Die verschlüsselten Nachrichten eines Spions aus dem Zweiten Weltkrieg geben seit Jahrzehnten Rätsel auf. Können meine Leser Licht ins Dunkel bringen?

English version (translated with DeepL)

Zu den angenehmen Nebeneffekten meines aktuellen Buchs “Codebreaking: A Practical Guide”, das ich auf Englisch zusammen mit Elonka Dunin veröffentlicht habe, gehört, dass ich momentan öfters zu Vorträgen oder Interviews im englischsprachigen Raum eingeladen werde. Mitte Juli werden Elonka und ich beispielsweise bei einem US-Podcast zu Gast sein und dort über die Verschlüsselungstechniken von Spionen reden.

Gesprächsthemen gibt es genug, schließlich habe ich auf Cipherbrain schon oft über Spione und ihre Chiffren berichtet. Man denke etwa an Brian Regan (“The spy who couldn’t spell”), Kanzlerspion Günter Guillame oder John Anthony Walker. Oder an die Puppen-Spionin Velvalee Dickinson, über die ein Kapitel in meinem Buch “Versteckte Botschaften” enthalten ist. Wenn die besagte Podcast-Folge veröffentlicht wird, werde ich natürlich darüber bloggen.

Wenn sich die Gelegenheit bietet, werden Elonka und ich in diesem Interview auch die Köhler-Kryptogramme ansprechen. Es handelt sich dabei um fünf verschlüsselte Funksprüche, die im Zweiten Weltkrieg von einem Spion aus New York nach Deutschland geschickt wurden. Ich habe schon mehrfach über die Köhler-Kryptogramme gebloggt, doch bisher gelang es niemanden, diese Nachrichten zu knacken. Aus Anlass des erwähnten Podcast-Auftritts möchte ich heute noch einmal einen Versuch wagen. Vielleicht können meine Leser neue Hinweise beisteuern.

 

Der Hintergrund

Das Standardwerk zu deutschen Spionageaktivitäten im Dritten Reich ist das Buch “Hitler’s Spies” David Kahn. Letzterer hat bekanntlich auch das legendäre Krypto-Geschichtsbuch “The Codebreakers” geschrieben, aber dieses soll an dieser Stelle nicht interessieren.

Wie Kahn in “Hitler’s Spies” berichtet, gelang es der Abwehr (dies war damals der wichtigste deutsche Geheimdienst), einen Spion in New York anzuwerben, der unter dem Namen “Köhler” geführt wurde. Wie dieser wirklich hieß und wer er war, ist nicht bekannt. Vermutlich hatte Köhler keinen Zugang zu Geheiminformationen und bezog seine Informationen daher aus Alltagsbeobachtungen. Laut Kahn berichtete er beispielsweise über US-Offiziere, die er an einer Hotelbar traf und die dort mehr oder weniger interessante Dinge ausplauderten. Kahn vermutet, dass Köhler teilweise unter dem Einfluss des FBI stand, weshalb seine Berichte an die Abwehr möglicherweise frisiert waren.

Mehr ist über Köhler nicht bekannt. Cipherbrain-Leser Max Baertl machte mich darauf aufmerksam, dass es im Zweiten Weltkrieg einen deutschen Spion namens Walter Koehler gab, der in New York lebte. Das würde zwar passen, doch Koehler wurde 1941 nach Deutschland zurückbeordert – drei Jahre bevor die Kryptogramme entstanden.

Was nicht in “Hitler’s Spies” steht: Bei seinen Recherchen stieß David Kahn auf fünf verschlüsselte Nachrichten, die von Köhler stammten oder diesen betrafen und die die Abwehr im Februar 1944 intern nach Paris weiterleitete. In Paris wurden damals Informationen über die erwartete Invasion der Alliierten gesammelt. 1981 veröffentlichte Kahn diese fünf Kryptogramme in der Fachzeitschrift Cryptologia (Ausgabe April/1981).

Meines Wissens wurde dieses spannende Krypto-Rätsel in der Literatur anschließend nicht mehr gewürdigt.

 

Die Kryptogramme

Hier ist das von Kahn aufgefundene Schreiben mit den fünf verschlüsselten Nachrichten (die Zahlen stehen offensichtlich für die Länge der jeweiligen Nachricht):

An
Abwehrleitstelle Frankreich
Paris Funkstelle
Sofort vorlegen!
Betr.: Koehler

237
Ybtat mqfvo dvbis prito kecqg kokik kyiwm zuarj
alyia qtxvi vxzya szgou skiqn rbqjq nogex ezdnf
vusda zurop ixklo cmnbl grdhz swmch kupef pzlej
hbord wkkhu vthjk sfwda jepmu izvig kzlau rdrxx
mdecs spozv eeeod dlmdz nqmia pidwg xdcyy mvkso
hmmii impwq nkipa mljvm sqsbb glevn sktlq tn.

178
Eekao parwo xiavy pejux lhnjh pbqdd vdvxb mdiia
gwymn zbivm abuws dwoug djozl ylaug loaea ilihj
swjft oetad tjisn avaqn sodwb wzaxe zvoxg xpgzv
adurm shvxx xfmuq pdpvq dqwtu fryok xfvcp ydzwm
ofwfl uzfne qsslo avl.

137
tziqb lqqxs kinod mbvil sukms syarh mhzvp tvswm
ayddg rixyy omfzm ugfzz aznqe ljuyi ygwuo qmdbi
vcxgz rmzno pessh gpoyx qqlei xmaoj buugz czfdl
yzmkp gsmfm dteze oxmos.

140
dmxkb kqnvh zzeek beoop ygcca yvepv tykmt iykfl zkacv
uxiyd kruwy vnjvp xyeqp jpmfo abzpt mjtdy zvzky bjgze
vdtyd zeejw zumjp ivsna gsmzq dltxb qjqqj fnpta mqted
skijj.

229
fpoxa tijyp qrerq znqst zasnk zarvq hhsmw vlhfg pyhqc
yuirf fsgoi twgdg sbphc fkfza bpegh jzujn wtsxp ijamg
tzdto hxzdn uivww tizoc axkye lhmdn sfzjo omrhb zpith
hkisf anvdr ynhqk syrgi ltxos wabom dzwlb byava sjomn
qqszs adddu greao albon lxzgi iwpnf uzgui jgmya ksqfw
zsjl.

 

Lösungsansätze

Meine Leser haben im Laufe der Jahre über 50 Hinweise zu den Köhler-Kryptogrammen geliefert, doch lösen konnte diese Funksprüche bisher niemand. Es ist noch nicht einmal klar, ob Köhler diese Nachrichten selbst verschlüsselt hat oder ob ein anderer Abwehr-Mitarbeiter dies tat.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Buchstaben- und Buchstabenpaar-Häufigkeiten (ermittelt mit der Software CrypTool):

Quelle/Source: CrypTool

Die Verteilung ist recht flach. Dies spricht dafür, dass keine einfache Buchstaben-Ersetzung verwendet wurde. Auch eine Transpositions-Chiffre passt nicht. Eine Vigenère-Chiffre ist zumindest unwahrscheinlich.

Was könnte es dann sein? Meine Blog-Leser haben unter anderem vorgeschlagen:

  • One-Time-Pad: Dieses Verfahren war im Zweiten Weltkrieg noch nicht allzu weit verbreitet.
  • Enigma: Spione verwendeten keine Enigmas, da eine solche zu auffällig gewesen wäre. Ein Abwehr-Mitarbeiter könnten jedoch eine Abwehr-Enigma (eine solches gab es) verwendet haben.
  • Buch-Chiffre: Eine solche wird üblicherweise mit Zahlen notiert. Beispielsweise kann 12345 für den 45. Buchstaben auf seite 123 stehen. Das passt hier aber nicht.
  • Codebuch: Es gibt zwar Codebücher, die aus fünf Buchstaben bestehende Codewörter enthalten, allerdings stehen in diesem Fall am Ende der Nachrichten meist kürzere Buchstaben-Gruppen. Dies spricht dafür, dass nicht wortweise, sondern buchstabenweise verschlüsselt wurde. Ein Codebuch ist daher unwahrscheinlich.

2017 habe ich beim Euro HCC (heute als HistoCrypt bekannt) einen Vortrag über deutsche Spionage-Chiffren im Zweiten Weltkrieg gehalten. Hier gibt es die Folien dazu. Weitere Verfahren habe ich in der zum Vortrag gehörenden Arbeit aufgeführt:

Quelle/Source: Schmeh

Es fällt auf, dass Nazi-Spione viele unterschiedliche Methoden anwendeten (die Liste ist sicherlich nicht annähernd vollständig). Die meisten dieser Verfahren waren recht einfach und nicht übermäßig sicher. Vermutlich überlegten sich die zuständigen Krypto-Spezialisten für unterschiedliche Spione unterschiedliche Chiffren, wobei sie die Einsatzumgebung und die Fähigkeiten der betreffenden Person berücksichtigten.

Meine Vermutung ist daher, dass auch Köhler mit einem eher simplen, aber halbwegs praktikablen Verfahren verschlüsselte. Von den in meinem Folien genannten und auf der Liste stehenden Verfahren passen die meisten nicht. Das ABC-Verfahren und die von Kunsemueller verwendete Methode könnte man aber zumindest mal prüfen.

Kann ein Leser mehr zu diesem kryptologischen Cold Case sagen? Falls ja, würde ich dies beim Podcast-Interview sicherlich erwähnen.


Further reading: Wie die Briten Jagd auf deutsche Spionage-Mitteilungen machten

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Kommentare (13)

  1. #1 Anna
    4. Juli 2021

    Auf den ersten Blick würde ich auf die Phillips Chiffre tippen…

  2. #2 Max Baertl
    4. Juli 2021

    According to this article https://nationalinterest.org/blog/reboot/walter-koehler-german-spy-who-bested-hoover-during-wwii-182257 Walter Köhler was again send to the USA in 1942 and send his last message on 26. April 1945 from there.

  3. #3 Klaus Schmeh
    4. Juli 2021

    @Max Baertl:
    >Walter Köhler was again send to the USA in 1942
    Thank your very much for this information! All this fits very well. It now seems clear that Walter Köhler is identical with the person in question. This information was already contained in the article you linked in 2016, but I overlooked it. Sorry for this. I’m glad that this mystery is solved now.

  4. #4 Ralf Buelow
    Berlin
    5. Juli 2021

    Köhler ist das Thema des letzten Kapitels von Ladislas Farago’s Buch “Das Spiel der Füchse” (dt. 1972, orig. “The Game of the Foxes”, 1971). Es skizziert auch seine Chiffrier-Verfahren.

  5. #5 Ralf Buelow
    Berlin
    5. Juli 2021

    Sorry, vergessen: hier ist Farago’s Buch – zugänglich nach Anmeldung auf archive.org: https://archive.org/details/gameoffoxesuntol00fara/page/822/mode/2up

  6. #6 Thomas
    5. Juli 2021

    In his article “The spy who double-crossed Hitler” (American magazine, May 1946) FBI director J. Edgar Hoover wrote that Koehler had used a code based on a “Dutch language prayer book”.

  7. #8 Gerd
    5. Juli 2021

    Very interesting find, #7! So the FBI’s fake Köhler messages were sent to Hamburg. The messages Kahn found were sent to Paris and thus are “real” Köhler messages. The article says that for both channels different ciphers have been used.

  8. #9 Klaus Schmeh
    5. Juli 2021

    Tam Nguyen via Linked-in:
    I suspect this encrypted message is ADFGX to be followed by a substitution step to “translate” A,D,F,G,X to a full set of 26 alphabet. One convenient way for the agent to do this is to use the same transpose key to transpose the first A,D,F,G,X table to another A,D,F,G,X table that can be used to map ADFGX encrypted text to regular alphabets.

    So the first step is to find a rule that map those characters back to just A,D,F,G,X. I’ll probably try the key “swift”.
    Then, you still need time to probe combinations of possible keys and a substitution character pair to solve the regular ADFGX steps.

  9. #10 Klaus Schmeh
    5. Juli 2021

    Timothy Holdiness via Facebook:
    Interesting!

  10. #11 Drachenlord
    6. Juli 2021

    Da steht:” ich abbeidde had für mein barrne”

  11. #12 Klaus Schmeh
    6. Juli 2021

    Thanks for alle the comments. As it seems, Koehler used an unknown method for these five radio messages. I’m afraid it will be difficult to break these.

  12. #13 TrickyOne
    Wien
    17. Oktober 2021

    Sehr geehrter Herr Schmeh,
    Ihre These, dass “Köhler mit einem eher simplen, aber halbwegs praktikablen Verfahren verschlüsselte.” ist schlüssig argumentiert und ich sehe das auch so.
    ABER: Köhler hat diese Nachricht mit simplem Algo nach HANNOVER geschickt und von dort wurden diese nochmals nach Paris gesendet. D.h. doch, dass die im Blog genannten Nachrichten ein INTERNER Austausch von Hannover nach Paris waren und daher durchaus ENIGMA-Verschlüsselt sein könnten? Oder habe ich da irgendwo einen Denkfehler?