Wie ist der Text im Voynich-Manuskript entstanden? Der Dresdner Informatiker Torsten Timm hat bereits vor Jahren eine Erklärung entwickelt, die ich für sehr interessant halte – auch wenn viele davon enttäuscht sein dürften.

English version (translated with DeepL)

Kaum zu glauben, aber mein letzter Blog-Artikel über das Voynich-Manuskript ist schon wieder über ein Jahr her. Dabei gibt es über das wohl größte Rätsel der Krypto-Geschichte durchaus Interessantes zu berichten. Mein heutiger Post ist im Grunde sogar überfällig, denn das Thema ist schon ein paar Jahre alt.

Quelle/Source: Beinecke Library

 

Zufall ist schwierig

Es geht heute um folgende (ebenfalls nicht gerade neue) Frage: Wie kann es sein, dass ein verschlüsseltes Buch aus dem Mittelalter trotz aller Mühen nicht dechiffriert werden kann. Die damals bekannten Verschlüsselungsmethoden waren schließlich äußerst primitiv, und die 230 Seiten des Manuskripts liefern scheinbar mehr als genug Analysematerial. Die mögliche Antwort: Der Voynich-Text ist gar nicht verschlüsselt, sondern besteht lediglich aus einer sinnlosen Aneinanderreihung von Buchstaben.

Diese Antwort hat jedoch einen Haken: Es ist gar nicht so einfach, ein paar Seiten mit sinnlosen Buchstabenfolgen zu füllen – geschweige denn ein ganzes Buch. Menschen, die das versuchen, verfallen meist in Wiederholungen oder bringen dann doch sinnvolle Wörter zu Papier. Torsten Timm, von dem noch die Rede sein wird, hat dazu folgende Quellen gefunden:

  • Die Psychologen Treismann und Faulkner schrieben 1987: “It is a dramatic observation that when human subjects asked to generate random sequences, they normally cannot produce sequences that satisfy accepted criteria for randomness”. Wenn man sich etwas Neues ausdenken will, handelt es sich dabei um einen kreativen und somit aufwendigen Prozess. Dabei spielt es schlichtweg keine Rolle, ob man sich etwas Unsinniges ausdenken will oder nicht. Es ist daher durchaus naheliegend, dass man statt sich etwas neues auszudenken, lieber nach etwas Bekanntem sucht, um dieses dann als Blaupause zu verwenden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die recht simple Aufgabe, sich ein neues Passwort auszudenken. Ohne Passwortgenerator ist es gar nicht so einfach, sich eine Zeichenfolge ohne Sinn, also ohne erkennbare Vorlage und ohne innere Systematik, auszudenken.
  • Die Voynich-Manuskript-Expertin Mary D’Imperio von der NSA schrieb zu diesem Thema folgendes: “The scribe, faced with the task of thinking up a large number of dummy sequences, would naturally tend to repeat parts of neighboring strings with various small changes and additions … “.
  • Ein weiterer Artikel zu diesem Thema ist “Writing that isn’t. Pseudo-scripts in comparative view“, der 2018 in der Zeitschrift “L’Homme” erschienen ist.
  • In einem Video der Yale Alumni Academy wird ein Experiment beschrieben, das Voynich-Manuskript-Expertin Claire Bowern mit 40 ihrer Studenten durchgeführt hat (ab Minute 49). Hierbei hatten die Studenten die Aufgabe, einen Text ohne Inhalt zu schreiben. Bowern berichtet, dass sich die Studenten häufig an Fremdsprachen orientieren oder sich aussprechbare Fantasiewörter ausdachten. Nach dem Schreiben von etwa 100 Wörtern fiel es den Studenten immer schwerer, sich neue Wörter auszudenken. Sie begannen nun, sich zu wiederholen. Manche verwendeten Wortbestandteile systematisch wieder oder wandelten Wörter ab. Eine Studentin verwendete beispielsweise wiederholt Wörter, die Ähnlichkeit zu “kadaya” oder “gebuni” besaßen.

Die Hypothese, dass der Inhalt Voynich-Manuskripts spontan generierter Unfug ist, ist aus diesen Gründen in der Voynich-Szene nicht allzu populär. Dennoch habe ich in meinen Veröffentlichungen schon mehrfach geschrieben, dass ich die Spontan-generierter-Unsinn-Hypothese nicht vollständig verwerfen würde. Vielleicht gibt es ja doch Menschen, die die Gabe des Unsinn-Produzierens haben. Ein Grund für die geringe Popularität dieser Theorie könnte sein, dass sie eine reichlich enttäuschende Lösung für das Voynich-Rätsel liefert. Es wäre eben deutlich spannender, wenn der Inhalte des Manuskripts einen Sinn hätte.

Quelle/Source: Beinecke Library

 

Die Self-Citation-Theorie

Man kann Unsinn allerdings auch mit einer Methode generieren. Der deutsche Voynich-Manuskript-Experte Torsten Timm hat schon vor Jahren eine solche Methode beschrieben, die der Verfasser des Voynich-Manuskripts angewendet haben könnte. Es gibt einen Cryptologia-Artikel dazu, sowie eine weitere Arbeit. Ich habe bereits 2014 kurz zu diesem Thema gebloggt, bin aber seitdem nicht mehr darauf eingegangen.

Timms Methode sieht vor, dass man zunächst einige Textstücke erstellt und diese anschließend mit Änderungen vielfach wiederholt. Dieses Vorgehen, das man als “Self-Citation” bezeichnen kann, klingt äußerst einfach, ist aber anscheinend in der Lage, viele Eigenschaften des Voynich-Manuskript-Texts zu reproduzieren. Auch die Tatsache, dass der Inhalt des Manuskripts einige Eigenschaften natürlicher Sprache hat, aber allem Anschein nicht in einer solchen verfasst ist (danke an dieser Stelle an den Linguisten Jan Henrik Holst, der mir das kürzlich noch einmal klar gemacht hat), ist damit erklärbar.

Die Self-Citation-Methode erklärt laut Timm auch, dass der Voynich-Text so gut wie keine Korrektur enthält. Auch dass die Zeilen nahezu perfekt den verfügbaren Platz am Zeilenende bzw. vor Illustrationen ausnutzen, wird damit verständlich.

Quelle/Source: Beinecke Library

 

Rezeption der Self-Citation-Hypothese

Auch der Cipherbrain-Leser, Linguist und Voynich-Manuskript-Experte Jürgen Hermes ist ein Anhänger der Self-Cotation-Hypothese. Hier ist ein Artikel von ihm zum Thema.

Interessant ist außerdem folgende Präsentation von der Universität Köln, in der Timms Erklärung als die wahrscheinlichste der derzeit kursierenden Hypothesen bezeichnet wird.

Quelle/Source: Beinecke Library

 

Doch spontan generierter Unsinn?

Was mir bisher nicht klar war, worauf mich Torsten Timm aber hingewiesen hat, ist, dass man die Self-Citation-Methode durchaus auch unbewusst nutzen kann. Laut Timm fiel Bowern im oben verlinkten Video nicht auf, wie ähnlich das Ergebnis ihres Experiments mit den 40 Studenten dem Text im Voynich Manuskript kamen. Im Voynich-Text sind viele repetitive Textpassagen zu finden, beispielsweise “kol chol chol kor chal sho chol shodan” (f1r.P3.16) oder “shol chol shoky okol sho chol shol chal shol chol chol shol ctaiin shos odan” (f42r).

Insgesamt ist das von den Studenten intuitiv genutzte Verfahren zur Textgenerierung dem von Timm beschriebenen Self-Citation-Verfahren durchaus ähnlich.

Wenn man die Self-Citation-Methode auch unbesusst nutzen kann, heißt das, das es doch möglich ist, Unsinn spontan zu genieren – zumindest in einem Maße, der zur Generierung des Voynich-Texts notwendig wäre.

Insgesamt gefällt mir die Hypothese von Torsten Timm von allen Theorien zur Entstehung des Voynich-Texts am besten. Leider hat sie den bereits erwähnten Nachteil: Sie ist für viele zu unspektakulär, um wahr zu sein. Wo käme man hin, wenn eines der großen Rätsel der Kulturgeschichte eine derart banale Lösung hätte? Doch die Geschichte des Voynich-Manuskripts ist nun einmal kein Kriminalroman, der mit einem spektakulären Ende aufwarten muss, sondern ein Stück Realität. Und in der Realität sind unspektakuläre Lösungen nun einmal die Regel.


Further reading: The Top 50 unsolved encrypted messages: 1. The Voynich Manuscript

Linkedin: https://www.linkedin.com/groups/13501820
Facebook: https://www.facebook.com/groups/763282653806483/

Subscribe to Blog via Email

Enter your email address to subscribe to this blog and receive notifications of new posts by email.

Kommentare (5)

  1. #1 Peter M
    14. September 2021

    Das ist ja alles nett, aber die Theorie hinkt.
    Ich muss beachten was mir das Buch sagen will. Bei genauerer Betrachtung hat vieles seine Richtigkeit, auch wenn man es erst auf den zweiten Blick sieht. Dies einmal ohne auf den Text zu achten.
    Jetzt haben wir etwas an deutschen Text. Dies ist ziemlich sicher. Sicher ist aber auch, würde ich den deutschen Text verschlüsseln, wäre es sicher zu lösen, und noch sicherer es wäre bereits gelöst.
    Einmal abgesehen davon sind auch beim deutschen Text die verrücktesten Auslegungen aufgetreten.
    Soweit OK.
    Aber was ist mit der Seite 116? Scheint romanischer Herkunft zu sein. Eine Verschlüsselung ist nicht sichtbar, dennoch scheiden sich bereits hier die Geister.
    Bei ca. 200 romanischen Dialekten gut möglich das hier einer passt. Aber leider sind sie nicht elektronisch als Sprache erfasst. Dumme Sache für Computerspeziallisten, wenn man wieder ein Buch in die Finger nehmen muss. Und wo sind die Linguisten? Haben auch nichts Handfestes vorzuweisen.
    Wenn man etwas nicht versteht wenn es nicht verschlüsselt ist, dann sicher auch nicht ………!
    Logischer Aufbau des Buches
    Bilder wo sich zuordnen lassen
    Deutscher Text
    Romanischer Text.
    Ergebnis: 4 zu 0

  2. #2 Klaus Schmeh
    14. September 2021

    Giuseppe Bianchi via Facebook:
    Ancient authors wanted to be sure that the content of the book was always readable, if you think a solution too difficult you are on the wrong track

  3. #3 Klaus Schmeh
    14. September 2021

    Mark Moiseevich via Facebook:
    There is a widely accepted misconception among scholars that similar ligatures used in manuscripts are the same letters. Similar ligatures are either syllables or other letters.

  4. #4 Joachim
    15. September 2021

    Danke für diesen Artikel (besonders, weil ich bei Texten zum Voynich-Manuskript überkritisch bin).

    Das “Problem” der Self-Citation-Theorie ist die Motivation. Warum sollte das jemand tun?

    Eine vielleicht mögliche, zugegeben kaum überprüfbare These:

    Der Autor/Künstler kannte Bücher, war fasziniert davon, konnte jedoch nicht lesen oder schreiben. Er hat eine Buchsimulation als Kunstwerk (aus heutiger Sicht) geschaffen. Self-Citation ist der Schaffens-Algorithmus der Simulation oder der “Generator”. Es gibt keinen klaren Inhalt, abgesehen von dem, was im Kopf des Schaffenden war und für ihn wenigstens in Schriftform (mangels Schreibfähigkeit) nicht auszudrücken war. Die für mich zum Rest unpassenden Badenden deuten IMHO darauf hin; ich denke das ist ein Paradies-Gedanke.

    So wird also die Welt bzw. eine Sicht darauf beschrieben von hier (Pflanzen, Natur) bis zur Ewigkeit (Paradies = Mechanik/Gesetze = Röhren).

    Ich fürchte, es gibt keinen weiteren heute noch erschließbaren Inhalt. Es ist einfach “nur” ein Kunstwerk.

    Das mag alles falsch sein, vielleicht sogar widerlegbar. Aber es sollte meine Hochachtung ausdrücken.

  5. #5 Behnert
    3. Januar 2022

    Sie hängen der Entwicklung hinterher.

    Ich empfehle mal

    http://www.rpmuseum.de/ueber-uns/projekte/das-voynich-manuskript.html

    und zum erstenmal machen die sich ergebenden Übersetzungen Sinn.

    Vorallem wenn man bedenkt, dass im frühen Mittelalter, die Hebräer eine Kontakt- u. Wissensbrücke zu früheren wissenschaftlichen Hochkulturen (Heilkunde/Botanik – Astrologie – etc.) wie Persien bildeten.

    Und die echten Verfasser des VM wären auch nicht die ersten, die eine für Ihre Sprache geeignete vereinfachte Schreibschrift entwickelt hätten.

    Gruß