Vor einer Woche habe ich über die verschlüsselten Nachrichten eines Spions aus dem Zweiten Weltkrieg gebloggt, die seit Jahrzehnten Rätsel aufgeben. Dank meiner Leser kann ich heute Neues zu diesem kryptologischen Cold Case präsentieren.
English version (translated with DeepL)
Leider muss ich zunächst einmal eine Sache zugeben: Diesen Blog-Artikel hätte ich schon vor acht Jahren schreiben können – wenn ich damals eine Literaturquelle, die mir Cipherbrain-Leser Max Baertl nannte, zu Ende gelesen hätte. Das tat ich jedoch nicht. Daher kann ich erst heute die (äußerst spannenden) Hintergründe zu einer ungelösten Kryptogramm-Serie präsentieren, über die ich schon öfters gebloggt habe. Vielleicht können meine Leser die besagten Kryptogramm mit den neuen Informationen sogar dechiffrieren.
Die Köhler Kryptogramme
David Kahn berichtet in seinem Buch “Hitler’s Spies” von einem Spion, der unter dem Namen “Köhler” geführt wurde. Köhler hielt sich in den Vierziger-Jahren in New York auf und arbeitete für die Abwehr, den damals wichtigsten deutschen Geheimdienst.
Was nicht in “Hitler’s Spies” steht: Bei seinen Recherchen stieß David Kahn auf fünf verschlüsselte Nachrichten, die von Köhler stammten und die die Abwehr im Februar 1944 in Paris erreichten. In Paris sammelte man damals Informationen über die erwartete Invasion der Alliierten. 1981 veröffentlichte Kahn diese fünf ungelösten Kryptogramme in der Fachzeitschrift “Cryptologia” (Ausgabe April/1981). Meines Wissens wurde dieses spannende Krypto-Rätsel in der Literatur anschließend nicht mehr gewürdigt. Die Lösung ist bis heute nicht bekannt.
Hier sind die fünf von Kahn aufgefundenen verschlüsselten Nachrichten, die ich als Köhler-Kryptogramme bezeichne (die Zahlen stehen offensichtlich für die Länge der jeweiligen Nachricht):
An
Abwehrleitstelle Frankreich
Paris Funkstelle
Sofort vorlegen!
Betr.: Koehler
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Ich habe bereits mehrfach über die Köher-Kryptogramme gebloggt. Nach einem Artikel, den ich 2013 veröffentlichte, wies mich Blog-Leser Max Baertl darauf hin, dass mit Köhler der Spion Walter Koehler gemeint sein könnte, der sich Anfang der Vierziger-Jahre in New York aufhielt. Max Baertl nannte auch eine Literatur-Quelle dazu, und zwar einen Online-Artikel auf einem Portal über Militärgeschichte, geschrieben von einem David Alan Johnson.
In dieser Quelle las ich, dass der besagte Walter Koehler New York im Jahr 1941 verlassen hatte. Da die Köhler-Kryptogramme aus dem Jahr 1944 stammen, schien das nicht zu passen. Ich schenkte dieser Geschichte daher keine weitere Beachtung.
Letzte Woche bloggte ich wieder einmal über die Köhler-Kryptogramme. Anschließend wies mich Blog-Leser Max Baertl erneut auf Walter Koehler und die besagte Quelle hin. Dieses Mal las ich den Artikel ganz durch und erfuhr: Walter Koehler verließ New York zwar tatsächlich im Jahr 1941, doch er kam nach einem guten Jahr wieder dorthin zurück. Und mehr noch: Auch der Rest der Geschichte von Walter Koehler passte zu den Kryptogrammen. Die Leser Ralf Bülow, Thomas Bosbach, Karo und Gerd lieferten weitere Informationen.
Mit acht Jahren Verspätung kannte ich nun plötzlich die gesamte Hintergrundgeschichte zu den Köhler-Kryptogrammen. Diese will ich meinen Lesern nicht vorenthalten.
Der Spion Walter Koehler
Walter Koehler, so ist im Artikel von Johnson zu lesen, war Niederländer – trotz seines deutschen Nachnamens. Als Ingenieur hatte er ein gutes technisches Verständnis, außerdem konnte er im Ersten Weltkrieg Geheimdienst-Erfahrung sammeln.
Offenbar gelang es der Abwehr Ende der Dreißiger-Jahre, Koehler als Spion anzuwerben. Man schickte ihn mit einer Legende versehen in die USA. Dort sollte er vor allem herausfinden, ob die US-Amerikaner eine Atombombe bauten und wie weit sie gegegebenfalls damit waren – ein schwieriges Unterfangen. Zunächst hatte Koehler jedoch den Status eines “Schläfers” – er war also nicht aktiv und sollte sich erst einmal einleben.
1941 beorderte die Abwehr Koehler überraschend zurück nach Deutschland. Es gab finanzielle Unregelmäßigkeiten, und Koehler stand im Verdacht, Teile des ihm anvertrauten Gelds veruntreut zu haben. Anscheinend kam der Spion trotz dieser Vorwürfe ohne Bestrafung davon. Ob er eine überzeugende Erklärung lieferte oder ob man ihn einfach nur dringend brauchte, ist nicht bekannt.
1942 reiste Koehler im Auftrag der Abwehr erneut in die USA. Doch dieses Mal lief die Sache anders. Als er in der US-Botschaft in Madrid ein Visum beantragte, gab Koehler zu verstehen, dass er als Spion von den Deutschen geschickt worden war. Die US-Beamten, die mit diesem Geständnis konfrontiert wurden, wunderten sich zwar, reichten die Information aber weiter, und so wurde schließlich das FBI auf Koehler aufmerksam.
Wie Koehler erwartet hatte, machte ihn das FBI nun zum Doppelagenten. Man ließ ihn in die USA einreisen, und kurz darauf erreichten aus New York versendete Funksprüche den vereinbarten Kontaktmann in Hamburg. Diese Nachrichten waren mit einer Buch-Chiffre auf Basis eines niederländischen Gebetbuchs verschlüsselt, die die Abwehr Koehler vor seiner Abreise beigebracht hatte.
In Wirklichkeit stammten die Funksprüche jedoch vom FBI. Dort hatten Spezialisten die Unterlagen von Koehler übernommen und gaben sich nun für diesen aus. In falschen Spionage-Berichten übermittelten sie in der Folgezeit eine Mischung aus Banalitäten und Falschinformationen an die Abwehr. Diese antwortete regelmäßig per Funk und sparte dabei nicht mit Lob für den vermeintlichen Spion.
Währendessen wohnte Koehler unter FBI-Aufsicht in einem New Yorker Hotel und lebte ein ruhiges Leben.
Was das FBI nicht wusste: Während seines Aufenthalts schickte Koehler verschlüsselte Botschaften an die Abwehr in Paris, in denen er die Wahrheit erzählte und echte Informationen lieferte. Die Abwehr wusste also, dass das FBI hinter den Buch-Chiffre-Funksprüchen steckte und dass diese nichts wert waren. Wie Koehler es schaffte, seine zusätzlichen Nachrichten zu verschicken, ist nicht bekannt. Vielleicht kommunizierte er über einen Toten Briefkasten mit einer Kontaktperson.
Das FBI bemerkte Koehlers falsches Spiel nicht. Erst in den Siebziger-Jahren deckte ein US-Journalist den Schwindel auf. Ich vermute, dass Koehler zu diesem Zeitpunkt längst verstorben wr. Seine genauen Lebensdaten sind mir leider nicht bekannt.
Einordnung der Kryptogramme
Kommen wir noch einmal zu den fünf Köhler-Kryptogrammen zurück. Diese wurden nach Paris geschickt. Es handelt sich also um Berichte, die Walter Koehler ohne Wissen des FBI versendet hat. Sie wurden nicht mit der besagten Buch-Chiffre verschlüsselt. Welche Verfahren stattdessen infrage kommen, habe ich vor einer Woche erörtert. Leider enthält der Johnson-Artikel zu diesem Thema keine neuen Informationen. Auch die anderen Quellen, die meine Leser nannten, geben diesbezüglich nichts her.
Kann ein Leser mit den neuen Informationen trotzdem mehr zu den Köhler-Kryptogrammen sagen? Vielleicht lassen sich die Botschaften sogar irgendwann lösen.
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Further reading: Harold James Nicholson: Der Spion, der kodierte Grußkarten verschickte
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