1970 fand man in Norwegen die Leiche einer Frau, die nie identifiziert werden konnte. Sie hinterließ verschlüsselte Notizen. Diese sind noch nicht vollständig entziffert.
English version (translated with DeepL)
Am 29. November 1970 war ein Universitätsprofessor mit seinen zwei Töchtern auf einem Wanderweg im Isdal (“Eistal”) bei Bergen in Norwegen unterwegs. Dort stießen die drei auf eine halbverbrannte Frauenleiche. Sie verständigten die Polizei.
Bevor es weitergeht, möchte ich noch einmal auf meinen Auftritt bei den “Stadtgesprächen” in Gelsenkirchen am kommenden Samstag hinweisen.
Die Isdal-Frau
Als Todesursache stellten die Ermittler eine Kombination aus Kohlenmonoxid-Vergiftung und Verbrennungen fest. Vor ihrem Tod hatte die Frau, die heute meist als “Isdal-Frau” bezeichnet wird, über 50 Schlaftabletten eingenommen. Die Polizei ging von einer Selbsttötung aus, was jedoch umstritten ist.
Am Fundort der Leiche stießen die Ermittler auf einige Gegenstände wie Kleidungsstücke, Gummistiefel und leere Flaschen. Einige Tage später konnte man der Toten außerdem zwei Koffer zuordnen, die bei der Gepäck-Aufbewahrungsstelle am Bahnhof von Bergen nicht abgeholt worden waren. Darin befanden sich weitere Kleidungsstücke sowie Kosmetik, Perücken und Bargeld.
Keiner der aufgefundenen Gegenstände ließ auf die Identität der Isdal-Frau schließen. Aus den Kleidungsstücken waren die Etiketten entfernt, gleiches galt für die Flaschen. Ausweispapiere, Kreditkarten, Schecks, Quittungen, Fahrkarten oder Flugtickets fand man nicht. Immerhin stieß man im Koffer auf einen Schreibblock, dessen erste Seite in verschlüsselter Form beschrieben war – dazu später mehr.
Bei den weiteren Ermittlungen stieß die Polizei auf zahlreiche Zeugen, denen die Isdal-Frau in den Wochen vor ihrem Tod aufgefallen war. Offenbar war die Dame viel gereist und hatte dabei mindestens neun falsche Namen verwendet. Dabei hatte sie öfters ihre Unterkunft gewechselt, sogar innerhalb einer Stadt. Sechs Tage vor dem Auffinden ihrer Leiche hatte die Isdal-Frau aus einem Hotel in Bergen ausgecheckt. Danach verliert sich ihre Spur.
Augenzeugen beschrieben die Isdal-Frau als elegant gekleidet und 25 bis 40 Jahre alt. Sie gab sich stets als Belgierin aus, doch die dortigen Adressen, die sie angab, erwiesen sich allesamt als falsch. Sie verwendete in Formularen deutsche oder französische Ausdrücke. Hier ist ein Beispiel für ein Formular, das sie unter dem Namen Claudia Tielt ausfüllte:
Neben den Formularen deuten weitere Indizien darauf hin, dass die Isdal-Frau aus Deutschland stammte. Zeugen hörten sie auf Deutsch reden. Eine Isotopenanalyse ließ auf Nürnberg als Herkunftsort schließen. Später könnte sie in Frankreich oder im deutsch-französischen Grenzgebiet gelebt haben.
Die Isdal-Frau verhielt sich mehrfach reichlich auffällig. Beispielsweise war sie in Hotels häufig nicht mit ihrem Zimmer zufrieden und verlangte ein anderes. Einmal schraubte sie das “D” von einer Tür mit der Aufschrift “BAD” ab, um es an die eigene Zimmertür zu hängen und damit die Zimmernummer zu verändern. Außerdem räumte sie immer wieder die Möbel in ihren Hotelzimmern um und stellte sie teilweise sogar vor die Tür.
Wer war die Isdal-Frau?
Die Isdal-Frau konnte bis heute nicht identifiziert werden. Dies finde ich reichtlich ungewöhnlich, denn eigentlich müsste eine solche Person Freunde, Verwandte, Kollegen und Bekannte gehabt haben, und irgendjemand müsste ihr Verschwinden bemerkt haben.
Blickt man auf die vielen Falschnamen, die die Isdal-Frau verwendete, dann liegt es nahe, dass sie eine Spionin war. Allerdings sehe ich keinen Grund, warum eine Spionin gleich neun falsche Identitäten verwenden sollte. Im Gegenteil: Bei so vielen falschen Namen ist die Gefahr groß, Fehler zu machen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage nach den Reisepässen der unbekannten Dame. Bei ihr wurden zwar keine Ausweispapiere gefunden, doch Zeugenaussagen zufolge soll sie beim Einchecken in Hotels mehrfach einen zum gerade verwendeten Falschnamen passenden Reisepass vorgezeigt haben. Dabei stelle ich mir die Frage, wie schwierig es 1970 war, einen Reisepass zu fälschen. Ein Geheimdienst war dazu sicherlich in der Lage, was erneut dafür spricht, dass die Frau eine Spionin war.
Oder konnte sich damals auch ein Normalbürger oder ein Krimineller einen falschen Reisepass besorgen? Oder konnte man sich durchmogeln, indem man eine Passnummer in ein Hotelformular eintrug, ohne den zugehörenden Pass zu besitzen? Falls so etwas möglich war, muss die Isdal-Frau keine Spionin gewesen sein. Vielleicht war sie eine Kriminelle, die versuchte, mit ihren ständigen Orts- und Namenswechseln irgendwelche Verfolger abzuschütteln. Oder sie war psychisch krank und litt unter Verfolgungswahn.
Auch die Vermutung, die Isdal-Frau sei eine Edel-Prostituierte gewesen, wurde schon geäußert. In einigen Hotels soll sie Männerbesuch erhalten haben. Vielleicht sollten die vielen Falschnamen sie selbst und/oder ihre Kunden schützen.
Im Buch “The Isdal Woman, A New Perspective” von David Morgan, das ich zwischenzeitlich gelesen habe, behauptet der Autor, dass hinter der Isdal-Frau in Wirklichkeit zwei Frauen steckten. So sei zur fraglichen Zeit eine US-Amerikanerin namens Julie Valentine in Norwegen unterwegs gewesen, die eine entfernte Ähnlichkeit mit der unbekannten Toten hatte. Möglicherweise war Julie Valentine die Frau, die die Zeugen beschrieben, während die Isdal-Tote einen ganz anderen Hintergrund hatte.
An dieser Stelle möchte ich noch eine weitere Hypothese zur Diskussion stellen, die ich bisher noch nirgends gehört habe. Demnach könnte der Tod der Isdal-Frau eine Inszenierung gewesen sein. Als Vorbild könnte der britische Offizier Major William Martin gedient haben, dessen Leiche 1943 in Spanien entdeckt wurde. Martin hatte Geheimdokumente bei sich, die besagten, dass die Alliierten von Nordafrika nach Sardinien übersetzen wollten.
In Wirklichkeit hat Major Martin nie existiert. Der britische Geheimdienst hatte die ganze Sache inszeniert, um dem deutschen Kriegsgegner eine bevorstehende Landung auf Sardinien vorzugaukeln – in Wirklichkeit fand diese dann auf Sizilien statt. Die Leiche stammte von einem Zivilisten, der kurz zuvor in England verstorben war. 1996 konnte Roger J. Morgan – ein Leser dieses Blogs – die bis dahin geheim gehaltene Identität des Toten lüften.
War die Leiche der Isdal-Frau ein ähnlich gelagerter Fall? Hatte sich eine Dame im Auftrag eines Geheimdiensts bewusst auffällig verhalten und absichtlich verschiedene Spuren hinterlassen. Hatte der Geheimdienst dann die Leiche einer Unbeteiligten – halb verbrannt, damit der Schwindel nicht auffällt – im Isdal platziert? Zugegebenermaßen klingt das alles sehr spekulativ, zumal die Frage wäre, wer hier zu welchem Zweck getäuscht werden sollte. Aber wer weiß?
Als ich vor sechs Jahren zum ersten Mal über die Isdal-Frau bloggte, fand ich nur wenige Informationen über diesen Fall im Internet. Dies hat sich inzwischen geändert. Auf YouTube findet man beispielsweise eine ganze Reihe von Dokumentationen, Podcasts und Videocasts zum Thema, auch auf Deutsch. Auf ein paar davon werde ich noch eingehen. Auch einen deutschen Wikipedia-Eintrag gibt es inzwischen. Anscheinend hat dieser ungewöhnliche Kriminalfall in den letzten Jahren deutlich an Popularität gewonnen.
Das Kryptogramm
Der Fall der Isdal-Frau erinnert in vielerlei Hinsicht an den des Somerton-Manns. In beiden Fällen geht es um eine nicht identifizierte Leiche. Es gibt noch eine weitere Parallele: Beide Toten haben verschlüsselte Notizen hinterlassen. Beim Somerton-Mann ist dies das Taman-Shud-Kryptogramm, das noch auf seine Lösung wartet, während die Isdal-Frau die folgende verschlüsselte Notizbuchseite hinterließ:
Dieses Kryptogramm ist inzwischen zwar größtenteils gelöst, doch es gibt noch ein paar Unklarheiten. Der Blog-Leser Lawrence Alexander hat mich darauf hingewiesen, was mich dazu veranlasst hat, dieses Thema noch einmal aufzugreifen.
Um das Kryptogramm geht es im zweiten Teil dieser Artikelserie.
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Further reading: The Isdal Woman mystery, revisited
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