Der Israeli George Lasry hat eine Liste von ungelösten Problemen aus der Verschlüsselungstechnik zusammengestellt. Da er andere Kriterien verwendet hat, ist eine vollkommen andere Liste entstanden als die, die ich veröffentlicht habe.

Am vorgestrigen Donnerstag fand in Kassel das 2nd Historic Ciphers Colloquium statt. Es war ein tolles Ereignis mit spannenden Vorträgen und interessanten Diskussionen. Die etwa 25 Teilnehmer waren sich einig, dass diese Veranstaltung von nun an jedes Jahr stattfinden und außerdem wachsen soll. In den USA gibt es bereits das Symposium on Cryptologic History und das Charlotte International Cryptologic Symposium – so etwas müsste doch auch in Europa funktionieren.

Danke an dieser Stelle an Professor Wacker und sein Team für die hervorragende Organisation des Kolloquiums.

Zu den Teilnehmern des 2nd Historic Ciphers Colloquium zählte auch der Israeli George Lasry, der vielen Lesern dieses Blogs bekannt sein dürfte. Das folgende Bild zeigt ihn mit dem polnisch-französischen Kryptologen Nicolas Courtois. Sowohl Lasry als auch Courtois haben große Erfolge als Codeknacker erzielt – wenn auch in völlig unterschiedlichen Bereichen. Die beiden sind sich auf dem Kolloquium zum ersten Mal begegnet. Ich bin sicher, sie hatten einiges zu besprechen.

Lasry-Courtois

In einem Kurzvortrag stellte George Lasry die zehn aus seiner Sicht größten ungelösten Probleme der historischen Verschlüsselungstechnik vor. Das ist zunächst einmal nichts Ungewöhnliches, schließlich geht es in meinem Buch Nicht zu knacken ebenfalls um eine Top Ten der ungelösten Kryptogramme, und auf Klausis Krypto Kolumne habe ich bereits eine Top-25-Liste vorgestellt.

George hat jedoch andere Kriterien angewendet. Ihm ging es nicht um verschlüsselte Texte (Kryptogramme), sondern um Verschlüsselungsverfahren. Sein Spezialgebiet (in dem er sehr erfolgreich ist) ist das Knacken von Verschlüsselungsverfahren der Vor-Computer-Ära, wenn das Verfahren an sich bekannt ist und die Aufgabe darin besteht, den Schlüssel zu finden.

In diese Kategorie fällt beispielsweise die Doppelwürfel-Challenge, die ich vor neun Jahren veröffentlicht habe. Das Doppelwürfel-Verfahren (es ist ohne Computer-Unterstützung durchführbar) sieht zwei Wörter vor, die zusammen den Schlüssel bilden. Die Anzahl der möglichen Schlüssel liegt in der Größenordnung von 10 hoch 50. Selbst mit dem stärksten Computer ist es völlig unmöglich, sämtliche Kombinationen durchzuprobieren. George fand jedoch einige Möglichkeiten, die Suche deutlich zu verkürzen, wodurch er die Doppelwürfel-Challenge schließlich löste – ein Geniestreich.

Doppelwuerfel-Lasry-bar

Bei seiner Arbeit am Doppelwürfel fand George eine Möglichkeit, das Verfahren sicherer zu machen, ohne dass die Sache wesentlich komplizierter wird (die Länge des verschlüsselten  Texts darf nicht in der Nähe eines Vielfachen der Schlüsselwortlänge liegen). Außerdem kann man mit längeren Schlüsselwörtern eine höhere Sicherheit erzielen (in der Challenge habe ich zwei Wörter mit knapp über 20 Buchstaben verwendet, es geht natürlich auch länger).

Es  ist daher durchaus möglich, mit dem Doppelwürfel-Verfahren einen Text zu verschlüsseln, der nach aktuellem Stand der Forschung nicht knackbar ist – selbst wenn der Dechiffrierer weiß, dass das Doppelwürfel-Verfahren eingesetzt wurde. Deshalb ist das Doppelwürfel-Verfahren aus Georges Sicht ein ungelöstes Krypto-Rätsel. Er hat es daher auf seine Top-Ten-Liste genommen. Auch die anderen Listeneinträge sind klassische Verschlüsselungsverfahren, für die keine wirksame Codeknack-Methode bekannt ist.

Georges Liste werde ich im zweiten Teil dieses Artikels vorstellen.

Zum Weiterlesen: Ein kryptologischer Jahresrückblick (1): Die sieben spektakulärsten Kryptogramm-Neuentdeckungen