #36 Thomas
    22. Januar 2016

    Leider gibt Emil Weller für die “vermeinte Gräfin” nur den Verlag, nicht aber den Autor an. Das Niveau von Hensel oder Bergk erscheint mir nicht so wesentlich, weil die “Kunst” ja anonym (vielleicht gerade deshalb?) veröffentlicht wurde. Bei Bergk aus Leipzig käme die Deutung der Chiffre als Lipsia bzw. Lipsiae mit Ligatur in Frage, wenn auch der Tag nicht auf Latein angegeben ist.

  34. #37 Norbert
    22. Januar 2016

    In “Verlagsverzeichnis Wilhelm Hennings 1797-1806” von Thomas Kaminski (Erfurt, Ulenspiegel-Verlag, 2011) wird “Schicksale der vermeinten Gräfin von Ortenburg” tatsächlich Theodor Ferdinand Kajetan Arnold zugeordnet (identisch mit Ignaz Ferdinand Arnold, siehe Wikipedia). Arnold war damals eine Art Haus- und Hofschreiber für Hennings: 24 teils mehrbändige Werke in den Jahren 1803-1806! (nach Sangmeister, Mulson: Subversive Literatur. Erfurter Autoren und Verlage im Zeitalter der Französischen Revolution. Göttingen, Wallstein-Verlag 2014)

    Das Geheimnis um Paris und den Autor der “Schicksale” wäre damit schon einmal gelüftet. Dass Arnold auch der Autor der “Kunst” sei, bleibt natürlich vorerst reine Vermutung … Ich finde jedenfalls, dass seine Persönlichkeit, wie sie in NDB beschrieben wird, ganz gut in unser schillerndes Täterprofil passt:
    https://www.deutsche-biographie.de/pnd100017045.html

    @Thomas: Sorry, mir war entgangen, dass Sie Paris=Erfurt schon einen Post vor mir aufgedeckt hatten. Natürlich könnte das Kryptogramm auch Lipsia(e) bedeuten. Mir persönlich erscheint das aber nicht recht logisch. Warum den Ort verschleiern, der auf dem Titelblatt schwarz auf weiß als Verlagsort zu lesen ist? Nun gut, es wäre in diesem Fall wohl einfach ein harmloser Gag des Autors – doch warum chiffriert er dann wiederum nicht “Leipzig”, sondern die latinisierte Form? Finde ich nicht so richtig überzeugend. Ganz anders stellt sich der Sachverhalt dar, wenn “Erfurt” chiffriert wurde. Diese Stadt stand 1808 unter französischer Herrschaft; von den dortigen Behörden als Autor eines Kryptologiebuches decouvriert zu werden hätte Gefahr für Leib und Leben bedeutet. Ist das nicht ein wesentlich plausiblerer Anlass, den Ort zu verschleiern bzw. zu verschlüsseln?

  35. #38 Thomas
    22. Januar 2016

    Nachtrag zu Bergk:

    Von Bergk sind sechs „Künste“ nachgewiesen:

    – Die Kunst, Bücher zu lesen (Jena 1799)
    – Die Kunst zu philosophiren (bei Joachim in Leipzig im
    literarischen Magazin 1805)
    – Die Kunst, Krankheiten vorzubeugen (Leipzig 1824)
    – Die Kunst, reich zu werden (Leipzig 1824)
    – Die Kunst, zu denken, zu sprechen und zu schreiben
    (Leipzig 1825)
    – Die Kunst, sich in unsern Tagen durch die Welt zu
    helfen (Leipzig 1827)

    Die letzten vier sind anonym veröffentlicht worden (Holzmann/Bohatta, Dt. Anonymenlexikon, dort leider ohne Verlagsangabe).

    Daneben lassen sich jedenfalls drei weitere von ihm bei Joachim in Leipzig anonym bzw. unter Pseudonym veröffentliche Schriften finden:
    – Verstehen wir auch Bonaparte?
    – Philosophie des Lebens, des Umgangs und der Lebenskunst
    . Napoleon Bonaparte, nach dem Leben geschildert

    Der Vielschreiber Bergk zeigt sich – auch – als Verfasser von Ratgebern, deren Titel fast ausschließlich mit „Die Kunst…“ eingeleitet sind. Einen Teil seiner Werke (insbesondere Ratgeber und napoleonkritische Schriften) hat er bei Joachim in Leipzig (aber auch anderen Verlagen, wie etwa Baumgärtner in Leipzig) herausgeben lassen.

    Für J.D. Hensel sind weder bei Weller noch bei Holzmann/Bohatta Nachweise zu finden.

    Interessant finde ich Norberts Ansatz: Bei Emil Weller ist ein von Arnold anonym bei Hennings in Erfurt veröffentlichtes Werk nachgewiesen: „Die Jungfrau von London, oder geheime Geschichte von Hannover.“ Ansonsten fehlen bei den in Hennings Verlag herausgegebenen Schriften bei Weller überwiegend die Autorennamen; hier lässt sich lediglich noch ein „H. C. Schiede“ als weiterer Autor anonymer Werke finden. Die „Gräfin“ würde, auch angesichts der von Arnold unter seinem Namen veröffentlichten Bücher, schon in Arnolds Profil passen.
    Die „Gräfin“ ist wohl nur noch in einer ungarischen Bibliothek zu finden; jedenfalls deute ich den Nachweis im Internet als Ungarisch. Sofern nicht jemand die „Gräfin“ zur Verfügung hat, sind hier wohl keine weiteren Erkenntnisse zu gewinnen. Ob es sich bei der Erwähnung in der “Kunst” um Fremd- oder Eigenwerbung handelte, dürfte schwer zu beurteilen sein.

    • #39 Thomas Ernst
      Pittsburgh
      23. Januar 2016

      Ich glaube nicht, daß der Konkordienfälscher mit dem Ortenburg-Verfasser identisch ist. Es erschienen mehrere Ortenburg-Romane um die Jahrhundertwende. Angefangen damit hat Georg Carl Claudius, Pseudonym Franz Ehrenberg (1757 – 1815), “Justus, Graf von Ortenburg: Ein Gemälde menschlicher Glückseligkeit, als Gegenstück zu Salzmanns Carl von Carlsberg. 5 Thle. […] Leipz. Böhme. (Heinsius, IV; woanders vier Teile), Leipzig, 1792-99, und “Eduard, der Zögling der Natur. Ein Familiengemälde vom Verf. des Justus Gr. von Ortenburg” (Brümmer, 116). Die Julie-Romane sind, glaube ich, in Anlehnung an die Justus-Romane geschrieben worden. Denn es gibt noch einen zweiten Julie-Roman: “Die | Pagenburg. | Eine | abentheuerliche Geschichte | von | Julie Liebhold | der vermeinten Gräfin von Ortenburg | aus ihrem Leben erzählt. | Erfurt | bei J. E. G. Rudolphi | 1805.” Ich habe den Titel so von Ebay übernommen, als das Buch dort vor ein paar Monaten angeboten wurde, mit Abbildung von vier Seiten Text; inzwischen gelöscht. Der Liebhold-Roman ist an mehreren Bibliotheken erhältlich, auch in Berlin. À propos Ebay: aus der Justus-Serie wird zur Zeit der zweite Teil auf Ebay angeboten. Die Ortenburg-Romane – ob Justus oder Julie – scheinen so populär wie die Rinaldo-Rinaldini-Romane gewesen zu sein. Der Konkordienfälscher scheint dieses Buch und seine Chiffre(n) zufällig gekannt zu haben. – Nun à propos Bergk: in seiner “Kunst, Bücher zu lesen” (Jena, 1799), Kap. XVIII. “Uiber [sic] lascive Romane”, pp. 266-269 (Digitalisat BSB), verteidigt er dergleichen Romane aus zwei Gründen: 1. ein Verbot solcher Bücher würde nur deren Nachfrage vergrößern, 2. sofern solche Bücher nicht zu grob (“thierisch”) seien, sondern eine Art “Schleier” über die menschlichen Triebe würfen, förderten sie doch eigentlich die Liebe, was eine gute Sache sei. Hayn merkt zu dem in der “Konkordienkunst” zitierten Julie-Roman mit der Chiffre in runden Klammern an: “(Zahmer Roman)”. (Hugo Hayn, “Bibliotheca germanorum erotica”, Zweite Auflage, Leipzig, Verlag von Albert Unflad – ja, so nannte der sich, kein Witz, 1885, p. 281). Daß Bergk diesen “zahmen” Roman kannte und eine Chiffre daraus zitierte, um sein Plagiat auszustopfen wie einen toten Papageien, wäre überzeugend. – Kurzes Abseits: es bestehen große Ähnlichkeiten zwischen den “Hofmeisterschicksalen” Hensel und Bergk: beide waren Kant-Studenten, beiden blieb die erwünschte Professur versagt, beide bezeichneten sich als “Privatgelehrte” (Hensel wiederholt), beide waren Multitalente: bei Hensel der lebenslange Hang zur Musik (er gab sogar eine Klavierschule heraus; er war ein Schüler von Türk), bei Bergk die Philosophie. Hensel war ein dedizierter Friederizianer, er komponierte noch 1812 ein Werk zu Friedrichs 100stem Geburtags, aufgeführt zusammen mit Friedrichs bekannter Sinfonia in D; Bergk scheint sich nicht eben mit der französischen Besatzung verstanden zu haben; der Konkordientag – ich bleibe beim 13. August, dann Erschießung des Nürnberger Buchhändlers, dann entsprechende Verzögerung des Erscheinens des Werks – wäre eine politische Anspielung. Stilistisch liegen Bergk und Hensel allerdings auseinander: Bergk ist “lockerer”, Hensel “gefaßter”. Mir ist die Hypothese Bergk sympathisch geworden. Was nun folgen müßte, ist ein Vergleich der Lexik und Grammatik Bergks mit jener der “Kunst” von 1806, d. h. ein Vergleich nur der umgeschriebenen Passagen und neu hinzugefügten Passagen in der “Kunst” mit einem möglichst zeitgenössischen Werk Bergks (ich weiß nicht, was außer dessen “Kunst” von 1799 auf die Schnelle online verfügbar ist). Ich habe einen – etwas flüchtigen – Vergleich zwischen der Lexik/Grammatik Bergs und jener der “Konkordienkunst” angestellt, und hatte auf mehr Entsprechungen gehofft – ich zähle hier nur einige in der Kunst von 1806/08 erscheinenden Unterschiede von Kortum auf: z. B. “allezeit” vs. “immer”, “gemeiniglich” vs. “gewöhnlich”, Bevorzugung des Imperfekts über das Perfekt, Fallenlassen der Präfixe vor “-jen-“, “mehreste” statt “meiste”, “obschon” statt “obgleich”, “ein Widerspruch seyn” für “im Widerspruch stehen”, “Hierinn[e]” für “hierin”, “worinnen” für “worin”. Doch Bergks “Kunst” von 1799 gibt da nichts ausreichendes her. Noch weniger allerdings Hensels Sprachlehre von 1807. Neun Jahre sind eine lange Zeit für einen gewieften Sprachimitator. Vielleicht würde ein zeitlich der “Konkordienkunst” näherliegendes Werk Bergks mehr hergeben.

  36. #40 Thomas
    22. Januar 2016

    @Norbert:
    Der Hinweis auf Arnold als Autor der “Gräfin” war mir entgangen.
    Dass die Deutung “Lipsiae” in der Tat nicht völlig überzeugen kann, räume ich ein.

  37. #41 Thomas
    22. Januar 2016

    @Norbert
    Ob die Veröffentlichung von Kryptologiebüchern so gefährlich war, bezweifele ich. Schließlich erschien im Jahr darauf Klübers Kryptographik – hier sogar unter dem Namen des Autors – in dem ebenfalls französich besetzten Tübingen. Zudem wird in der “Kunst” gerade die Nutzung durch die Obrigkeit (s. der barock anmutende ausufernde Titel) hervorgehoben; in der Vorrede wird ein Einsatz gegen “Ordensverbindungen” etc. propagiert.

  38. #42 Thomas
    23. Januar 2016

    Vielleicht wäre es sinnvoll, in einen Vergleich Bergks Kunst zu phlilosophiren (sic) von 1805 einzubeziehen (https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/6QA7YC3PK7QET3WDXXJ6X7U7MAORQISE). Ebenso Arnolds “Anleitung zur Beurteilung der Kunstwerke der Malerei für Kunstliebhaber” von 1805 (https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/HYPEKJZNIDXW52WXMTNCIKEEAAFGOTHJ). Bei letzterem fällt mir auf, das sich Arnold als Herausgeber geriert – in der “Kunst, geheime Schriften zu entziffern” tritt auch kein Verfasser/Autor, sondern ein Herausgeber auf. Zudem heißt es in der Vorrede “Erforderniß unseres gebildeten Zeiltalters”, was an das “Zeitbedürfniß” in der “Kunst” von 1808 erinnert. Dies bedarf sicher aber noch näherer Untersuchung.

  39. #43 Norbert
    23. Januar 2016

    “Die Pagenburg” liegt tatsächlich auch in der Staatsbibliothek Berlin. Wenn also dazu Fragen auftauchen: Ich versuche sie gerne zu beantworten! Da dieser Band 1805 bei Rudolphi erschien (vorausgesetzt, das Titelblatt ist darin verlässlich) und Arnold bis 1806 einen Exklusivvertrag bei Hennings hatte, dürfte er ziemlich sicher von einem wiederum anderen Autor stammen.

    Die Argumente pro Bergk finde ich sehr spannend, besonders seine Anmerkung zu lasziven Romanen. Ich habe vor, sprachliche und statistische Vergleiche zwischen der Einleitung der “Kunst” und entsprechenden Bergk-, Hensel- und Arnoldzitaten anzustellen (am liebsten Vorworte zu mehr oder weniger wissenschaftlichen Arbeiten, was die Auswahl bei Arnold etwas einschränkt *g*).

    Für Bergk kommt außer der “Kunst, Bücher zu lesen” besonders die “Kunst zu philosophiren” (1805 bei Joachim!) in Betracht. Deren Vorwort habe ich bereits im PC. Auf die Schnelle fielen mir zwei Dinge auf: Bergk erscheint mir sprachlich wesentlich gewandter als der Plagiator. Er schreibt mit Leichtigkeit deutlich längere Sätze, die stilsicher rhythmisch aufgelockert werden. Das ist aber nur mein erster subjektiver Eindruck. Der zweite Punkt: Während beide Autoren in der Schreibweise seyn, sey übereinstimmen, findet sich beim Plagiator bey, Beyfall, zweyten und im Kapitel “Allgemeine Voraussetzungen” beyden. Bei Bergk 1805 dagegen ganz konsequent bei, zwei, beide. In seiner “Kunst, Bücher zu lesen” von 1799 ist es genauso.
    Beide Beobachtung sprechen auf den ersten Blick gegen die Autorschaft Bergks. Aber ich bleibe dran (das könnte einige Zeit in Anspruch nehmen).

  40. #44 Thomas
    23. Januar 2016

    Eine gute Idee! Gibt es eigentlich eine Möglichkeit, Frakturschrift in ein Worddokument zu übertragen?

  41. #45 Norbert
    23. Januar 2016

    @Thomas: Meiner Erfahrung nach sind die OCR-Ergebnisse von Google & Co bei Frakturschrift nicht zuverlässig und müssen aufwendig von Hand korrigiert werden. Ich persönlich bin schneller, wenn ich alles abtippe und einmal korrekturlese; so bleiben am Ende auch weniger Fehler stehen (und ich kann besser abschätzen, welche ungewöhnlichen Schreibweisen bzw. -fehler wohl auf das Konto des Setzers gehen und stillschweigend korrigiert werden können).

  42. #46 Thomas
    23. Januar 2016

    @Norbert: Danke für den Tipp!
    Zur Schreibung – ei- bzw. -ey- in den eigenen Passagen der “Kunst”: Hier kann der Kompilator um der Einheitlichkeit willen seine übliche Schreibweise an diejenige Kortums angepasst haben, was mit deutlich weniger Arbeit verbunden wäre, als diejenige Kortums an seine eigene anzupassen. .

  43. #47 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    23. Januar 2016

    @ Thomas, Norbert: 1.) zur online-Wortsuche in Fraktur-Texten: ja, eine Wortsuche kann oft unzureichend, wenn nicht geradezu katastrophal auslaufen; es kommt darauf an, von welcher Instanz das jeweilige Werk digitalisiert worden ist. HAB, BNF und BSB z. B. machen es oft sehr gut. Wenn ich auf vergoogeltes Digitalisat eines Frakturtextes stoße, sinkt mir das Herz, ganz zu schweigen von den vielen vergoogelten Textleichen, d. h. den braunen Titelseiten ohne verfügbaren Text, die dann von anderen Bibliotheken oft nicht digitalisiert werden, weil sie scheinbar schon eingestellt sind. Selbst wenn man Wörter in einem der verschiedenen Frakturalphabete eingeben wollte – ich habe keine Fraktur auf meinem Computer -, wären die Ergebnisse sicher nicht besser. Texte selbst abschreiben ist immer am besten, ich habe es jahrelang so gemacht. Ich werde gern noch ein paar Kortum/Kunst-Vergleiche nachtippen. – 2.) “Julie”-Chiffre als einziger Neuzugang: ich glaube, diese Einlage geschah allein wegen des Jahresdatums 1805. Für jene Leser, denen der Rest des Textes vielleicht “etwas bekannt” vorkam. Dasselbe gilt für die Schlußalphabete, für den Titel, für die Vorrede, für die Auflösung von Kortums Paragraphen und deren Neubündelung unter anderen Titeln. 3.) mögliche Gefahr der Veröffentlichung eines Buches über Dechiffrierung: ich halte diese Gefahr für unmittelbar zeitbedingt, zumindest im August 1806, wegen der schon angemerkten Hinrichtung des Nürnberger Buchhändlers Johann Philipp Palm am 26 August 1806 wegen Veröffentlichung eines Napoleon-kritischen Pamphlets. Da werden Verleger und Buchhändler schon etwas in der Wäsche geschlackert haben, denn gegen diesen Hintergrund hätten Stellen aus der Vorrede der “Kunst” – “Die Staaten haben für ihre Sicherheit zu wachen, Spione schleichen in Ländern umher […] In Kriegszeiten ist diese Kunst wahres Bedürfnis […]” – leicht als pro-preußisch und anti-napoleonisch verstanden werden können (wie sie ursprünglich sicher auch verstanden werden wollten). Als die “Kunst” dann 1808 (oder vielleicht schon Herbst 1807) erschien, war der eigentliche französische Einmarsch vorrüber, die Wogen hatten sich geglättet. Und dasselbe gilt für 1809 und Klüber.

  44. #48 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    23. Januar 2016

    Betreffs “-ei”, “-ey”: diese Varianten halte ich für nicht für bedeutend, da sie auf Setzerkonventionen beruhen können. Wenn jedoch regelmäßig Präfixe fortfallen – z. B. “jene” statt “diejenigen”, oder “hierin” zu “hierinne” wird (vielleicht Dialekt-bedingt), “obschon” oder “obgleich”, oder Imperfekt statt Perfekt verwendet werden, so ist das von Bedeutung.

  45. #49 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    23. Januar 2016

    Wie versprochen, mehr Kortum im Vergleich zur “Kunst”, hier Themen “ck” und “k”:
    1) “Anfangsgründe”, ¶ 34 (vollständig, p. 40): “Auf eben die Weise giebt auch das leicht aufzufindende ch Gelegenheit zur Erkennung des k. Es ist schon oben gesagt, daß das c, wenn es kein h bey sich hat, allemal vor einem k stehe. Dieses k lerne ich also aus dem vorherstehenden c kennen. Z. B. Geschmack, dick, Rock, Brücke etc. Daß es wirklich ein k sey, weiß ich ohnedem aus der seltenen Vorkunft dieses Buchstabens k in der deutschen Sprache, folglich auch in der Zifferschrift; imgleichen wenn ich dieses Zeichen niemals in Bigrammen, selten, aber doch zuweilen, in Trigrammen finde, z. B. kann, Kuh u. s. w.”
    1a) “Kunst”, p. 34: “Das K. | Wenn das c kein h bey sich hat, steht es, zumal in der Mitte der Wörter fast immer vor einem k, welches man durch diesen Hülfsbuchstaben am ersten kennen lernt, wie in Geschmack, dick, Rock, Brücke. | Jetzt ist das ck fast durchgehens außer Gebrauch, man bedienet sich entweder das [sic] einfache k, oder wenn es die Theilungsylbe [sic] macht, wie in Brücke, Lücke, Krücke, Stücke, so bedient man sich seiner als Zwillingsbuchstaben, und schreibt, des bucklichen ck lieber Brükke, Lükke, Krükke, Glükke, Stükke. Die angezogene Regel findet also nur in ältern Schriften statt, weil jetzt das ck größtentheils aus dem Alphabete exilirt ist. Im ganzen genommen, kömmt das k verhältnismäßig mit andern Buchstaben nicht so häufig vor, und läßt sich mehr aus dem Zusammenhang errathen.”
    2) “Anfangsgründe”, ¶ 47 (vollständig, pp. 46-47): “Das k wird von einigen neuern statt des ck doppelt gebraucht, z. B. in Bakke, Bekker, lekker, Stekken, Blikke, Bökke, Rokk, Zukker u. s. w.”
    2a) “Kunst”, p. 40: “Das k wird statt des ehemaligen ck doppelt gebraucht: Bäkker, bakken, knakken, stekken, lekken, Knikker, blikken, Bökke, Zukker.”
    Bedeutend an dem überarbeiteten ¶ 34, “Kunst” p. 34, ist “sich bedienen” mit Akkusativ und dann – korrekt – mit Genitiv. In “man bedienet sich […] das einfache k” halte ich “das” nicht für ein verdrucktes “des”, denn “einfache” ist ja auch nicht “einfachen”. Und nur zwei Zeilen später folgt der korrekte Genitiv: “[…] so bedient man sich seiner […].” Der falsche Akkusativ scheint mir kein Flüchtigkeitsfehler, sondern das Durchschlüpfen eines Dia- oder Soziolektes, der von dem – allerdings nicht reflexiven – “benutzen” herrühren könnte: der Mann schreibt “sich bedienen”, denkt und dekliniert aber “benutzen”. – Bei ¶ 47, “Kunst” p. 40 ist der Wandel “von einigen neuern” zu “ehemaligen” auffällig. Das ist nicht allein eine lexische Umfrisierung, wie schon der lange Zusatz über die vermeintliche “Exilirung” des “ck” auf p. 34 zeigt, sondern hier findet ein zeitgenössisches (1806) Rechtschreibeempfinden Ausdruck (Betonte Bevorzugung des “kk” übrigens auch in Hensels “Sprachlehre” von 1807, pp. 235-236). – Ferner zeichnet sich am Abschnitt der “Kunst” über das “k” ein vereinfachendes, auf Eile bedachtes “Rotationsverfahren” ab (was allerdings nur eines der Verfahren des Plagiators ist): unter Kortums acht Wörtern finden sich ein konjugiertes Verb (“Bakke”) und ein Singular (“Rokk”): bei den neun Beispielen in der “Kunst” wohl Änderungen, aber nur Infinitive und Pluralformen.

  46. #50 Thomas
    24. Januar 2016

    @Thomas Ernst:
    Für die verzögerliche Veröffentlichung des Werks mag – auch – ein Grund gewesen sein, dass Joachim seit 1805 Probleme mit den Leipziger Zensurbehörden wegen des von Bergk herausgegebenen “Europäischen Aufsehers” hatte; im Oktober 1806 kam es dann zum Verbot der Zeitschrift (Buttkereit, Helge: Zensur und Öffentlichkeit in Leipzig 1806 – 1813 (2009), S. 90 ff, 227 ff.).
    Hierzu existieren offenbar noch Archivalien im sächsischen Staatsarchiv bzw. Leipziger Stadtarchiv. Ob es allerdings noch Archivalien gibt, die einen Zusammenhang zwischen einem – wohl nicht verbotenen – anonymen Werk und seinem Verfasser belegen (etwa auf Verlagsseite Abrechnungsunterlagen etc.), sehe ich nicht. Jedenfalls lässt sich den online zugänglichen Beständeübersichten für G. A. Joachims Verlag nichts entnehmen; er scheint auch nur etwa 1800 – 1810 existiert zu haben.

  47. #51 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    24. Januar 2016

    @ Thomas: Buttkereit war mir nicht bekannt; allein beim Klang von “Leipziger Stadtarchiv” läuft mir in der hiesigen Wüste das Wasser im Munde zusammen. Aber das nur als “aside”. Ich bin nicht so sicher, ob Joachim bei der Abrechnung in seinem Kontobuch bei einem (ihm natürlich bekannten) Anonymus unbedingt dessen Namen angegeben hätte. Eher glaube ich, daß Bergk in seinem “ledger” einen entsprechenden Betragseingang vermerkt hätte. – Joachim[‘]s Verlag existierte unter verschiedenen Namen – lit[t]erarisches Magazin, Verlag – frühestens seit 1795 (Migneron), wenn nicht schon vorher, bis spätestens 1815 (zwei Rinaldo Rinaldinis). Manchmal erscheint der Apostroph beim Genitiv, manchmal nicht, manchmal auch nur “Joachim”.

  48. #52 Thomas
    24. Januar 2016

    Ab 1822 publizierte Bergk in Augsburg bei der Jos. Wolff´schen Buchhandlung in Augsburg, in der “Expedition des Europäischen Aufsehers” (der 1806 in Leipzig verbotenen Zeitschrift). Auch hier zeigte er sich, wie schon im ersten Jahrzehnt bei Joachim in Leipzig, als Hausautor und Vielschreiber für alle Lebenslagen. In den Bücheranzeigen der Augsburger Zeitung vom 21. Feb. 1830 sind rd. 40 Schriften von Bergk aufgeführt, zum Teil mit Pseudonym. Hier findet man außer politischen und philosophischen Werken eine Vielzahl von Ratgebern. Drei Titel weisen aus meiner Sicht verblüffende Ähnlichkeiten mit dem Titel der „Kunst“ von 1808 auf, auch hier ist jeweils ein längerer „Katalog“ von Adressaten angehängt:

    “Die Kunst, Brod und andere Gebäcke zu backen, oder Anweisung, wie man gutes, gesundes und wohlschmeckendes Brod u.s.w. bäckt. Ein unentbehrliches Handbuch für Bäcker, Oekonomen, Hausmütter, Wirtschafterinnen, Polizeibeamte, Staatswirthschaftskundige, und überhaupt für jeden, der sich von dem Backen des Brodes und seiner Güte unterstützen will.” (unter dem Pseudonym G.S. Wahl).

    “Spieß J.M., der unfehlbare Wetterprophet, oder Anweisung, wie man die zukünftige Witterung erfahren kann. Ein unentbehrliches Handbuch für Bürger und Landleute, für Oekonomen, für Fabrikanten, für Reisende, und überhaupt für jeden, welcher die Witterung im voraus zu wissen wünscht.” (Spieß war ein Pseudonym Bergks).

    „Briefe über die Wichtigkeit, die Pflicht und die Vortheile des Frühaufstehens an Familienhäupter, Geschäftsmänner, Liebhaber der Natur, Studirende und Christen.“ (unter seinem eigenen Namen).

    Die Einleitung vieler Titel mit „Die Kunst, …“ (s. a. mein Post 38) und das Anhängen eines „Adressatenkatalogs“ fallen ins Auge.

    Im “Nekrolog der Deutschen” für das Jahr 1834 (2. Band, S. 1254 ff.) nimmt der Eintrag für Bergk, der fast ausschließlich aus einem Werkverzeichnis besteht, knapp 9 Seiten ein und führt rd. 120 Schriften auf, worin noch nicht ein Großteil der bei Joachim und später bei Wolff veröffentlichten Ratgeber enthalten ist. Ein solches Pensum ließ sich wohl kaum ohne Abschreiben bewältigen. Die Indizien nehmen zu!

  49. #53 Thomas
    24. Januar 2016

    Ergänzung: Neue Augsburger Zeitung vom 21. Feb. 1830

  50. #54 Norbert
    24. Januar 2016

    Der Mann wird mir sympathisch – hat es mich doch immer schon gestört, dass so viele Polizisten totale Nieten im Brotbacken sind 😉
    Wenn man Bergk nur bei ein, zwei weiteren Plagiaten erwischen könnte! Die Berliner Staatsbibliothek besitzt “D. Heinichen, Das Bücherlesen, oder Anweisung, wie man Bücher lesen, welche Bücher man lesen, und welche Zwecke man dadurch zu erreichen streben muß” von 1828. Darin dürfte Bergk sich immerhin selbst beklaut haben. Ich werde das überprüfen und mein besonderes Augenmerk auf stilistisch/grammatikalisches Modernisieren und die bekannte sonstige Spurenverwischerei legen. Bericht folgt.

  51. #55 Thomas
    24. Januar 2016

    Da bin ich gespannt!
    Als Vademecum sei noch ein weiteres Bergkwerk empfohlen:
    “Franklin’s goldenes Schatzkästlein, oder Anweisung, wie man tätig, verständig, beliebt, wohlhabend, tugendhaft und glücklich werden kann. Ein unentbehrlicher Ratgeber für Jung und Alt in allen Verhältnissen des Lebens.” Mehr braucht man doch nicht

  52. #56 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    25. Januar 2016

    Egal, wer das geschrieben hat: “Die Kunst, Brod und andere Gebäcke zu backen, oder Anweisung, wie man gutes, gesundes und wohlschmeckendes Brod u.s.w. bäckt. Ein unentbehrliches Handbuch für Bäcker, Oekonomen, Hausmütter, Wirtschafterinnen, Polizeibeamte, Staatswirthschaftskundige, und überhaupt für jeden, der sich von dem Backen des Brodes und seiner Güte unterstützen will.” Ich bitte um Übersetzung und Neuauflage in den USA. “Brotbacken”, nein “Brot”, ist hier eine Katastrophe! – Ach, das war ein wirklich unkryptologischer Kommentar …

  53. #57 Thomas
    25. Januar 2016

    Eine kleine Korrektur zu Post 52:
    Bergk hat nicht bei Jos. Wolff in Augsburg publiziert. Dabei handelte es sich – was ich falsch gedeutet hatte – um eine Buchhandlung, die in der Anzeige auf die Bücher hinwies (und damit zum Verkauf anbot). Verlegt worden sind sie bei der “Expedition des Europäischen Aufsehers” in Leipzig (s. “Der prophetische Almanach auf das Jahr 1834”, S. 41 ff. – hier betätigt sich Bergk unter dem Pseudonym “Elias der Jüngere” sogar als Prophet). Die “Expedition” war ein Eigenverlag, in welchem Bergk seit 1814 den 1806 verbotenen “Aufsehers” – wieder herausgab.
    Das Backbuch von Bergk habe ich leider nicht mehr gefunden, muss mich daher mit chefkoch-Rezepten oder Dr. Oetker begnügen.

    • #58 Thomas Ernst
      Pittsburgh
      26. Januar 2016

      “chefkoch” mache ich hier mit meinen Studenten; einmal habe ich Thema “Brötchen” versucht. Das hat alle wirklich interessiert Allerdings gibt’s hier keine Mehlnummern. Nach einer Woche – lustig war’s schon -, kamen alle mit hausgebackenen Dinosauriereiern an: steinhart, unverdaulich. – Hat das ‘was mit Kryptologie zu tun? – Ja, schon: sowohl zähes Interesse als der Versuch selbst sind von Bedeutung. Wie bei allen kryptologischen Rätseln; und man bedarf der rechten Zutaten. In Glücksfällen kommt das Unerkannte dabei heraus.

  54. #59 Norbert
    26. Januar 2016

    Die Stabi Berlin besitzt auch:

    “Verzeichniß der aus 14165 Nummern bestehenden und über alle Fächer der Wissenschaften sich verbreitenden Büchersammlung des verstorbenen Herrn Dr. Joh. Adam Bergk, die den 1. September 1836 im rothen Collegio zu Leipzig gegen baare Zahlung in preuß. Cour. gerichtlich versteigert wird.”

    Gestern hatte ich leider nur für eine Stunde Gelegenheit, hineinzuschnuppern, und vor nächster Woche werde ich wohl keine weitere Zeit mehr dafür erübrigen können. Das “Verzeichniß” ist nicht systematisch geordnet, allerdings ergibt sich eine grobe Ordnung wohl daraus, dass sich die Nachlassverwalter notgedrungen von Regalbrett zu Regalbrett gearbeitet haben.

    Eine kleine Kostprobe: In Bergks Bibliothek befand sich “Der unfehlbare Wetterprophet, von Spieß. Leipzig [1]828”, also sein eigenes Werk, Nr. 3940 im “Verzeichniß”, in folgender Gesellschaft:

    3921. Immerwährender Witterungskalender, von J. P. Friedrich. 3e Aufl. Constanz 1825.
    3922. Praktische Wetterkunde, ein Handbuch für Oekoneomen u. Landleute, v. Fresenius. Gotha 1799.
    (…)
    3926. Der untrügliche Wetterprophet. Karlsruhe 1812.
    3927. Meteorologie oder Anfangsgründe zur Wissenschaft der Witterung nach 30jährigen Beobachtungen, v. W. Braunschw. 1764
    3928. Vorkenntniß der Witterung jeden Jahres, jeden Monats u. jeder Woche, v. Keil. 2e Aufl. Leipz. 1795

    Es wäre sicher eine lohnende Aufgabe, hier auf Plagiatsjagd zu gehen.
    Ein Traum wäre es, würden in der Liste irgendwo auch Kortums Anfangsgründe, Schicksale der vermeinten Gräfin, womöglich auch “Henselii Harmonia Linguarum” und “die bekannte Polyglotten-Karte” auftauchen. Ich werde auch darüber berichten, bitte aber vorerst um etwas Geduld.

    P.S.: “Die Kunst grüne Bohnen zu trocknen” (Leipzig 1829) hatte Bergk auch im Regal, aber es scheint von einem Prof. Friedrich Pohl geschrieben worden zu sein. Wie konnte der nur so vermessen sein, einen solchen Titel zu wählen? Ts, ts …

  55. #60 Thomas
    26. Januar 2016

    Das ist ja eine sensationelle Quelle, freue mich schon auf Näheres.
    Und, nicht zu vergessen, vielleicht findet sich noch ein Buch über den Konkordientag und das Werk “Die Kunst, Vorreden zu verrätseln oder Anleitung, nachfolgenden Generationen Kopfzerbrechen zu bereiten, für Vielschreiber und Spaßvögel, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von K.O.M. Pilator”.
    Übrigens würde der Leipziger Buchhändler, Verleger, Auktionator und Verfasser des Versteigerungsverzeichnisses (Weigel) in das Schema unserer Chiffre passen – Fall gelöst!

  56. #61 Norbert
    27. Januar 2016

    Ich habe Textpassagen aus “Der unfehlbare Wetterprophet” mit zwei Büchern zur Wetterkunde verglichen, die in Bergks Bibliothek standen und in der richtigen Auflage online verfügbar waren.

    https://dl.dropboxusercontent.com/u/24025364/Konkordientag/TextvergleichWetterprophet.pdf

    Es ist ziemlich offensichtlich, dass Bergk (auch) hier plagiiert hat. Alles wird gekonnt umgestellt, sprachlich angepasst und ggf. noch ausgeschmückt. Womöglich hat Bergk aus allen fünf in meinem letzten Post genannten Werken einfach ein neues kompiliert, ohne wissenschaftlichen Eigenbeitrag. Entscheidend ist dabei die Art und Weise, wie er es getan hat, und ich muss zugeben, es wirkt auf mich sehr, sehr ähnlich wie das Vorgehen des Autors der “Kunst”.

    Auch zwischen den Vorlagen (Keil und Fresenius) gibt es übrigens Gemeinsamkeiten; man könnte zumindest vermuten, dass beide auf eine gemeinsame Quelle zurückgreifen. Aber immerhin geben sie auch an Ort und Stelle an, dass sie hier zitieren. Keil weniger deutlich: “Einige Regeln der Landleute die Witterung betreffend” – Fresenius deutlich: “In einem (…) Landkalender finde ich Anzeigen eines bevorstehenden Regenwetters so lautend”. Bergk bleibt dagegen ziemlich schwammig, wenn es um das Woher seines Wissens geht. Man muss schon in die Vorrede zurückblättern und findet dort Formulierungen wie “liefern wir eine Menge Lehren und Regeln”, “viele von den sogenannten Bauernregeln über die Witterung enthalten Wahrheiten, deren Ursache man einsieht” und “wir haben hier eine Menge Wahrnehmungen, Erfahrungen, Regeln und Gesetze angeführt”.

    • #62 Thomas Ernst
      Latrobe
      27. Januar 2016

      Ihre Einsicht in das “Schwammige” bzw. Ausweichende Bergks entspricht in etwa jener Friedrich Wagners, der 1888 wohl die “Kunst” zur Hand hatte, doch Kortums “nur aus Citaten und einer kurzen Rezension” kannte. Mit der “Rezension” kann nur jene aus den Göttingschen Anzeigen gemeint sein (“Göttingsche | Anzeigen | von | gelehrten Sachen […] 83. Stück. | Den 11. Jul. 1782, p. 672.). Das reichte Wagner aus, zur “Kunst” anzumerken: “Es scheint nichts wesentlich Neues zu bieten; eine Vergleichung mit der oben gegebenen Inhaltsangabe von Kortums Anfangsgründen macht es vielmehr wahrscheinlich, dass sich der Inhalt mit jenem ziemlich decke. Der Verfasser behauptet zwar, seines Wissens seien noch wenig Werke in diesem Fache erschienen und er nennt kein einziges; aber dieses Verschweigen der Quelle, aus der geschöpft wurde, ist uns ja bei kryptologischen Büchern schon mehrfach begegnet.” (“Studien zu einer Lehre von der Geheimschrift | (Chiffernkunde). | Von | Dr. F. Wagner […] (Schluss).” In: ARCHIVALISCHE | ZEITSCHRIFT. […] DREIZEHNTER BAND. | MÜNCHEN. | THEODOR ACKERMANN […] | 1888, pp. 8-44, hier 32-33).

  57. #63 Thomas
    27. Januar 2016

    Dazu Bergk 1797, also früher, noch selbst: ” Ein Plagiat ist also jede Schrift, welche Ideen eines Andern unter den Namen des Autors des Buchs verkauft, ohne im geringsten dabei zu bemerken, daß sie auf fremden Gebiete entsprungen sind.” (Briefe über Immanuel Kant’s Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 20. Brief).

  58. #64 Norbert
    27. Januar 2016

    Ein moralisches Dilemma? O nein: Einfach die fremden Ideen nicht “unter dem Namen des Autors”, sondern pseudo- oder anonym verkaufen, schon bleibt die eigene Weste weiß 🙂

  59. #65 Thomas
    28. Januar 2016

    @Thomas Ernst
    In den 80 Jahren vor Wagners Kritik scheint die “Kunst” in den Zeitungen, die andere Schriften zur Kryptologie wie etwa Kortums “Anfangsgründe”, das “Mysterienbuch” und Klübers “Kryptographik” besprochen haben, nicht rezensiert worden zu sein. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Lediglich Heinsius führt es in seinem Allgemeinen Bücher-Lexikon von 1812 auf, allerdings nur mit den dort üblichen bibliographischen Angaben.

  60. #66 Thomas
    28. Januar 2016

    Möglicherweise hat man davor zurückgeschreckt, Rezensionsexemplare herauszugeben, um die Aufdeckung des Plagiats zu verhindern.

  61. #67 Thomas
    28. Januar 2016

    @Norbert
    In der StaBi Berlin gibt es das unter dem Pseudonym Erasmus Wunder 1806 bei Joachim erschienene zweibändige Werk “Wundergeschichten aus der Natur- und Menschenwelt” – vielleicht können sie es sich en passant mal anschauen, insbesondere wegen evtl. Angaben unter einer Vorrede?

  62. #68 Klaus Schmeh
    29. Januar 2016

    Vielen Dank an alle für die vielen tollen Beiträge. Ich freue mich sehr, dass mein Blog als Plattform für diese äußert fruchtbaren Diskussionen gedient hat.

  63. #69 Andrea
    Hamburg
    30. Januar 2016

    Hallo, Zufällig entdeckt….:
    Hier einige Hinweise zu Gerstenbergk :
    Bücher zum Vergleich :
    https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10132635_00015.html sowie weitere Bände .
    https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10594449_00005.html
    https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10295451_00003.html
    Zu beachten insbesondere der Stil der Vorworte, auch die Skurriliät . Sie lebten damals im Raum Erfurt , das wäre also damit die Erklärung des Kryptogramms.

    Der familiengeschichtliche HIntergrund sagt nahezu sicher, das die Werke über Mysterien nicht vom angegebenen Verfasser waren, sondern von seinem Vater. Die Familie betätigte sich nachweisbar über etliche Generationen als Schriftsteller und auch Fälscher. Der Umfang des Werkes ist riesengroß, so groß, das völlig klar ist, man hat regelmäßig plagieert .
    Auch Pseudonyme sind von mehreren Familiienmitgliedern bekannt, z.B. Melchior von Kuttenpeitscher alias Sohn des bekannten Fälschers. .

    Das Vorgehen , einfach Kriterien aufzustellen und danach bekannte Personen auszusortieren, scheint mir nicht überzeugend. Ein Mann wie Vater Gerstenbergk, der mit Sicherheit viel geschrieben hat, aber nicht namentlich bekannt war, fällt ja unter den Tisch.

    Wünsche weiter viel Spaß bei der Suche !

  64. #70 Thomas
    31. Januar 2016

    Hier handelt es sich wohl um den Fälscher der Schillerhandschriften (s. #33). Aber welche Hinweise gibt es auf eine schriftstellerische Tätigkeit des Vaters?

  65. #71 f.tisken
    Bremerhaven
    31. Januar 2016

    https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10431141_00005.html
    https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10059327_00005.html
    https://books.google.de/books?id=uTBRAAAAYAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false
    https://books.google.de/books?id=N8UUAAAAYAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false

    Guten Morgen allerseits,
    Meine Freundin Andrea hat mir erzählt von dieser Diskussion. Ich kann Licht ins Dunkel bringen :
    Der Schillerfälscher Heinrich v. Gerstenbergk war mein Ur-Ur-Großvater . Der in Frage kommende Autor war in der Tat sein Vater. Der Hinweis an die bayerische Staatsbibliothek stammt von mir. Ich hatte das Rätsel entdeckt auf einer Ahnenforschungsseite , und ahnte bald Zusammenhänge.

    Von meiner erlauchten Verwandtschaft weiß ich erst seit einigen Jahren . Ich beschäftige mich seitdem intensiv mit der Familiengeschichte und mit den speziellen “Begabungen und Eigenschaften “. Aber zunächst zu eurem Krytogramm und der Autorensuche. Von Beginn an schien mir sehr wahrscheinlich, dass ein Ort gemeint ist und nicht ein Name . Erfahrung mit derartigen Rätseln habe ich nicht, aber viele alte Bücher gesehen . Im Genealogieforum schlug jemand Erfurt vor. Da klingelte es bei mir. Denn schon beim ersten Anschauen des anonymen Büchleins hatte ich ständig das Gefühl gehabt, den Text zu kennen .

    Ich guckte genauer hin : Höchst auffällig ähnlich zu den Werken meiner Vorfahren ist das Vorwort, vor allem der in fast allen Gerstenbergkschen Werken genauso stehende Hinweis, für wen das Buch gedacht ist. Ich habe oben zwei Beispiele verlinkt plus die entsprechende Seite des anonymen Werkes . Intensive Recherchen ergaben für mich keine Hinweise, dass diese Vorgehensweise damals allgemein üblich war. Weiter fiel mir die Schreibweise auf. Das ist auch sehr ähnlich, diese praktische kurze Ausdrucksweise gepaart mit “blumigen Ausdrücken “. Man muss dazu wissen, dass die Herren v. Gerstenbergk Unmengen Bücher verfasst haben, größtenteils kurze Werke , Anleitungen, Schulbücher. Zweifellos dienten die Bücher nur dazu, Geld zu verdienen, denn in Geldnot waren sie immer. Die Themen variierten , man bediente sich vermutlich oft anderer Werke . Sie waren reine Autodidakten, aber hoch begabt, darauf muss ich bestehen als Verwandte…. So entstanden sogar Werke wie eine Geschichte der Mathematik, die es bis zum Schulbuch brachte, oder eine Geschichte Palästinas, obwohl mit Sicherheit keiner von ihnen je dort war.

    Besondere Aufmerksamkeit muss nun dem schrecklichen aber erfolgreichen Buch “Die Wunder der Sympathie und des Magnetismus ” gelten. Das sind insgesamt 6 Bände , veröffentlicht vom Schillerfälscher zwischen 1947 und 1853 . Dort finden sich teilweise wörtlich dieselben Ausführungen zu Geheimschriften und Zaubertinten wie im Bändchen von 1806. . Was für sich natürlich kein Beweis ist, denn die Herren schrieben auch munter ab, allerdings haben sie meiner Kenntnis nach plumpe Plagiate stets vermieden . In denselbem Zeitraum arbeitete Heinrich v. Gerstenbergk auch an Schillers Handschrift, und wer sich das einmal anschaut, wird ihm einen 40-Stunden-Job nicht absprechen. Und nicht nur das, es existieren weitere Bücher aus dieser Zeit ,so die erwähnte Geschichte der Mathematik von 1848 . Rein zeitlich ist klar, das kann nicht alles eine Person produziert haben .
    Der Vater starb 1852, das letzte Buch über Mysterien erschien 1853. Hinterher hat Heinrich v. Gerstenbergk niemals etwas über derartige Themen veröffentlicht , sondern nur mathematisch-naturwissenschaftlich orientierte Bücher, z. B. Bauanleitungen, Berechnungsmethoden . So dürfte es so sein, dass auch der Vater des Schillerfälschers literarisch tätig war , mit anderen Interessen als sein Sohn . Weshalb er nicht unter seinem Namen verlegte, ist wohl klar, da der Sohn, der berühmte Fälscher, ja mehrere Verlage hatte für seine Bücher . Nebenbei sei erwähnt, auch der Sohn des Schillerfälschers, mein Urgroßvater, war Schriftsteller, und diese Merkmale, Massen an Geschriebenem, ungeheure Themenvielfalt , aber auch Oberflächlichkeit , das findet sich ebenfalls. Exakt wie in dem anonymen Büchlein,das ja auch von euch nicht als Meisterwerk eingestuft ist, gleichwohl im ersten Leseeindruck einen rundum gebildeten Autoren aufscheinen lässt . Es war Broterwerb, nicht Kunst, wiewohl sie künstlerisch durchaus begabt waren.
    Weshalb nun v. Gerstenbergk 1806 anonym geschrieben haben soll , vermag ich nicht zu beantworten, aber in Gesamtheit der Fakten spricht m. E. einiges für meinen Ur-Ur- Ur- Großvater. Wichtig zu wissen vielleicht noch, dass er nicht wirklich nur aus Armut stammte, wie man meinen könnte bei den Angaben zu seinem Beruf als Lottocollecteur und Schneider. Er war uneheliches Kind aus der bedeutenden Erfurter Adelsfamilie v. Gerstenberg, Damit nicht mehr adlig und möglicherweise in Armut aufgewachsen , aber wie das Leben so spielt, dies war die einzige Linie derer v. Gerstenberg, die nicht ausgestorben war. So mag er mehr Möglichkeiten und Kontakte gehabt haben, als ein Schneider das üblich hat. Da liegt noch vieles im Dunkeln, Gegenstand meiner weiteren Familienforschung. Hinweise auf hochrangige Förderer dieser Familie gibt es .

    Mit freundlichen Grüßen aus Bremerhaven !

  66. #72 Norbert
    1. Februar 2016

    @Thomas #67:

    Wundergeschichten | aus | der Natur und Menschenwelt, | für | Freunde des Wunderbaren, der Menschen- | und | Naturkenntiß, | von | Erasmus Wunder [i.e. J. A. Bergk], | keiner Fakultät Doktor, aber jeder | Wissenschaft Freund. | Erstes Bändchen. | Leipzig 1806 | in Joachims literarischem Magazine.

    [S. III f.]
    Vorrede.
    Wahrheit des Erzählten ist die erste Foderung, die man an einen Erzähler von Wundergeschichten zu machen hat, und diesen Zweck hat der Verfasser dieses Buches stets vor Augen gehabt. Er will durch diese Sammlung von wunderbaren Nachrichten sowohl zur nähern Kenntniß des menschlichen Geistes, als der Natur der Thiere beitragen. Bei der Erklärung mehrerer merkwürdigen Erscheinungen hat er auf die Ideen Rücksicht genommen, welche der Dr. Gall über die Geistesorgane verbreitet hat, und er ist überzeugt, daß sich eine Menge außerordentlicher Erscheinungen der Natur und des Menschen ganz vortreflich [sic] aus der Organenlehre erklären lassen. Er hoft [sic], daß er durch dieses Werk auch etwas zur Verbreitung und Prüfung dieser Lehre beigetragen werden [sic!].

    Sollte diese Sammlung eine günstige Aufnahme finden, so würde in einiger Zeit ein zweiter Band nachfolgen.

    D. den 14 Nov. | 1805.       E. Wunder.

  67. #73 Norbert
    1. Februar 2016

    @f.tisken #71:
    Vielen Dank, dass Sie sich hier ins Forum einbringen! Nun ist endlich das Rätsel gelöst, warum die BSB Georg Victor Carl von Gerstenbergk als mutmaßlichen Verfasser angibt 🙂

    Sehr interessant wäre für mich, die Textstellen zu Geheimschriften und Zaubertinten nachvollziehen zu können, welche in “Wunder der Sympathie” Ihren Angaben zufolge der “Kunst” teilweise wörtlich entnommen sind. In welchem der sechs Bände findet man die? Fünf Bände konnte ich online ausfindig machen, habe aber die entsprechenden Stellen noch nicht gefunden. Vielleicht könnten Sie die entsprechenden Zitate hier posten? Wenn Heinrich von Gerstenbergk “Die Kunst geheime Schriften zu entziffern” zum Abschreiben zur Verfügung hatte, wäre das sicherlich ein Indiz für Ihre These, dass es des Vaters Buch war.

    Es wäre außerdem sehr hilfreich, wenn Sie noch weitere Informationen beisteuern könnten, die Ihre Vermutung stützen. Vor allem: Gibt es außer den von Ihnen genannten irgendwelche weiteren Hinweise auf eine schriftstellerische Tätigkeit Georg Victor Carls?

    Im folgenden drei Anmerkungen, als Diskussionsanregung gedacht:

    Die Tatsache, dass Heinrich v. G. den letzten Band von “Wunder der Sympathie” 1853, ein Jahr nach des Vaters Tod, herausgab und danach die Reihe abbrach, spricht m. E. nicht zwingend dafür, dass diese Bände vom Vater verfasst wurden. Sicherlich ist das eine Möglichkeit. Aber andererseits war 1853 doch die Diskussion um die Echtheit der Schillerschen Autographe schon längst entbrannt (nach Vollert, Der Proceß wegen betrüglicher Anfertigung … Jena 1856). Auch wenn Heinrich v. G. vermutlich realitätsausblendend bis zum letzten Moment den Unschuldigen mimte, könnte doch der ganze Skandal bei ihm letztlich zu einem Sinneswandel dahingehend geführt haben, dass er sich entschloss, fortan nur noch unangreifbare, “seriöse” Sachen zu publizieren? Immerhin galt es einen angeknacksten und 1856 dann ruinierten Ruf wiederherzustellen. Das wäre für mich ein hinreichend plausibler Grund für das Einstellen der “Wunder”-Reihe (vielleicht verkauften sich diese Bücher auch einfach nicht mehr, möglicherweise war das Thema nach so vielen Fortsetzungen aus der Mode gekommen).

    Zweitens: Ob der enorme Output von Heinrich v. G. von einem Menschen allein nicht zustande gebracht werden konnte, kann ich natürlich nicht beurteilen, aber es gab definitiv (nicht nur) im 19. Jh. Schriftsteller, und der von Thomas vorgeschlagene J. A. Bergk gehört ebenso dazu wie der von mir ins Spiel gebrachte (aber an der “Kunst” wohl unschuldige) Arnold, deren enormes publizistisches Pensum unsere heutige Vorstellungskraft übersteigt. Ich sehe zunächst einmal keinen Grund, warum Heinrich v. G. nicht auch zu diesem Personenkreis gezählt haben könnte … Und Georg Victor Carl v. G. war bei Erscheinen des ersten Bands von “Wunder der Sympathie” Nr. 1 immerhin schon 90 Jahre alt, da würde ich die große Produktivität in den “Fälscher-Jahren” doch hauptsächlich seinem Sohn zutrauen.

    Drittens: Die Ähnlichkeit der Buchtitel ist, insbesondere bei “Katechismus der Architektonik”, tatsächlich auffallend. Allerdings hat Thomas im Post #52 mehrere Titel von J. A. Bergk aufgeführt, die durchaus demselben Schema entsprechen. Für Bergk spricht darüberhinaus, dass er viele seiner Bücher mit dem Titel “Die Kunst, …” versah, dass er nachweislich 1806 bei Joachim in Leipzig publiziert hat, und dass wir ihn hier bereits in einem anderen Fall des Plagiats überführen konnten.

    Übrigens finde ich die Lektüre der “Wunder der Sympathie”-Reihe nicht nur amüsant, sondern auch sehr lehrreich; diese Bücher erzählen ja enorm viel über das Leben und die Alltagsnöte der Menschen dieser Zeit 🙂

  68. #74 f.tisken
    2. Februar 2016

    @Norbert,
    Es ist nicht einfach, aus der Fülle Gerstenbergkscher Verrücktheiten in kurzen Beiträgen das Wesentliche zu berichten. Aber ich will fortsetzen , beginne jedoch noch einmal am anderen Ende des Fragenkatalogs, mit dem Kryptogramm. Meiner Ansicht nach ist dies kein lösbares “Kryptorätsel”, da es kein Familiennamen sein kann. Niemals schrieb ein deutscher Autor damals seinen Namen links neben das Datum. Da stand der Ort,immer. Warum hätte unser Autor abweichen sollen ? Ich glaube auch nicht an die große Bedeutung des Konkordientages . Der Schriftsteller wollte geheimnisvoll erscheinen und einen kleinen Spaß machen. Mehr lese ich beim besten Willen nicht , und das passt wunderbar zu dem geradezu kitschig anmutenden , zugleich vermeintlich politischen und doch nichtssagenden Vorwort, dem eine Art Schulbuch dritte Klasse folgt. Da mixt einer munter ein Büchlein , ein Sammelsurium zusammen.

    Womit ich die Überleitung gefunden habe zum Schreibstil meiner lieben Vorfahren . Diese Ähnlichkeit war es zunächst, die mich die Verbindung vermuten ließ , nicht etwa einzelne Wörter oder Passagen . Abgeschrieben haben sie ja sowieso. Die Bücher Heinrich v. Gerstenbergks und seines Sohnes Karl v. Gerstenberg ( mein Urgroßvater ) fallen auf durch eine ganz eigenartige und fast unverwechselbare Art , zu schreiben . Man findet eine rätselhafte Mischung , EInfachheit, Trivialitäten, Schulbuchmethoden , Aneinanderreihungen , Themenwechsel, ungewöhnliche Verknüpfungen. Schwülstige Überzeichnungen, pseudopolitische Ausführungen, alles komplett aussagelos , ohne persönliche Wertungen . Zugleich aber gut geschrieben, strukturiert, rhetorisch gewandt . Es fehlt nur stets der rote Faden, der Grundgedanke eines Werks, der gedankliche Aufbau. Und man fragt sich bei jedem Leseversuch, wieso das so ist, bei einem so redegewandten und gebildeten Autoren. Über den Urgroßvater existiert ein Gutachten der Schillerstiftung, er hatte dort ein Stipendium beantragt. Man hat ihn als Epigonen der lebenden Dichter bezeichnet . Als Nachfahrin sage ich fast traurig, ach sie hätten gekonnt, sie hatten viel mehr Talent als viele andere. Aber sie brauchten Geld, suchten Schnipselchen zusammen, die sie geschickt verbanden zu neuen Büchern. .Das allerdings konnten sie meisterlich .
    Eine seltene Mischung von Vermögen und Unvermögen puls Dreistigkeit war das, und die fällt mir auch sehr auf in der “Kunst” . Darüber bin ich gestolpert.

    Johann Adam Bergk dagegen zu stellen , macht noch klarer, was ich meine. Mit großem Vergnügen habe ich die letzten zwei Tage mitgelesen und nachgelesen . Von all den hier genannten möglichen Autoren scheint er auch mir am ehesten in Frage zu kommen , es gibt Übereinstimmungen. Dennoch glaube ich nicht daran. Er war quasi das Gegenteil, einer , der mit dem Schreiben bewegen wollte. Banalität fand ich in keinem der vielen online lesbaren Bücher. Seinen Titeln ” Die Kunst…” folgten immer ( vielleicht abgesehen von der Brodbackkunst, dazu später noch kurz ) eigenständige und philosophische Gedanken. Seit 1805 war er Herausgeber einer Leipziger Zeitung, er war also damals nicht als freiberuflicher Hungerleider auf die Publikation dümmlicher Büchlein angewiesen . 1806 stand Bergk in Leipzig gegen Napoleon und musste im Oktober fliehen. Völlig unvorstellbar, er habe sich mit einem schulbuchartigen Aufzählen von Buchstaben befasst zu dieser Zeit. Vorstellbar durchaus , er habe ein versteckt politisches Büchlein verfasst , aber die “Kunst” ist restlos banal und neutral , da finde ich nicht die kleinsten Hinweise ,sie solle dem Kampf gegen Napoleon gedient haben .

    (Fortsetzung folgt gleich )

  69. #75 Thomas
    2. Februar 2016

    Sieht man sich die Angaben unter den Vorreden in den Schriften Bergks ab 1804 – soweit als Digitalisat verfügbar – an, ergibt sich Folgendes:
    (Die Titel gebe ich zur Vereinfachung z.T. etwas verkürzt wieder.)

    Bis zum 11.Okt. 1805 schließen die Vorreden stets mit der Ortsangabe „Leipzig“ und dem Namen „Bergk“:
    „Psychologische Lebensverlängerungskunde“: Leipzig, 23. Apr. 1804 Bergk
    „John Barrow´s …. Neue Reise“: Leipzig, 7. Okt. 1804 Bergk
    „Die Kunst zu philosophiren“: Leipzig, 1. Apr. 1805 Bergk
    „Reise in Persien“ Leipzig, 17. Mai 1805 Bergk
    „Schilderung des türkischen Reichs“ Leipzig, 31.Jul. 1805 Bergk
    „W. Bingley´s Biographie der Thiere“, 2. Band Leipzig, 11.Okt. 1805 Bergk

    Entsprechende Angaben unter den Vorreden sind dann erst wieder ab dem 12. Feb.1808 zu finden:
    „Reise in Holland“: Leipzig, 12. Feb. 1808 Bergk
    „W. Bingley´s Biographie der Thiere“, 3. Band Leipzig, 11. Apr. 1810 Bergk
    „C.F. Tombe´s Reise in Ostindien“ Leipzig, 4. Mai 1811 Bergk
    (Ab 1808 erschien auch wieder der im Okt. 1806 verbotene „Europäische Aufseher“)

    In der Zeit dazwischen sind nur Werke erschienen, die keine Verfasserangabe enthalten, unter einem Pseudonym veröffentlicht sind und/oder keine nähere Datumsangabe aufweisen:
    „Wundergeschichten…“ D., 14. Nov. 1805 E. Wunder(Danke, Norbert!)
    „Reise nach Paris“ 1806 (Erscheinungsjahr)
    „Verstehen wir auch Bonaparte?“ 1806 (Erscheinungsjahr)
    „Ist Chursachsen nicht ebenso gut…“ 1806 (Erscheinungsjahr)
    „Napoleon wie er leibt und lebt“ 1806 (Erscheinungsjahr)

    Dies zeigt, dass sich Bergk insbesondere im Jahre 1806 wegen der Zensur durch die Leipziger Bücherkommission und die Universität nicht mehr traute, unter seinem wahren Namen zu publizieren. Seit März 1805 hatte er die Hälfte des von ihm herausgegebenen „Europäischen Aufsehers“ außerhalb von Leipzig drucken lassen, was dazu führte, dass er im Juli 1806 durch ein Reskript aufgefordert wurde, sämtliche Stücke wieder in Leipzig zensieren und drucken zu lassen (Buttkereit, Helge: Zensur und Öffentlichkeit in Leipzig 1806 – 1813 (2009), S. 90). Im Oktober 1806 marschierten nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt die Franzosen in Leipzig ein (s. die 1807 anonym veröffentlichte – nicht Bergk zugeschriebene – Schrift „Leipzig seit dem Einmarsch der Franzosen am 18. October 1806… von einem stillen Beobachter“). Vorher war Bergk aus Leipzig geflohen, weshalb das Verbotsreskript vom Oktober 1806 nur noch seinem Verleger Joachim bekannt gemacht werden konnte. Bergk begab sich zunächst nach Dresden, wo er Carl August Böttiger besuchte, später nach Pirna, wo Unterschlupf fand und am 4. November 1806 unter dem Decknamen „Dr. Albrecht“ an Carl August Böttiger schrieb (Abdruck bei Buttkereit op. cit, S. 22). Anfang 1807 kehrte er nach Leipzig zurück.

    Der „Konkordientag“ lässt sich, folgt man der Auffassung Thomas´ Ernst, dass der 13. August gemeint war, wie folgt deuten: Nach Unterzeichnung der von Napoleon initiierten Rheinbundakte waren am 1. Aug. 1806 16 Fürstentümer aus dem Reich ausgetreten; am 6. August 1806 wurde die Abdankung des Kaisers, Franz I., bekanntgegeben. Sachsen trat erst wesentlich später am 11. Dezember 1806 nach dem mit Frankreich vereinbarten Frieden von Posen dem Rheinbund bei. Vor diesem Hintergrund nahm der Verfasser mit der ungewöhnlichen Datumsangabe Stellung gegen einen Beitritt weiterer Fürstentümer zum Rheinbund und damit für die Wahrung der Einheit des alten Reiches deutscher Nation (concordia = Eintracht). Dies passt zur ausgesprochen napoleonfeindlichen Haltung Bergks.

    Alles zusammengenommen, nämlich die Zusammensetzung des Titels der „Kunst“ im Vergleich mit anderen Werken Bergks (s.o. #52), die Abfassung einer Vielzahl von Ratgebern, die Zusammenarbeit mit dem Verleger Joachim, die „Einpassung“ in den zeitlichen Ablauf in Bezug auf die Schriften Bergks und die Leipziger Ereignisse 1805/1806, zudem die Betonung der politischen Position mit dem „Konkordientag“, halte ich Johann Adam Bergk für den Autor der „Kunst“.

    Übrigens hat der arme Lavater, den schon 1782 Kortum mit der Entschlüsselung chiffrierer Tagebuchpassagen (s. a. Klausis Krypto vom 5.11.2015!) in den „Anfangsgründen der Entzifferungskunst“ bloßgestellt hatte, was 1808 – posthum – mit der Übernahme in der „Kunst“ erneut ans Tageslicht gezogen wurde, von Bergk im Zusammenhang mit dem Tagebuch nochmals eins drüberbekommen: „Lavater hat ein Tagebuch geschrieben, wo er Beobachtungen über sich selbst angestellt hat. Er ist ein arger Schwärmer, der oft Dinge vorbringt, die mit der Vernunft gar nicht zusammenhängen; den meisten Schaden hat er sich wohl durch dieses Buch gethan.“ (unter dem Pseudonym Fr. Ch. Starke in: Immanuel Kant´s Menschenkunde oder phlilosophische Antropologie, 1831, S. 13)

    Die Gesternbergk-These überzeugt mich derzeit nicht. Hinweise auf eine schriftstellerische Tätigkeit des Vaters des Fälschers der Schillerhandschriften sehe ich nicht. Dieser hat vor dem Gericht den Beruf seines Vaters lediglich mit „Schneider und Lottocollecteur“ angegeben; höchstwahrscheinlich handelt es sich bei dem Vater um den „G. von Gerstenbergk“, der im Einwohnerverzeichnis von Weimar für 1851 als „Kollekteur und Geldnegociant“ bezeichnet ist. Personenstandsangaben (Kirchenbucheinträge etc.), denen vielleicht näheres zu entnehmen ist, stehen mir nicht zur Verfügung, zumindest ließ sich bei den Mormonen, die viele Kirchenbucheinträge ins Netz gestellt haben (familysearch.org), nichts finden. Allein von der schriftstellerischen Tätigkeit des Sohnes, eines Architekten, lässt sich nicht ohne Weiteres auf eine ebensolche des Vaters rd. 40 Jahre zuvor rückschließen. Stilistische Ähnlichkeiten zwischen den Schriften von Gerstenbergk jun. und der „Kunst“ können darauf beruhen, dass er sich den Stil (wenn nicht noch mehr) älterer Werke angeeignet hat.

    Schließlich möchte ich noch einen Versuch unternehmen, das Kryptogramm zu deuten: Zwar ist Bergk vermutlich erst kurz vor dem Einmarsch der Franzosen im Oktober 1806 aus Leipzig geflohen. Möglicherweise aber hat er angesichts drohenden Unheils schon zuvor Fluchtmöglichkeiten in Richtung Osten – er kam in Pirna unter – sondiert und sich dabei in Meißen aufgehalten. Kontakt nach Meißen bestand; dort waren 1802 bzw. 1803 die „Theorie der Gesetzgebung“ und die „Philosophie des peinlichen Rechts“ verlegt worden.

  70. #76 f.tisken
    2. Februar 2016

    (Fortsetzung) :
    Sehr beschäftigt haben mich formale Aspekte. Die HInweise auf mehrere Werke Bergks (Post 52), die ebenfalls eine Liste von Adressaten enthalten, sind spannend. Den dritten dort erwähnten lasse ich einmal beiseite, da er eine Übersetzung ist und sich AN Kreise richtet. Aber die anderen beiden entsprechen fraglos dem Schema . Ich bin bloß nicht so sicher, ob diese Bücher von ihm sind. G.S. Wahl zählt nicht zu den sehr vielen Pseudonymen, die bei Bergk bekannt sind, siehe z. B. Kalliope. Der unfehlbare Wetterprophet gibt jedenfalls ein verzeichnetes Pseudonym an. Da die Gerstenbergks ständig auch unter Pseudonymen schrieben, und ich schon einige Überraschungen erlebte , vor allem einige Falschbezeichnungen im Internet, bin ich allerdings vorsichtig. Online wird so vieles ,was einmal einer zusammengehörig meinte, von einer zur nächsten Seite übernommen . In einem Verzeichnis von 1829 finde ich Bergk lediglich als Verleger angegeben. . Inhaltlich wollen die beide Werke in keiner Weise zum anderen Geschriebenen passen .” Die Kunst, Brot zu backen”” war , nach den Googleergebnissen zu schließen, damals auch eine geläufige Redewendung, also nicht in Verbindung zu bringen mit den anderen ” Künsten ” , die Bergk beschrieb. Hätte derselbe Mann, der Kantsche Gedanken formulierte in seinen “Die Kunst “-Büchern, genauso das Brotbacken beschrieben ? Ich habe zumindest Zweifel .

    Formal für mich hoch auffällig ist aber, wie sowohl der Autor der Kunst als auch der Autor der Magnetismus-Reihe den Begriff des Herausgebers falsch einsetzen . Der offizielle Autor Heinrich v. Gerstenbergk tat das in keinem anderen Werk ! Ich sehe also auch formale Gründe, an seiner Autorenschaft zu zweifeln. Und auch bei allen anderen hier vorgeschlagenen finde ich eine begriffliche Trennung von Verfasser und Herausgeber. Bergk nahm es damit sehr genau. Nur wo er tatsächlich Herausgeber war , nannte er sich auch so. Der sich Herausgeber nennende Arnold war ebenfalls Herausgeber , es war offensichtlich üblich, die Begrifflichkeiten zu unterscheiden . Nur die Autoren der Kunst und des Magnetismus hielten es anders .

    Abschließend einige kurze Informationen zur Familie v. Gerstenbergk : Betrüblicherweise hatte mein Herr Ururgroßpapa nicht die geringste Lust, seinen durch Schillerfälschungen ramponierten Ruf wieder zu verbessern . Die “Schillersche Fabrik” ( so nannte man sie damals ) war nicht seine letzte Gaunerei . Zwei seiner Söhne, darunter mein Urgroßvater, verstanden sich ebenfalls auf Fälschung und Hochstaplerei, und meine Großmama hat es zumindest einmal auch getan. Das Schillerproduktionswerk hatte solche Dimensionen,dass bereits damals angenommen wurde, Heinrich v. Gerstenbergk könne das nicht allein betrieben haben. Ich habe heute sehr viele Indizien dafür, dass mein damals noch jugendlicher Urgroßvater der Fälscher war, und die älteren Herren den Betrieb leiteten und dichteten. Man muss sich unbedingt diese Familie als Familienunternehmen vorstellen . Vater Gerstenberg war nicht, wie im Internet steht, 1858 geboren, sondern 1872 .

    Der wunde Punkt all meiner Argumentation ist bloß, dass ich bis heute über Georg Victor Carl v. Gerstenberg zu wenig weiß. Ich schließe also seine Autorenschaft aus der sehr begründeten Vermutung, er müsse den Magnetismus verfasst haben, aus der großen stilistischen und inhaltlichen Ähnlichkeit zum Autoren der “Kunst “, aus der formalen Auffälligkeit , dass beide Autoren die Ausdrücke Verfasser und Herausgeber synonym verwendeten . Dies alles vorausgesetzt, zeigt das Kryptogramm sinnvoll den Wohnort Erfurt an , und auch das passt stimmig . Weit stimmiger, als Variationen über Leipzig auf Latein .

    Na, das war nun viel, aber sollte doch etwas mehr Erklärung sein für einen Zusammenhang, der mit Kenntnis des Gerstenbergkschen Werkes zumindest sehr naheliegend ist.
    .

  71. #77 Norbert
    3. Februar 2016

    Bergks Nachlassverzeichnis habe ich inzwischen durchgearbeitet und muss leider berichten, dass ich weder Kortums “Anfangsgründe” noch “Die Kunst geheime Schriften zu entziffern” unter den 14165 Nummern finden konnte. Es ist durchaus möglich, dass mir in der schieren Menge die entscheidenden Zeilen entgangen sind, aber ich glaube doch, einigermaßen konzentriert gearbeitet zu haben. Schade, denn einige Bergk zugesprochene Titel, die ich so im Kopf hatte, standen – oft mehrfach – in seinem Regal (inklusive “Die Kunst Brod und andere Gebäcke zu backen” von G. S. Wahl übrigens).

    Meinen Textvergleich zum Wetterpropheten konnte ich um eine weitere Quelle erweitern, von der Bergk abgekupfert hat: J. P. Friedrich, Immerwährender gemeinnütziger Witterungs-Kalender, Constanz 1823. Bei Bergks einleitenden Worten “Wir fügen hier einen Witterungs-Kalender bey, welcher einige Wahrheiten, mehrere zweifelhafte Behauptungen und einen Theil Aberglauben enthält […]” fragt man sich nicht nur, wieso er die Quelle nicht beim Namen nennt, sondern vor allem, warum er sie denn in Gottes Namen in sein Buch übernimmt, wenn er sie schon selber so geringschätzt. Die Antwort kann eigentlich nur lauten: Weil das Buch voll werden und Geld in die Kasse musste. Ich sehe keinen wirklichen Widerspruch zu Bergks Enthusiasmus in den “ernsten” Arbeiten, mit denen er sich finanziell offenbar nicht über Wasser halten konnte. So sind wir Menschen – hundertprozentige Helden sind selden ;-). Siehe auch hier (solange es noch zum Verkauf steht …)

    Trivia: Bergk immatrikulierte sich an der Leipziger Universität am 11. Mai 1790. Damit wäre es denkbar, dass er Johann Christian Wilhelm Augusti über den Weg gelaufen ist, der am 15. Mai 1792 von Jena nach Leipzig wechselte. Die (Krypto-)Welt ist klein.

    P.S. @f.tisken: Bitte noch die erwähnten Textstellen aus “Wunder der Sympathie”. Danke!

  72. #78 Thomas
    3. Februar 2016

    @Norbert
    Schade, über 400 Seiten Bücherverzeichnis durchzusehen war bestimmt kein Zuckerschlecken.
    Das mit dem Finanzbedarf sehe ich ebenso – Bergk hatte fünf Kinder und sich mehrmals erfolglos um eine Professorenstelle bemüht.

  73. #79 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    7. Februar 2016

    @ Norbert: Bergks Nachlassverzeichnis – beneidenswert: Verfügbarkeit des Verzeichnisses, und Ihre flinke Arbeit daran!! – Noch ein paar Gedanken meinerseits, einiges vielleicht schon erwähnt: an, in und für sich finde ich allein den Umstand, daß ein so unbedeutendes Buch wie die “Kunst”, zumalen noch ein Plagiat, solch eine stürmische Reaktion ausgelöst hat, faszinierend. Gleichzeitig gebe ich willig zu, daß mein eigener Hensel einen Fuß auf einer Bananenschale, den anderen im Grabe hat. Womit wir alle am schnellsten weiterkommen würden, wäre die lexische und grammatikalische Forensik der “Kunst”. “Le style, c’est l’homme”, und dies nicht im psychologischen Sinne. Welcher Sprache Kind war der Plagiator an jenen Stellen – und es sind derer recht viele – die er nicht direkt aus Kortum abgeschrieben, sondern in seiner eigenen Sprache wiedergegeben hat? Und dazu scheinen online-Quellen – zur Zeit zumindest – nicht auszureichen. “Je länger man ein Wort anschaut, desto fremder schaut es zurück”, schrieb Karl Kraus 1919. Außer des/m seltsamen “sich bedienen” und anderer/n Sachen, die ich schon eingestellt habe, hier nochmal so ein Vergleich; zuerst “Anfangsgründe”, dann “Kunst”:
    Egipter (12) > Aegyptier (2), Hieroglyphen (12) > Hierokliphen (2), Cyprian (13) > Zyprian (3), Cryptographie (13) > Krypthographie (3, sic), geneigt gewesen ist (13) > geneigt war (2), hat […] gemacht (13) > machte (3), denjenigen Theil (13) > jenen Theil (3), glaubten (13) > waehnten (2), das meiste (16) > das Mehreste (4), dem besten Entzifferer (17) > dem geübtesten Entzifferer (5), Geduld und wiederholte Versuche (18) > Scharfsinn, Geduld und Beharrlichkeit (6), Obgleich (19) > Obschon (9), Diejenigen, welche (19) > Jene, welche (9), mit gemeiner Schrift (19), mit gewöhnlicher Schrift (9), vorkommenden (19) > erscheinenden (9), giebt (19) > gibt (10), worinn (20) > worinnen (11), hierin (24) > hierinne (15), von denen verzeichneten (24) > von den verzeichneten (15), bemerket (24) > bemerkt (15), imgleichen (24) > ingleichen (15), gemeiniglich (24) > gewöhnlich (15), obgleich nicht allezeit (24) > wenn schon nicht immer (15), der Anfang der Schriften (24) > der Anfang der Schrift (15), ohne Vokalen (24) > ohne Vokal (15); |ans (20; anscheined mit “|” bezeichneter und stehengelassener Druckfehler) > aus (10), Zins (23) > zieß (15), und was folglich die Ziffern, aus welchen das Wort besteht, vor eine Bedeutung haben können (24) > und was sogleich die Ziffern aus welchen das Wort besteht, für eine Bedeutung haben können (15). Sachen wie “hierinne” oder “mehreste” gehen bis ins späte 17. Jahrhundert zurück, da ist Kortum sogar moderner, und was ist aus der scheinbar hyper- d. h. inkorrekten – “Krypthographie” zu schließen?
    Lexik, Grammatik und Rechtschreibung sind die Fingerabdrücke des Täters, ich kann sie nicht allein aus Setzerkonvention – gut, mit Einschränkungen vielleicht letztere – oder Nachschlagen in einem Thesaurus oder Viel(ab)schreiberei erklären. Bergk und Gerstenbergk sind mir sympathisch, aber vielleicht gäbe ein Vergleich mit anderen Veröffentlichungen Joachims hier mehr her. Wird Joachim bei jeder halbseidigen Produktion auf einen gewieften Plagiator mit 36 Kindern gewartet haben, oder nicht gelegentlich selbst dergleichen eingeleitet haben, d. h. eine Hausschreibkakerlake beauftragt haben, etwas ‘mal kurz umzufrisieren? Balzac, “Illusions perdues” …

  74. #80 f.tisken
    7. Februar 2016

    Guten Morgen allerseits,
    Zunächst muss ich gestehen, meine Notiz mit der übernommenen Textstelle nicht zu finden . Peinlich vielleicht, aber für mich war das ein winziges Indiz, das immerhin dazu diente, meinen Blick auf das Büchlein zu lenken . Im übrigen halte ich es für bedeutungslos , da erstes dies Büchlein sowieso eine eigenartige Mischung aus eigenen und übernommenen Gedanken ist , und da zweitens auch die Gerstenberkgs ihre Bücher genau so produzierten .Ich habe hier jetzt insgesamt fünf Aktenordner voll Zufallsfunde und mühsam erkämpfter Dokumente, die sich schrittweise zu einem Ganzen fügen , hoffentlich . Aber ich gucke weiter, ich erinnere leider nur noch,dass es einer der letzten Bände war.

    Die Beiträge über Johann Adam Bergk sind interessant, ich hatte bis dahin nie von diesem Mann gehört . Als Schreiber der Kunst würde ich ihn jedoch ausschließen . Ab 1805 hatte er eine Stelle in Leipzig, und er dürfte mehr als beschäftigt gewesen sein in der politisch aufgewühlten Stimmung vor Napoleons Einmarsch in Sachsen . Bergk war ein politisch denkender Mann. Denkbar wäre gewesen, ein anonymes Büchlein mit versteckten Spitzen gegen Napoleon zu schreiben. Aber die “Kunst ” ist nach meinem Leseeindruck gänzlich unpolitisch . Das Vorwort verwendet einige Floskeln, berichtet von Spionen ,Ordensverbindungen und geheimen Feinden. Verschwörungstheorien und das, was wir heute Esoterik nennen, sind also Gegenstand, nicht das politische Europa . Schaut man sich einige Artikel Bergks aus dieser Zeit an, erscheint mir nicht vorstellbar, derselbe Mann solle parallel Buchstabentabellen erstellt haben . Ich erkenne bei Bergk ferner auch nicht die Stilbrüche, die ich in der “Kunst” lese. Und schließlich passt das Kryptogramm ja nicht, denn Leipzig auf Latein geschrieben und das dann verschlüsselt, das ist zu konstruiert .
    Spannend ist der Name für mich auch aus einem Gerstenbergk-Grund , denn der Enkel des vermuteten Autoren benutzte um 1870 herum u. a. das Pseudonym A. Berg oder A. Bergk oder Alois Berg, so die unterschiedlichen Angaben alter Pseudonymenlexika. Vermutlich nur ein Zufall, aber ich packe Herrn Bergk daher mit in meine Aktenordner der Zufallsfunde .

    Dem Autoren der “Kunst ” nähern kann man sich nur über die Analyse des Werkes, da bin ich bei Herrn Ernst. Und da finden sich höchst seltene und wirklich merkwürdige Qualitäten.Herr Ernst hat das wunderbar erklärt. Ein Autor, der plagiiert, aber nicht irgendwie, sondern brilliant . Einer, der nicht nur abschreibt, sondern auch selber gut schreiben kann .Einer, der eine auffällige Liebe zur Sprache hat, einer,der großes sprachanalytisches Talent hat.. Einer, der sich sprachlich aber auch verirrt in Uraltausdrücke . Einer, der zugleich laienhaft wirkt, wenn er etwa BIlderrätsel mit aufnimmt . Einer, der offensichtlich gewollt jede persönliche Aussage vermeidet .
    Ob die Hauskakerlake solche Qualitäten und solche Mängel besessen hätte ? Gerade die philologischen Abschnitte und andererseits die fehlende Konstanz des Werkes, die Brüche, die merkwürdigen simplen Fehler inmitten eines guten Schreibstils sind nicht alltäglich. Wer hatte Zeit und Begeisterung, sich so ausgiebig mit Sprache zu befassen ?
    Dieser hier konnte es jedenfalls :
    https://books.google.de/books?id=hPtCAAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false
    Der Schillerfälscher war ein Könner, man darf ihn sich nicht vorstellen wie so manchen heutigen primitiven Kopierer. Er muss sich viele Jahre vorbereitet haben auf diesen “Job” . Merkwürdige Fehler machte er auch, bisweilen verirrte er sich im Schreibstil .

    Dies zusammen mit dem auffälligen synonymen Verwenden der Begriffe Verfasser und Herausgeber, mit dem Thema, das auch die Gerstenbergks beschäftigte ( siehe Band 2 und 3 der Sympathie, dort auch Anweisungen für geheime Tinten usw. ) , mit dem auffälligen Weglassen jeglicher persönlicher Ansicht auch in sämtlichen Werken der Gerstenbergks , und mit dem Wohnort Erfurt, der zum Kryptogramm passt , lässt mich weiter arbeiten an der These. Der Vater des Schillerfälschers ist die Dreh-und-Angelfigur in der Familiengeschichte, dennoch ist er besonders schwer greifbar. Mir hilft das kleine Büchlein der ” Kunst ” vor allem, weitere Suchen zu beginnen .

  75. #81 Norbert
    7. Februar 2016

    Ich bitte um Nachsicht dafür, dass ich den bereits sehr langen Thread noch länger mache, um über einen Nebenschauplatz zu berichten. Es geht noch einmal (abschließend) um “Schicksale der vermeinten Gräfin Julie von Ortenburg” und meine Arnold-These.

    Der Autor von “Verlagsverzeichnis Wilhelm Hennings 1797-1806”, Thomas Kaminski, zu dem ich Kontakt aufgenommen hatte, stellte sich nicht nur als großer Kenner von Ignaz Ferdinand “Cajetan” Arnold heraus (von ihm stammt eine hochinteressante “biographische Skizze” im Anhang zur Neuausgabe von Arnolds “Erfurt in seinem höchsten Glanze” von 1808, Ulenspiegel-Verlag 2008; übrigens spielt laut Kaminski dieser Titel natürlich auf “Deutschland in seinem tiefsten Elend” an, da sind wir wieder beim erschossenen Buchhändler Palm). Er hat tatsächlich auch ein Exemplar von “Schicksale” in Privatbesitz und war so freundlich, mir Kopien der fraglichen Seiten zur Verfügung zu stellen.

    Zur Autorschaft von Arnold an diesem Werk schreibt Herr Kaminski: “Constantin Beyer hat in seinen Erfurter Tagebüchern, die im hiesigen [i.e. Erfurter] Stadtarchiv liegen, den Tod seines Freundes Arnold im Herbst 1812 kommentiert und eine Liste seiner Werke, die zum großen Teil anonym publiziert wurden, aufgestellt (‘Von seinen Schriften sind mir bekannt…’). ‘Die Schicksale der vermeinten Gräfin Julie von Ortenburg’ ist in der Zählung der 31. (von 57) Titeln.”

    In “Schicksale” kommen zwei verschlüsselte Briefe vor: außer dem in der “Kunst” vollständig abgedruckten noch ein Antwortbrief (oha, der Kindsvater ist ein Graf!). Beide beruhen wie erwartet auf derselben Verschlüsselung. Auf Seite 244 wird der Schlüssel angegeben und ab S. 245 die Auflösung für beide Briefe (jeweils eine chiffrierte Zeile und darunter ihre Entschlüsselung). Interessant ist nun, dass im Original die Worttrennung immer korrekt ist. In der “Kunst” herrscht ja diesbezüglich ein ziemliches Chaos; auch sind viele Symbole falsch abgeschrieben (z.B. lautet das zweite Wort bei Arnold richtig “?)=4),+)o”, in der “Kunst” aber “))=4)    ,+)o”, dort auch immer wieder fälschlich “;” statt “ɪ”).

    Schwer zu beurteilen, ob diese Fehler auf den Plagiator zurückgehen oder auf den Setzer. (Auch bei der Übertragung von Kortums Beispielen sind Fehler zu verzeichnen: der Text in “Kunst” S. 78/79 hat überhaupt keine Wortzwischenräume – bei Kortum sind sie vorhanden; auch wurden die Beispiele Nr. 5 und Nr. 6 vertauscht, was inhaltlicher Unsinn ist). Ich vermute aber stark, dass der Plagiator hier auf eine bessere Übertragung Wert gelegt hätte, wenn er mit dem Autor der “Schicksale” identisch wäre. Dazu kommt (außer den guten Argumenten, die hier im Forum schon eingebracht wurden), dass Herr Kaminski keinerlei Hinweise darauf sieht, dass Arnold je bei Joachim publiziert hätte. Meine Arnold-These kann also, wie es aussieht, ad acta gelegt werden.

    Trotzdem bleibt es bemerkenswert, dass der Plagiator bei “;+ɪΔ+o” auf den Geheimzeichen-Pool des “Schicksale”-Beispiels zurückgreift. Selbst der anschließende Punkt gehört ja dazu (was zu “Lipsiae” passen würde – aber hier ist Vorsicht geboten, der Punkt könnte routinemäßig vom Setzer hinzugefügt worden sein). Vielleicht wollte der Herr Plagiarius zeigen, dass er ganz nach der neuesten Mode zu chiffrieren in der Lage ist? Was gut zum Verdacht passen würde, dass er vom Thema eigentlich nicht viel verstanden hat (siehe auch das von Dr. Thomas Ernst aufgezeigte herrliche “Caninchen”-Beispiel)? Klingt für mich plausibel, und insofern halte ich es auch nicht vollkommen für ausgeschlossen, dass die Symbole für seine Eitelkeit und ansonsten – nichts stehen, das wäre dann “cryptological vanity” (Th. Ernst) im doppelten bzw. eher lateinischen Wortsinne …

  76. #82 Thomas
    8. Februar 2016

    Apropos Balzac: von ihm stammt ein als unlösbar – oder sinnlos – geltendes Kryptogramm (“La physiologie du mariage”). Der Name würde auch in das Schema unter dem Vorwort der Kunst passen, allerdings war er 1806 erst sechs bzw. sieben Jahre alt, je nach Datum des Konkordientages.
    Am Rosenmontag 2016.

  77. #83 Thomas Ernst
    Pittsburgh
    9. Februar 2016

    Ja, die Erwähnung Balzacs galt – als Schumann’scher Carnavalsscherz – dem verschlüsselten “Erfurt” oder “Lipsiæ” oder “Hensel”, aber auch dem ellenlangen Kapitel über Druck und Druckereien in Balzacs “Illusions perdues”, sowie den seltsamen Passagen in seiner “Physiologie”, darunter auch einer Leerseite (welche an Heines Kritik an seinen Zensoren erinnert, wobei Heine allerdings lange Zensurstriche verwendete, die nichts kryptologisches an sich haben). Balzac kannte alle Aspekte der Typographie, selbst das Buchstabengießen, von der Pique auf, und seine “Physiologie” war anscheinend ein Wendepunkt in seiner Entwicklung zum ausschließlichen Schriftsteller. Ich habe mich nie näher damit befaßt, und zur Zeit – siehe https://typolitterature.wordpress.com/2014/09/12/balzac-physiologie-du-mariage – scheint dieses Thema – nicht eben unüberzeugend – von den Metatextdekonstrukteuren besetzt zu sein (sowie seinerzeit, bis in die 1990er, Trithemius III von der neoplatonischen Warburg-Schule der weißen Magie vereinnahmt worden war). Sollte es sich bei der “Physiologie” tatsächlich um ein Kryptologium handeln, wären zumindest nicht zuviele Druckfehler zu erwarten. Doch dieses Thema verdiente wohl seine eigene Kolumne.

  78. #84 Thomas Ernst
    Latrobe
    12. Februar 2016

    @ Norbert: mir scheint, Sie haben’s raus: “Trotzdem bleibt es bemerkenswert, dass der Plagiator bei “;+ɪΔ+o” auf den Geheimzeichen-Pool des “Schicksale”-Beispiels zurückgreift.” Mir ist noch kein buchschreibender Chiffreur untergekommen, der sich nicht irgendwo bloßstellte (siehe Heidel). Nein, “;+ɪΔ+o” ist nicht “nichts”, sondern “;+ɪΔ+o” ist eine Versetzung des Ortenburg’schen Monoalphabets, entweder linear, oder stufenweise à la “Polygraphia”, oder gar polyalphabetisch (was ich dem Konkordienfälscher allerdings nicht zutraue). Ich hatte keine Lust, die Ortenburg-Chiffre in der “Kunst”-Fassung zu dechiffrieren, weil mir schwante, es gebe dort wohl einige “Unstimmigkeiten”, wie Sie es ja bestätigen; das hatte ich schon bei den beiden Heidel-Drucken erlebt; irgendwann sieht man lieber den Schneeflocken zu, vita brevis etc. Da Sie jedoch den seltenen originalen Romantext zur Verfügung haben, würde ich die ursprüngliche, originale Ortenburg-Substitution durchs gesamte Alphabet verschieben, en forme de tableau, bis sich dann etwas – Ort- oder Personenname – “ergibt” – parallel, schräg, stufenweise, rückwärts. Ich beginne prinzipiell so bei Dechiffrierungen. Wobei natürlich – wichtiger Punkt! – die ursprüngliche – Ortenburgsche Abfolge des Klartextalphabets beibehalten werden müßte, otherwise we have a free-for-all. Die Fußnote “*) Trithemii Steganographia” auf S. 3 der “Kunst” ist original, und nicht bei Kortum. Gut, Kenntnis der “Steganographia” bzw. deren Titels war damals Gemeinplatz. Die “Steganographia” jedoch kannte man vor 1606, 1608, 1621 nur über deren Erwähnung in der wiederholt aufgelegten “Polygraphia”: deren fünftes Buch monoalphabetische Rotationssubstitutionen enthält (auf das Konzept eines polyalphabetischen Schlüssels ist Trithemius nie gekommen). Ich glaube wahrlich, dort liegt das Caninchen im Pfeffer … Wenn Sie amouröse Neujahrsgrüße der Jahrhundertwende in nullkommanix übersetzen können, dürfte dieses Verfahren zur Lösung! – und ich bleibe überzeugt, es gibt deren eine – führen.

    • #85 Norbert
      12. Februar 2016

      Es wäre wohl am einfachsten, den Schlüssel der Ortenburg-Chiffre, so wie er auf S. 244 der “Schicksale” abgedruckt ist, hier komplett wiederzugeben, aber das sollte vielleicht Tobias Schrödel zuerst absegnen – es gibt da nämlich einen kryptologischen Happen von ihm, den ich nicht mehr als in unserem Zusammenhang nötig kompromittieren möchte … Jedenfalls bedient sich dieser Schlüssel eines Alphabets mit 24 Buchstaben – es gibt kein J und kein X. Das mit dem X mag daran liegen, dass der Klartext nun einmal keines enthält. J kommt jedoch im Klartext vor und wird genauso wie I chiffriert (Y trifft man auch an, in Wörtern wie “sey”).

      Die am wenigsten komplizierte Methode, um von “;+ɪΔ+o” zu “Lipsia” zu kommen, besteht m.E. darin, zwei verschiedene Schlüssel anzunehmen. Der erste wäre wie bei Ortenburg und der zweite würde das 24-buchstabige Alphabet rückwärts und um drei Stellen verschoben enthalten:

                     ;                       Δ   o ɪ +
      Ortenburg: a b c d e f g h i k l m n o p q r s t u v w y z
      Key 2:     c b a z y w v u t s r q p o n m l k i h g f e d

      Dann müssten wir je zwei Buchstaben nach Key 2, Ortenburg und anschließend wieder Key 2 entziffern, um aispil zu erhalten, was umgedreht Lipsia ergäbe. Naja, das scheint mir doch arg konstruiert… Vielleicht findet ja jemand eine überzeugendere Lösung (Erfurt? Meißen? Irgend ein Name?) basierend auf Ortenburg … Ich habe auch kurz nachgedacht, ob die Dechiffrierung nach Ortenburg “ctsptr” bzw. “ctsptrm” als Initialen von irgendeinem markanten Spruch à la “contra tyrannos …” gelesen werden könnte, aber das wäre wohl noch viel spekulativer.

  79. #86 Thomas
    12. Februar 2016

    @Thomas Ernst
    Da haben Sie wieder Spannung in die Sache gebracht!
    Obwohl ich nicht über das Originalchiffrat aus der “Julie von Ortenburg” verfüge, habe ich schon einmal vorwitzig einen Versuch unternommen, weiß aber nicht, ob ich Ihren Vorschlag richtig zu deuten weiß:
    Die Abfolge des Klartextalphabets sollte der Reihenfolge entsprechen, mit der die Buchstaben im Text erscheinen. Dieser lautet (nur der Anfang, dechiffriert nach der “Kunst” mit Berichtigung der Chiffrierfehler):
    “Einzig Geliebter meiner Seele. Schnell flieht sie vorueber die suese W(UE)ollust der Liebe. Lange verzog die Reue, um uns desto schreklicher zu ueberfallen”.
    Berücksichtigt man, dass das “W” nicht mit einem eigenen, sondern mit den Zeichen für U und E chiffriert ist, und nimmt die beiden im weiteren Text noch – in dieser Reihenfolge – auftretenden Buchstaben P und Q hinzu, ergibt sich folgende Reihe, die den 22 Zeichen entspricht:
    EINZGLBMRSCHFTVOUDKAPQ
    Die von Ihnen angesprochene Verschiebung verstehe ich als Eintragung in eine der tabula recta entsprechende Anordnung (vorstehende Reihenfolge statt ABCD…) von 22×22. Dabei ist mir leider nichts aufgefallen.

  80. #87 Thomas
    12. Februar 2016

    @ Norbert:
    Da war ich wohl etwas vorschnell; #85 war bei mir noch nicht auf dem Bildschirm, als ich #86 abschickte.
    In dem Brief in der “Kunst” finde ich nur 22 Zeichen: “W” wird, soweit ich sehe, als UE chiffriert; ein “Y” (sey) bzw. ein Zeichen dafür finde ich im Brief nicht (mag ich aber übersehen haben.) Letzteres gilt auch für den von Ihnen erwähnten “kryptologischen Happen”, ist der Leckerbissen steganographisch geschickt irgendwo in den Tiefen dieses Blogs verborgen?.

    • #88 Norbert
      Berlin
      12. Februar 2016

      @Thomas:
      Nicht in diesem Blog, aber hier. Dieselbe Aufgabe ist auch auf mysterytwisterc3.org gelistet, deswegen versuche ich hier allzu offensichtliche “Spoiler” zu vermeiden …
      Das Y findet sich in “Schicksale” im Antwortbrief des Grafen. Auf S. 244 wird ein kompletter Schlüssel abgedruckt, nach Klartextbuchstaben geordnet – bei W steht dort “*)”.

  81. #89 Thomas Ernst
    Latrobe
    12. Februar 2016

    @ Norbert, Thomas: Nachschlag: Was ich meinte, war einfach dies: die sechs Chiffrebuchstaben in ihrer originalen “Ortenburg”-Klartextbedeutung alphabetisch nach unten um die 21 folgenden Buchstaben zu verlängern. Ich kenne die originale Klartextbedeutung der Ortenburg-Chiffrebuchstaben nicht – keine Lust gehabt, siehe oben – , kann mich also nur hypothetisch ausdrücken: nehme ich mal an – Sie wissen es, ich nicht – in der Ortenburg-Chiffre sei “;” = G, “+” = A, “ɪ” = W, Δ= K, “+” = A, “o” = Z, dann hätten wir: G A W K A Z (oder welche nun eben die wirklichen Klartextwerte der Ortenburg-Chiffre sind). Nun würde ich die sechstellige Chiffre ;+ɪΔ+o direkt in die Ortenburg-Klartextäquivalente übersetzen, dann unter jeden der sechs Buchstaben den folgenden schreiben, und dies durchs gesamte Alphabet hindurch, also unter GAWKAZ HBXLBA, darunter ICYMCB usf. bis ans Ende des Ortenburg-Alphabets. Das gleiche dann auch mit leicht abgewandelten Klartextalphabeten hinsichtlich “i” und “j”, “u” und “v”, “vv” und “w”, und der Umlaute. Dann würde ich die sechs Spalten jeder Variante, angefangen mit dem originalen Ortenburg-Alphabet, von rechts nach links abklappern, von links nach rechts, je um eine Stufe vertieft von links nach rechts, desgleichen umgekehrt usw., wellenförmig einmal zweite Spalte, einmal dritte Spalte, dann wieder zweite Spalte, einmal darüber, einmal darunter, je zwei oder drei Buchstaben rückwärts gelesen und was es deren nachvollziehbare Muster eben so gibt. Dabei müßte das “+” nicht unbedingt denselben Klartextwert bedeuten, sonderen könnte für den vorangehenden oder folgenden Buchstaben stehen. Per Computer mache ich sowas grundsätzlich nicht, Papier und Kuli haben immer ausgereicht, man findet das Caninchen beim Selberschreiben auch immer viel schneller. Sollte eine sinnfällige Sequenz von Klartextbuchstaben sich nur durch unregelmäßige Sprünge in den Alphabetreihen ergeben, darf man bei längeren Texten einen polyalphabetischen Schlüssel vermuten. So jedenfalls habe ich Heidel geknackt. Bei einer nur sechs Zeichen umfassenden Chiffre hingegen eignet unregelmäßigen Sprüngen zwischen Alphabeten eine gewisse Systemlosigkeit, und systemlos darf es eben nicht ausgehen. Außerdem glaube ich nicht, daß der “Künstler” so schlau oder geduldig genug dazu war. Der hat ein bißchen mit der originalen Ortenburg-Chiffre herumgespielt, und war fertig. Schlimm wäre nun nur, wenn es auch bei “;+ɪΔ+o” einen Druckfehler gegeben hätte. Den könnte man zur Not nur durch einen entsprechenden Druckfehler in der Wiedergabe der Ortenburg-Chiffre erklären. Aber dann wäre das Caninchen schon arg im Pfeffer …

  82. #90 Thomas
    13. Februar 2016

    @Thomas Ernst

    Dechiffriert man die Symbole, ergibt sich – unabhängig davon, ob man die “Kunst” mit ihren Fehlern im chiffrierten Brief oder die “Schicksale” zugrunde legt (s. #85) – die Buchstabenfolge c t s p t r (der Punkt ist, wie hinter dem Konkordientag, offensichtlich nur Satzzeichen).

    Damit lässt sich, wenn ich Ihre Vorgehensweise richtig verstehe, etwa folgende Tabelle erstellen:

    c t s p t r
    d u t q u s
    e v u r v t
    f w v s w u
    g x w t x v
    h y x u y w
    i z y v z x
    k a z w a y
    l b a x b z
    m c b y c a
    n d c z d b
    o e d a e c
    p f e B f d
    q g f c g E
    R h g d h f
    s i e h e i G
    t K i f k h
    u l k g l i
    v m l h m k
    w n m i n l
    x o n k o m
    y p o l p n
    z q p m q o
    a r q n r p
    b s r o s q

    Enthält vielleicht die ungewöhnliche Datumsangabe “Am Konkordientage” – auch – einen kryptologischen Hinweis ?

    • #91 Thomas Ernst
      Pittsburgh
      13. Februar 2016

      Eben solch eine Tabelle meinte ich; vielen Dank, daß Sie sich die Mühe gemacht haben. Vielversprechend sieht das allerdings nicht aus. Wenn ich dem Plagiator mehr zutraute, würde ich links einen polyalphabetischen Schlüssel anlegen, angefangen mit a bis z, oder rückläufig z bis a, halbiert usw. Da hätten wir für Klartext ERFURT den Schlüssel cymfyc, rückläufig auch nicht besser; das heißt, der Schlüssel müßte umgeräumt werden, um in sich selbst stimmig zu sein. An diesem Punkt bietet es sich an, es mit den Alphabetabfolgen AUGUST oder DENDRE[IZEHNTENAUGUST] oder AMDREI[ZEHNTENAUGUST] oder KONKOR[DIENTAG] oder CONCOR[DIA] oder gar mit dem vermutlichen Klartextwort selbst zu versuchen, also ERFURT usw. Beim Schlüssel AUGUST bei Alphabetabfolge a bis z komme ich vorläufig auf CV…, rückläufig auf BH…, beim Schlüssel CONCOR vorläufig auf EQ…, rückläufig auf ZP…, beim Schlüssel ERFURT vorläufig auf GT…, rückläufig auf XL…: alles schnell ersichtliche Nieten. Sollte sich der Plagiator eines polyalphabetischen Schlüssels bedient haben – was ich ihm nicht zutraue – wird es wahrscheinlich das Klartextwort selbst gewesen sein, also im Falle ERFURT Schlüssel ERFURT, im Falle BERLIN Schlüssel BERLIN, usw. Da könnte man nun noch ein wenig herumprobieren. Prinzipiell wäre der Plagiator mit diesem Verfahren ja vertraut gewesen, als er Kortums Paragraphen 150, “Von unauflösbaren Zifferschriften.” (Kortum, 134-136) unter demselben Titel (“Kunst”, 113-15) abschrieb: Kortum hielt polyalphabetische Chiffrierungen für “unauflöslich”. Allerdings kommen weder Kortum noch die “Kunst” auf einen Schlüssel zu sprechen, auch wenn er impliziert ist. Ihre Tabelle war auf alle Fälle den Versuch wert, ist auch noch ein paar weitere Versuche wert! Doch zuviel Kunstfertigkeit bzw. Komplexität würde ich dem Plagiator nicht zugestehen: der Mann war in Eile, und hatte seine kryptologischen Grenzen. Mir scheint es nach meinen paar Versuchen, daß er sich wohl der Ortenburgschen Chiffresymbole bedient hat, dies jedoch willkürlich, und ohne einen Schlüssel, und daß der Konkordientag keine kryptologische Bedeutung hat.

  83. #92 Thomas
    14. Februar 2016

    @Norbert:
    Ihnen steht ja der chiffrierte Brief in der “Schicksal”-Fassung zur Verfügung: Sind die Abweichungen zur “Kunst” nur mit Fehlern beim Übertragen/Setzen zu erklären – oder kommt hier mehr zum Vorschein? Den Teil des Briefes auf S. 80 der “Kunst” zwischen dem ersten Wort der 5. Zeile und dem letztem Wort in der 6. Zeile verstehe ich überhaupt nicht. Hier handelt es sich nicht lediglich um die an anderen Stellen des Briefes vorhandenen Chiffrier- bzw. Setzfehler, ich will aber nicht ausschließen, dass der Setzer hier aus dem Fenster gesehen hat. Ein sorgfältiger Lektor scheint ja ohnehin nicht am Werk gewesen zu sein (“Hyrokliphen” auf S. 2).

    • #93 Norbert
      Berlin
      17. Februar 2016

      @Thomas:
      Ich habe beide Kryptogramme aus dem “Schicksale”-Original abgetippt, hier sind sie:

      https://dl.dropboxusercontent.com/u/24025364/Konkordientag/OrtenburgBriefe.txt

      Beim Tippen kam es mir mehrmals vor, als sei Theodor Ferdinand Kajetan Arnold der wahre Erfinder der Emoticons gewesen …
      Es gibt auch im Original einige Fehler. Oft werden etwa “)” und “(” verwechselt. Im zweiten Brief wird auch einmal das “Lehen” zur “Lehne”, später sogar das “Weibchen” zum “Weilchen” 🙂 Die Wortzwischenräume sind allerdings immer korrekt gesetzt.

  84. #94 Thomas
    18. Februar 2016

    @Norbert
    Vielen Dank für Ihre Mühe!
    Die Unverständlichkeit der Passage lag in der Tat an der grob falschen Übertragung in der “Kunst”.
    Dabei kann man natürlich auf die Idee kommen, dass auch die Zeichen unter der Vorrede Setzfehler enthalten – allerdings könnten davon wohl nur, wie im Brief, das ; und die 1 betroffen sein. Indes springt mir auch bei entsprechenden Versuchen nichts ins Auge – allenfalls lassen sich, wie Sie es ja auch schon ansatzweise versucht haben, mehr oder minder phantasievolle Akronyme bilden

  85. #95 Thomas Ernst
    Latrobe
    19. Februar 2016

    @ Norbert: ich habe mir Ihre ausgezeichnetes Transkript in Form einer pdf-Datei heruntergeladen und kann nur mit den Ohren schlackern. Nach dessen Lektüre trage ich eine gelbe Binde mit schwarzen Punkten am Arm. Ich verstehe Ihre Skrupel hinsichtlich Abschrift des Klartextes nicht ganz. Sie sind doch im Besitz des Originals, das Ihnen des weiteren der Arnold-Spezialist Thomas Kaminski vermittelt hat. Ob’s da nun mal einen Wettbewerb gegeben hat, wo rund 90 Persönchen die versaute “Kunst”-Fassung gelöst haben, bleibt doch egal. Wichtig ist die Originalsubstitution aus dem originalen Roman, der ja noch zusätzliche Chiffrierungen enthält. Warum nicht auch die Lösung abschreiben. Ich könnte sie wohl selbst noch hinkriegen, aber wenn’s schon 1805 öffentlich zugänglich war, warum nicht auch heute? Mich interessieren nur mögliche Kombinationen von Chiffre- und Klartextalphabet, die schwül-schwulstigen Briefinhalte selbst sind mir egal.

    • #96 Norbert
      Berlin
      19. Februar 2016

      @Thomas Ernst
      Unbürokratische Lösung: Unter dem gleichen Link steht jetzt zeitlich begrenzt eine unzensierte Fassung zur Verfügung. In ein paar Tagen ändere ich wieder zur skrupulösen zurück 🙂

      • #97 Thomas Ernst
        Latrobe
        19. Februar 2016

        @ Norbert: herzlichen Dank: Sie haben mein Leben um ein paar überflüssige Dechiffrierversuche verlängert, und um weitere Stunden des Nachdenkens verkürzt.

  86. #98 Norbert
    19. Februar 2016

    Eine etwas verwegene Idee zur Ortenburg-Chiffre möchte ich noch zur Diskussion stellen:
    Es ist ja recht häufig in der “Kunst” aus einer Eins ein Semikolon geworden. Beide Zeichen haben in “Schicksale” das gleiche typographische Aussehen wie in der Kunst, also ungefähr “ɪ” und “;”. Einem Setzer, der die Anweisung hat, den Geheimtext aus der Buchvorlage zu kopieren, dürfte dieser Fehler eigentlich nicht so regelmäßig unterlaufen. Der Grund dürfte vielmehr in handschriftlicher Ungenauigkeit des Plagiarius liegen.
    Wenn jemand hier im Forum also einen heißen Kandidaten hat und zeigen kann, dass in dessen Handschrift (möglichst um 1808 herum) die Eins und das Semikolon verdächtig ähnlich aussehen, hätte die- oder derjenige ein ziemlich gutes Indiz gewonnen, oder?