Der Kryptologe Craig Bauer hat einen neuen Ansatz zur Lösung der berühmten Kryptos-Inschrift veröffentlicht. Das 1929 erfundene Hill-Verschlüsselungsverfahren spielt dabei eine zentrale Rolle.
Über die Skulptur Kryptos und ihre verschlüsselte Aufschrift habe ich auf Klausis Krypto Kolumne schon mehrfach berichtet. Die Inschrift des 1990 eingeweihten Kunstwerks besteht aus vier Teilen. Drei davon wurden entschlüsselt. Die vierte ist noch ungelöst und gilt als bedeutendstes ungelöstes Kryptogramm der letzten Jahrzehnte.
Bild: Jim Sanborn/CC-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported
Wer Kryptos noch nicht kennt, sollte sich meinen Artikel auf Focus Online darüber durchlesen.
Um Kryptos (vor allem um den noch ungelösten Teil der Inschrift) hat sich inzwischen ein wahrer Kult entwickelt. Alle zwei Jahre gibt es in den USA ein Kryptos-Treffen, an dem auch Kryptos-Schöpfer Jim Sanborn teilnimmt. Auch Ed Scheidt (der Kryptologe, der an der Entwicklung der Inschrift beteiligt war) ist immer dabei. Organisiert wird wird dieses Treffen von Elonka Dunin, einer im positiven Sinne Kryptos-Verrückten, über die ich schon öfters berichtet habe. Ich war selbst schon dreimal beim Kryptos-Treffen dabei.
Der ungelöste vierte Teil
Der vierte und noch ungelöste Teil der Kryptos-Inschrift lautet wie folgt:
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Die ersten drei Teile wurden mit Verfahren verschlüsselt, die von Hand ausführbar sind (Teil 1 und 2 mit einer Vigenère-Variante, Teil 3 mit einem Umordnungsverfahren). Auch der vierte Teil ist laut Sanborn ohne Computer-Unterstützung entstanden.
Spekulationen zum vierten Kryptos-Teil gibt es viele. Hat Sanborn ein Verfahren verwendet, bei dem jeweils zwei Buchstaben auf einmal verschlüsselt werden (z. B. Playfair)? Oder handelt es sich um eine Vigenère-Verschlüsselung mit einem Schlüsselwort, das so lang wie der Klartext ist (Vernam-Verschlüsselung)? Bisher ließ sich keine dieser Vermutungen bestätigen.
Die Hill-Chiffre
Der US-Kryptologe Craig Bauer ist nun (zusammen mit Gregory Link und Dante Molle) in der Fachzeitschrift Cryptologia einer anderen Hypothese nachgegangen. Craig ist Professor für Mathematik in York (Pennsylvania) und Redaktionsleiter der Cryptologia. Mit der Mathematik historischer Verschlüsselungsverfahren kennt er sich besser aus als jeder andere. Sein Buch Secret History behandelt die Geschichte der Verschlüsselung, wobei er im Gegensatz zu anderen Autoren (zum Beispiel mir) die Mathematik nicht auf ein Minimum beschränkt, sondern ausführlich behandelt. Auf seiner Webseite bezeichnet sich Craig nicht ganz zu Unrecht als “Mathematical Mad Man”. Seine Vorträge und Vorlesungen sind absolut empfehlenswert.
Craig’s Idee: Hinter dem ungelösten Kryptos-Teil könnte eine Hill-Chiffre stecken. Die Hill-Chiffre wurde 1929 von Lester Hill erfunden. Der Schlüssel ist bei der Hill-Chiffre eine Matrix (wir gehen von einer 3×3-Matrix aus), der Klarext ein Vektor (wir gehen von einem Vektor mit drei Komponenten aus). Zum Verschlüsseln wird die Matrix mit dem Vektor multipliziert. Wie eine Matrix-Mulitplikation aussieht, zeigt das folgende Bild:
Im Falle einer Hill-Chiffre liegen (anders als im obigen Beispiel) alle Zahlen der Matrix und des Vektors zwischen 0 und 25. Sie werden mit den Buchstaben des Alphabets identifiziert (normalerweise A=0, B=1, C=2, D=3 usw.). Es wird modulo-26-gerechnet, man fängt also beim Zählen nach 25 wieder bei 0 an.
Die Idee hinter der Hill-Chiffre ist klar: Traditionell verschlüsselt man buchstabenweise; im 16. Jahrhundert kam die Idee auf, jeweils zwei Buchstaben auf einmal zu verschlüsseln; die Hill-Chiffre legt noch einen drauf und verschlüsselt sogar drei Buchstaben auf einmal. Man kann durchaus auch vier oder mehr Buchstaben auf einmal verschlüsseln, wenn man die Matrix größer wählt, doch dann wird es schnell ziemlich aufwendig. Auch eine Hill-Chiffre, die nur zwei Buchstaben auf einmal verschlüsselt, ist möglich.
Craigs Untersuchung
Craig beließ es nicht bei einer Vermutung, sondern stellte aufwendige Untersuchungen an. Unter anderem prüfte er, ob die Hill-Chiffre in ihrer gängigen Form (drei Buchstaben auf einmal) verwendet wurde. Da Kryptos-Schöpfer Jim Sanborn inzwischen elf Buchstaben des Klartexts verraten hat, lässt sich eine solche Prüfung leicht durchführen.
Craig probierte mit einem Computer-Programm alle infrage kommenden 3×3-Matrizen aus (es sind 1.634.038.189.056). Tatsächlich ergaben etwa 17.000 davon die elf gewünschten Klartext-Buchstaben an der richtigen Stelle. Allerdings lieferte keine davon einen sinnvollen Text, wenn sie auf das restliche Kryptogramm angewendet wurde.
Craig und seine Mitarbeiter wiederholten dieses Experiment mehrfach, wobei sie andere Zuordnungen zwischen Buchstaben und Zahlen verwendeten (z. B. A=1, B=2, …, Z=0), doch auch das brachte nichts.
Auch das Durchprobieren aller 2×2-Matrizen brachte kein positives Ergebnis.
Fazit
Craig Bauers Untersuchungen hatten zwar keinen Erfolg, trotzdem sind sie ein wichtiger Beitrag. Schließlich kann nun jeder nachlesen, welche Hypothesen Craig bereits untersucht hat, und welche noch nicht untersuchten Möglichkeiten es noch gibt.
Ich kann daher nur dazu ermuntern, Dechiffrier-Versuche möglichst gut zu dokumentieren (so wie Craig es getan hat) und dabei auch Sackgassen nicht auszusparen. Andere Codeknacker profitieren vielleicht irgendwann davon.
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Zum Weiterlesen: Die Listening Stones von Cheltenham (Teil 1): Der Playfair-Stein
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