In Pisa gibt es drei Inschriften aus dem Mittelalter, deren Bedeutung nicht bekannt ist. Letzte Woche hatte ich die Gelegenheit, diese rätselhaften Kryptogramme im Original zu betrachten.

English version (translated with DeepL)

Was macht man als Tourist in Pisa? Na klar, man schaut sich nach verschlüsselten Inschriften um. Davon gibt es in Pisa immerhin drei, wie man auf Cipherbrain bereits nachlesen konnte.

 

Die Inschriften von Barga, Pistoia und Pisa

Doch der Reihe nach. Vor ein paar Monaten bin ich beim Googeln auf eine verschlüsselte Inschrift in Barga, einer Stadt in Italien, gestoßen. Dieses Kryptogramm befindet sich an der Außenmauer der dortigen Kathedrale.

Quelle/Source: Public Domain

Wie man sieht, besteht die Inschrift nur aus einer kurzen Zeile, die zweimal wiederholt wird. Die Kreuze sind vermutlich Trennzeichen.

Cipherbrain-Leser Thomas Bosbach hat mich darauf hingewiesen, dass auf einer italienischen Webseite vier weitere Inschriften mit gleichem Inhalt erwähnt werden. Eine davon befindet sich in Pistoia, drei weitere in Pisa. Alle fünf Inschriften sind in den Cryptographic Travel Guide, eine Webseite von Christian Baumann und mir, eingetragen.

Quelle/Source: Open Street Map

Letzte Woche hatte ich im Rahmen einer Italien-Reise die Gelegenheit, einen Tag in Pisa zu verbringen. Dort traf ich mich mit meinem italienischen Kollegen und Cipherbrain-Leser Paolo Bonavoglia. Unnötig zu erwähnen, dass wir uns auf die Suche nach den Inschriften machten.

 

Die Inschrift im Museo di San Matteo

Die erste Inschrift befindet sich im Museo di San Matteo, das direkt am Arno gelegen ist.

Quelle/Source: Schmeh

Paolo rief vorher dort an und erkundigte sich. Zwar konnte man bestätigen, dass die Inschrift existierte und dort ausgestellt war, doch ansonsten wusste das Museumspersonal praktisch nichts zu diesem Thema. Anscheinend hatte sich noch nie jemand für dieses Exponat interessiert.

Im Museum war die Inschrift schnell gefunden. Sie befindet sich auf einem Stein, der ursprünglich an einer heute nicht mehr existierenden Kirche angebracht war.

Quelle/Source: Schmeh

Ein Blick auf den Stein verrät, dass das Kryptogramm nur ein Teil der Inschrift ist. Die obersten drei Zeilen sind relevant:

Quelle/Source: Schmeh

Und hier gibt es die verschlüsselte Inschrift in Großaufnahme:

Quelle/Source: Schmeh

 

Die Inschrift an der Kirche San Frediano

Vom Museo di San Matteo sind es nur ein paar Hundert Meter zur Kirche San Frediano. Dort ist eine weitere Inschrift dieser Art angebracht.

Quelle/Source: Schmeh

Die Inschrift findet sich links vom Eingang. Paolo und ich hatten keine Mühe, sie zu entdecken.

Quelle/Source: Schmeh

Allerdings weist kein Schild auf die Existenz der Inschrift hin, und man findet keine Erklärung dazu. Hier ist das Kryptogramm in Großaufnahme:

Quelle/Source: Schmeh

 

Die Inschrift am Baptisterium

Ich weiß nicht, ob meine Leser es wussten: In Pisa gibt es einen schief stehenden Turm zu bewundern. Auch diesen habe ich besucht und dabei ein sehr originelles Foto aufgenommen:

Quelle/Source: Schmeh

Der Schiefe Turm steht übrigens direkt neben dem Dom von Pisa. Zum gleichen Gebäudekomplex gehört auch das Baptisterium, die größte Taufkirche der Welt.

Quelle/Source: Schmeh

Am Baptisterium findet sich die dritte und letzte Inschrift dieser Art in Pisa. Sie ist auf der Außenseite, links neben einem der Eingänge, angebracht. Auch hier gilt: Die Inschrift ist leicht zu finden, obwohl nichts auf sie hinweist und keiner sich dafür zu interessieren scheint. Die Sicht auf die Inschrift wird außerdem durch eine Informationstafel behindert.

Quelle/Source: Schmeh

Und hier eine Großaufnahme:

Quelle/Source: Schmeh

 

Was steckt dahinter?

Mir hat die Suche nach den drei Inschriften in Pisa großen Spaß gemacht. Nebenbei konnte ich bei dieser Gelegenheit auch dem Schiefen Turm einen Besuch abstatten.

Ach ja, es wäre noch von Interesse, was diese seltsamen Kryptogramme bedeuten. Meines Wissens ist dies nach wie vor nicht bekannt. In den nächsten Tagen werde ich in einem weiteren Blog-Artikel auf einige Erklärungsmöglichkeiten eingehen. Kommentare zu diesem Thema nehme ich in der Zwischenzeit gerne entgegen.


Further reading: Unsolved: Two encrypted inscriptions mentioned in an old Masonic book

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Kommentare (13)

  1. #1 Norbert
    9. November 2021

    Handelt es sich bei der Kirche nicht um San Frediano?

  2. #2 Doc Cool
    9. November 2021

    Vielleicht heißt das nichts weiter wie “dieses Haus ist gesegnet” oder “Gott schütze dieses Haus.”

    Vielleicht ist es aber auch ein Kennzeichen des Erbauers oder Architekten. Man könnte ja mal danach forschen, ob die drei Gebäude zufällig den selben Architekten haben.

    Ansonsten ist der Weg, Licht in die Sache zu bringen wohl der, in Erfahrung zu bringen, was die drei Gebäude verbindet. Das kann vom erwähnten Erbauer oder Architekten über das Baujahr bis hin, wer darin gelebt hat, sein.

    Eventuell ist die Sache so einfach und in irgendeinem alten Fremdenführer wird darauf eingegangen.

    Bin mal gespannt, wie die Sache ausgeht…

  3. #3 Kerberos
    9. November 2021

    Was ist der erste Buchstabe in den Zeilen?
    Ein “M”?
    Was sollen die drei Nablas? Oder sind
    das (ganz freihändig) Maurerkellen?
    Benutzt(e) man in Italien dreieckige
    Kellen ?

  4. #4 Thomas
    9. November 2021

    Italienische Epigraphiker halten es für eine dreifache Anrufung des Erzengels Michael in einer langobardischen Form des Namens (“MIHILI”) (https://www.academia.edu/28744226/Ancora_sullepigrafe_con_triplice_invocazione_allarcangelo_Michele,
    https://www.academia.edu/51125775/The_Undeciphered_Inscription_of_the_Baptistery_of_Pisa ). Ein M, ein h und ein L (als griechisches lambda) sind zu erkennen. Ein Stein im Museo Di San Matteo in Pisa weist unter den drei rätselhaften Zeilen eine lateinische Inschrift auf (http://bargamistery.altervista.org/iscrizioni.html), die ich allerdings damit nicht in Verbindung bringen kann. Hier sind neben Wörtern wie operario (Arbeiter), lapide… (Stein) die Heiligennamen Cosmas und Damian zu erkennen, womit die nicht mehr existierende Pisaner Kirche bezeichnet sein soll, in der sich dieser Stein zuvor befand. Der lateinische Text enthält wohl keine Erklärung des Kryptogramms.

  5. #5 Klaus Schmeh
    9. November 2021

    @Norbert:
    >Handelt es sich bei der Kirche nicht um San Frediano?
    Doch, stimmt, habe ich korrigiert.

  6. #6 Gerd
    9. November 2021

    Gibt der Text auf dem Stein vom Museo di S. Matteo einen Hinweis? Immerhin kommen zwei der Geheimzeichen auch in diesem Text vor.

  7. #7 Norbert
    9. November 2021

    Der Stein im Museo di San Matteo war ursprünglich an der Fassade der – nicht mehr existierenden – Chiesa dei Santi Cosimo e Damiano angebracht, als Teil des rechten Türpfostens (wenn ich die von Thomas angegebene Quelle richtig lese).

    Der lateinische Text unter dem Kryptogramm besagt wohl, dass zwei Handwerker der Kirche namens Giovanni (lateinisch Iohannes) und Vernaccio sowohl das Portal rechtzeitig fertigstellten als auch für den Stein mit der Inschrift selbst verantwortlich sind. Komplett lesen kann ich den Text nicht – ungefähr erkenne ich folgendes:

    IN TEMPORE IOHAN-
    NIS ET VERNAC(IO?)
    OPERARIORUM (SANCTO-?)
    RUM COSME ET (D-)
    AMIANI HAE PORT(E)
    FACTE FUERUNT
    (ET?) FECERUNT FIE ??
    ?? LAPIDEM DE S ??
    ?? PIO? ??

    Auf jeden Fall gibt es dieselben Symbole für M und für H, wie sie auch im Kryptogramm auftauchen.

    Das Gemeinsame aller dieser Inschriften ist ja, dass sie außen an der Fassade auftauchen und überhaupt keinen repräsentativen Charakter haben, sondern eher etwas unscheinbar daherkommen.
    Es ist gut vorstellbar, dass es sich um eine Handwerker-Tradition handelte, Aberglaube, wenn man so will: die eingravierte dreimalige Anrufung des Erzengels Michael sollte das Innere des Bauwerks vor bösen Geistern schützen. Quasi ein “Wir müssen leider draußen bleiben”-Schild für Teufel und Dämonen. Michael ist für solche Aufgaben durchaus der richtige Ansprechpartner, denn immerhin hat er der Glaubenstradition zufolge einst Satan selbst aus dem Himmel geworfen.
    Dies erinnert mich sehr an die monsterartigen Wasserspeier, die an kirchlichen, aber auch manch weltlichen Bauwerken eine ähnliche Funktion übernahmen.

  8. #8 Klaus Schmeh
    9. November 2021

    Wolfgang Wilhelm via Facebook:
    Vielleicht steht im VM ja:
    Sobald jemand diesen Text lesen kann, biegt sich der Turm von Pisa wieder gerade…

  9. #9 Thomas
    10. November 2021

    Hier

    (https://www.beweb.chiesacattolica.it/benistorici/bene/6884225/Ambito+pisano+sec.+XII%2C+Epigrafe)

    findet sich die folgende Transkription, damit enthält der lateinische Text in der Tat keine Erklärung zu den mysteriösen Zeilen, sondern nur eine Erklärung zur Herkunft des Steins:

    MIHILI+ / MIHILI+ / MIHILI+ /

    IN TE(M)PORE IOHA /(N)NI ET VERNAC(C)I / OPERARIORU(M) [S(AN)C(TO)] / RU(M) COSME ET [D]AMIANI H(EC) PORT[E] / FACTE FUERUNT / ET FECERUNT FIE[RI] / H(UN)C LAPIDE(M) DE S[UO] / [PRO]PRIO

  10. #10 two
    10. November 2021

    in tepore io

    I am in warmth

  11. #11 Klaus Schmeh
    10. November 2021

    Many thanks for the comments! I have used some of them for my next blog post.

  12. #12 Norbert
    10. November 2021

    @Thomas: Da warst du wieder schneller! Inzwischen habe ich Ottavio Banti, Monumenta epigraphica pisana saecule XV antiquiora konsultieren können, mit fast exakt demselben Ergebnis:

    IN TE(m)PORE IOHA(n)/NIS ET VERNAC[CI] / OPERARIORU(m) [S(an)C(to)]/RU(m) COSME ET [D]/AMIANI H(ec) PORT[E] / [F]ACTE FUERUN[T] / ET FECERU(n)T FIE[RI] / H(un]C LAPIDE(m) DE S[UO] / [PRO]PRIO /

    Pasini liest das h mit diakritischem Zeichen als hae statt h(a)ec, was mir logischer vorkommt (hae portae), aber darüber sollen Philolog(inn)en streiten.

    Banti datiert den Stein auf circa 1196, die Inschrift von San Frediano schätzt er aufs 8. Jahrhundert, mit Fragezeichen.

  13. #13 Klaus Schmeh
    10. November 2021

    >Banti datiert den Stein auf circa 1196, die Inschrift
    >von San Frediano schätzt er aufs 8. Jahrhundert,
    >mit Fragezeichen.
    Tatsächlich? Dann liegen über 400 Jahre dazwischen.