Die Identität des 1948 in Australien gestorbenen “Somerton-Manns”, der einen möglicherweise verschlüsselten Text hinterließ, ist ein großes Rätsel. Jetzt könnte Bewegung in die Sache kommen, denn die Leiche soll exhumiert und untersucht werden.
English version (translated with DeepL)
Wer sich für das Thema Verschlüsselung und Verbrechen interessiert, sollte sich schon einmal den 26. Juni 2021 vormerken. An diesem Tag werde ich zusammen mit Elonka Dunin einen Online-Vortrag mit dem Arbeitstitel “Ciphers and Crime” halten. Veranstalter ist das ICCH-Forum. Die Teilnahme ist kostenlos, den Einwahl-Link gibt es (wie immer) über die ICCH-Mailing-Liste oder auf Anfrage von mir.
Der Somerton-Mann
Gestern habe ich die (noch vorläufige) Agenda-Folie für den geplanten Vortrag gestaltet (nein, “Red Army Faction” ist kein Druckfehler, man schreibt diesen Begriff im Englischen tatsächlich ohne “r”):
Wie man sieht, wird auch der Somerton-Mann in diesem Vortrag ein Thema sein. Dabei handelt es sich um einen bis heute nicht identifizierten Toten, der 1948 am Strand von Adelaide (Australien) gefunden wurde. Beim Vortrag im Juni werde ich einige Legomodelle von diesem Fall zeigen.
Der Somerton-Mann starb vermutlich an einer Vergiftung oder an einem allergischen Schock. Ob es sich um Mord, Selbsttötung oder einen natürlichen Tod handelte, konnte nie ermittelt werden.
Der Somerton-Mann hatte offensichtlich versucht, seine Identität zu verschleiern. Er trug keine Ausweispapiere bei sich. Die Etiketten aus seiner Kleidung waren entfernt. In seinem Koffer fanden sich nur einige Alltagsgegenstände, die kaum Rückschlüsse auf seine Herkunft zuließen.
Im Anzug des Toten stieß man auf ein Stück Papier mit der Aufschrift “Tamam Shud”, das aus dem Buch “The Rubaiyat of Omar Khayyam” von Edward FitzGerald herausgerissen war. Das zugehörige Buchexemplar fand sich in der Nähe. Darin waren folgende Buchstaben notiert (Tamam-Shud-Kryptogramm):
Das Tamam-Shud-Kryptogramm besteht vermutlich aus den Anfangsbuchstaben englischer Wörter. Diese könnten einen Text (ein Gedicht?) oder eine Liste von Begriffen bilden. Mehr weiß man nicht. Das Kryptogramm soll heute nicht das Thema sein.
Ein Rätsel, aber nicht einzigartig
Über den Somerton-Mann habe ich auf Cipherbrain schon öfters gebloggt. In Australien ist dieser Fall sehr bekannt. Es gibt ein Buch dazu (“The Unknown Man” von Gary Feltus), auf YouTube kann man Dokumentationen dazu anschauen. In meinem Buch “Nicht zu knacken” ist ein ganzes Kapitel diesem Fall gewidmet. Und natürlich wurden im Laufe der Jahrzehnte unzählige Theorien veröffentlicht, von denen sich jedoch keine beweisen ließ.
Der Brite Nick Pelling hat auf seinem Ciphermysteries-Blog bereits über 150 Artikel veröffentlicht, in denen das Stichwort “Somerton” vorkommt. Unter anderem hat Nick zahlreiche Spuren verfolgt, die zur Klärung der Identität des Toten führen könnten. Die Lösung des Rätsels konnte er jedoch bisher nicht präsentieren.
Letztes Jahr berichtete die australische Presse über fotorealistische Bilder, die zeigen sollen, wie der Somerton-Man zu Lebzeiten ausgesehen hat. Sie wurden von einem kanadischen Spezialisten erstellt.
Für mich ist der Somerton-Mann ein spannendes Rätsel. Ich verstehe nicht, dass ein Mann, dessen Foto über Jahrzehnte hinweg weltweit durch die Medien ging, von niemandem erkannt wurde. Egal, wer diese Person war und wo sie lebte, es müsste doch jemandem aufgefallen sein, dass sie verschwunden war und dass sie dem Mann auf dem Foto ähnelte.
Eine Geschichte mit einigen Parallelen ist die der Isdal-Frau, die 1970 in Norwegen tot aufgefunden wurde. Auch sie wurde nie identifiziert, und auch sie hinterließ unverständliche Notizen, die jedoch gelöst werden konnten.
Einen ähnlichen Fall gab es außerdem 2009 in Irland. Dort wurde ebenfalls die Leiche eines Mannes gefunden, der trotz aller Mühe nicht identifiziert werden konnte. Er wird in der Presse Peter Bergmann genannt (der wahre Name ist nicht bekannt). Hier ist jedoch kein verschlüsselter Text im Spiel.
Exhumierung angekündigt
Schon seit Jahren wurde immer wieder gefordert, man solle den Somerton-Mann, der in Adelaide begraben liegt, exhumieren und die noch vorhandenen Überreste untersuchen.
Laut australischen Presse-Berichten, haben die dortigen Behörden nun einer Exhumierung zugestimmt. Es wird also eine Untersuchung geben.
Das Tamam-Shud-Kryptogram wird man durch die Exhumierung sicherlich nicht lösen können. Soweit ich es verstehe, wird man auch die Todesursache heute wahrscheinlich nicht mehr klären können.
Über die DNA des Toten kann man jedoch möglicherweise Verwandte finden. Es müsste außerdem möglich sein herauszufinden, in welcher Region der Welt der Somerton-Mann gelebt hat. Allein das wäre schon sehr hilfreich, denn viele der Theorien über seine Herkunft ließen sich mit dieser Information erhärten oder widerlegen.
Woher kam der Somerton-Mann?
Schauen wir uns ein paar Hypothesen zur Herkunft des rätselhaften Toten an:
- Australien: Dass der Tote Australier war, erscheint zunächst unwahrscheinlich. Schließlich war sein Foto dort in so ziemlich jeder Zeitung schon zigmal abgebildet. Kaum vorstellbar, dass er unerkannt blieb. Doch wer weiß? Eine Theorie, auf die mich Blog-Leser Wolfgang Wilhelm aufmerksam gemacht hat, lautet, dass der Somerton-Mann normalerweise als Frau lebte, in diesem Moment aber ausnahmsweise als Mann unterwegs war.
- Mitteleuropa: Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich viele Nazi-Schergen ins Ausland ab (oft über die so genannten Rattenlinie). Vielleicht gehörte auch der Somerton-Mann dazu. Sein Verschwinden in den Wirren der Nachkriegszeit hätte vermutlich kein großes Aufsehen erregt. Das Foto des Toten war in Europa damals kaum bekannt, wodurch vielleicht niemandem auffiel, dass der Veschwundene am anderen Ende der Welt wieder aufgetaucht war.
- Osteuropa: Vielleicht war der Somerton-Mann ein Spion aus dem Ostblock. Dies würde erklären, warum er offiziell nirgendwo vermisst wurde. Denkbar wäre auch, dass der Tote auf der Flucht vor Stalin und dessen Säuberungsaktionen war.
- Nordamerika: Der Tote könnte auch ein Spion aus den USA (oder Kanada) gewesen sein. Allerdings kann ich mir nicht so recht vorstellen, dass die dortigen Angehörigen (die vermutlich nichts von der Spionage-Tätigkeit wussten) nie das Foto zu Gesicht bekamen.
- Lateinamerika: Auch in Mittel- und Südamerika gab es zur damaligen Zeit zweifellos Menschen, die einen Grund hatten, nach Australien zu fliehen und dort ihre Herkunft zu verschleiern.
Vielleicht wissen wir in ein paar Wochen mehr. Ich bin sehr gespannt, was die Exhumierung und die anschließende Untersuchung ergeben wird.
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Further reading: How police tried to catch the BTK killer with a subliminal message
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