Mit den Coronadaten ist es nicht immer ganz einfach. Hinter jeder Ecke lauert die Gelegenheit zu einem Fehlschluss, für manche Leute auch die Chance zur überzeugenden Irreführung. Was das Impfen bewirkt und was nicht, eignet sich dafür offensichtlich ganz besonders, wie schon der Altmeister der kreativen Epidemiologie, Sucharit Bhakdi, in seinem zweiten Buch vorgeführt hat. Bernt-Peter-Robra, der vielen hier schon durch mehrere Gastbeiträge bekannt sein dürfte, und natürlich durch seine Mitarbeit am living book „Corona verstehen“, macht im Folgenden in einem neuen Gastbeitrag auf ein weiteres Beispiel dazu aufmerksam.
Impfquoten und Inzidenzen – wie eng ist der Zusammenhang?
Bernt-Peter Robra
Als zu Beginn der COVID-19 Pandemie der erste PCR-Test verfügbar wurde, hieß die WHO-Empfehlung „Testen, Testen, Testen“. Seit Ende 2020 wird nach Kräften geimpft. Eine Analyse des Zusammenhangs zwischen Impfquoten und Inzidenzen ist allerdings nicht trivial. Ein kürzlich von Subramanian/Kumar im European Journal of Epidemiology publizierter internationaler Vergleich von 68 Ländern fand in Daten von Ende August bis Anfang September 2021 keinen Zusammenhang zwischen kumulativen Impfquoten und den zugehörigen 7-Tage-Inzidenzen. Dies irritiert, da das RKI mit der Farrington-Methode in den laufenden Wochenberichten große protektive Impfeffekte kalkuliert – für Infektionen ebenso wie für Hospitalisierungen, Intensivbehandlungen und Tod. Dabei ist jedoch zu beachten, dass trotz der Impfungen bisher noch sehr viele ungeschützt geblieben sind, so dass das Virus ausreichend „Brennstoff“ auch für eine dynamische Ausbreitung findet. Daher bleiben begleitende Maßnahmen wichtig, worauf Subramanian/Kumar ausdrücklich hinweisen.
Vor diesem Hintergrund sind einfache Korrelationen zwischen Impfquoten und Inzidenzen auf regional aggregierter Ebene (also im sog. „ökologischen Studiendesgin“) nicht leicht zu interpretieren. Wie sieht dieser Zusammenhang in Deutschland aus? Das RKI weist die entsprechenden Daten in seinen Situationsberichten und im Digitalen Impfmonitoring aus. Die Abbildung zeigt den Zusammenhang für die 16 deutschen Bundesländer, wobei die kumulative Impfquote („vollständig geimpft“) einen Vorlauf gegenüber der kumulativen Fallzahl bekommt. Der Korrelationskoeffizient beträgt -0,45. Die beiden Bundesländer oben links mit hohen Fallzahlen und geringer Impfquote sind Sachsen und Thüringen. Schleswig-Holstein hat die niedrigste kumulative Fallzahl bei leicht überdurchschnittlicher Impfquote. Die Streuung der Punkte vor allem in der Mitte der Verteilung signalisiert: Neben der Impfquote gibt es weitere Determinanten der kumulativen Inzidenz.
Man kann den gezeigten „protektiven“ Zusammenhang also nur als „partielle Produktionsfunktion“ zwischen Impfen und Infektionen interpretieren. So wurden beispielsweise im Verlauf der Epidemie weitere Kontrollmaßnahmen eingesetzt, und zwar eher reaktiv als proaktiv, d.h. bei steigender Inzidenz wurde die Kontrolle intensiviert. Das trifft auf die planvoll organisierten regionalen Impfkampagnen nicht zu. Sie haben zuerst die „priorisierten“ alten und multimorbiden Menschen erreicht. Aber auch innerhalb dieser Gruppe und vor allem in den jüngeren Jahrgängen gab und gibt es zahlreiche Nicht-Immune, die für das Virus weiter anfällig bleiben. Durch weitere Infektionen entstehen Immune zusätzlich zur Impfkampagne.
Im Moment umfasst die Gruppe der noch (oder schon wieder) nicht effektiv Geschützten gut ein Drittel der Gesamtbevölkerung, wenn wir unsere Schätzung vom August fortschreiben. Die kumulative Impfquote liegt in der gleichen Größenordnung. Eine feinere Analyse müsste zudem die unterschiedlichen altersspezifische Kontaktraten und die ungleichzeitigen Entwicklungen einzelner Altersgruppen berücksichtigen. Auch könnte man Daten auf Kreisebene analysieren. Doch abgesehen vom Aufwand ist nicht sicher, wie gut Wohnort und Impfstandort kleinräumig übereinstimmen, und altersspezifisch sind zeitnahe Analysen ohnehin nicht möglich, weil differenzierte Altersangaben zu den Impfungen der niedergelassenen Ärzte nur quartalsweise übermittelt werden.
Dass wir über den Impfstatus in Deutschland und seinen Regionen wenig wissen, ist kein Ruhmesblatt für das Digitalisierungs-Entwicklungsland Deutschland – eine zukünftig stringentere Datenorganisation sollte eine Konsequenz der unnötigen Streitereien um den Nutzen der Impfungen sein.
Dank an Joseph Kuhn für nützliche Hinweise.
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