Die Zeichenfolge “280 R  112 A  25 Y”, auch beklannt als Wilkins-Kryptogramm, soll einen Text verschlüsseln, der aus etwa 100 Wörtern besteht. Das kann nicht funktionieren – oder vielleicht doch?

English version (translated with DeepL)

Vor sieben Jahren bloggte ich über ein ungelöstes Kryptogramm, das aus nur 11 Zeichen besteht. Inzwischen bezeichne is so etwas als Mikrokryptogramm, doch diesen Begriff habe ich damals noch nicht verwendet.

Das Interessante an diesem Rätsel ist, dass ihm ein scheinbar unmögliches Verschlüsselungsverfahren zu Grunde liegt. Zwar gab es seinerzeit einige interessante Kommentare, doch niemand fand eine Lösung. Nach sieben Jahre möchte ich diesen kryptologischen Cold Case daher heute noch einmal vorstellen.

 

Das Wilkins-Kryptogramm

Das fragliche Mikrokryptogramm stammt von einem N. G. Wilkins. Daher nannte ich es “Wilkins-Kryptogramm”. Der Leser Hans Jahr hatte mich auf dieses hingewiesen, nachdem er es in folgendem Artikel aus der Zeitschrift Notes and Queries (vom 14. Juni 1862) entdeckt hatte:

Wilkins-NaQ

Quelle/Source: Notes and Queries

Nimmt man den Artikel wörtlich, dann steht da: “Die Buchstabenfolge ‘280B, 112A, 25Y’ ist laut einem Herrn Wilkins die verschlüsselte Version eines 100 Wörter langen Texts. Der Leser soll diese Verschlüsselung knacken.”

Mein erster Eindruck war: Das kann eigentlich nur ein Druckfehler sein. Deshalb schaute ich in der Originalquelle nach, die im Artikel genannt wird (Journal of the Society of Arts vom 21.11.1856). Dort fand ich folgendes:

Wilkins-JSA

Quelle/Source: Journal of the Society of Arts

Hier steht also fast das gleiche. Der einzige Unterschied ist, dass die erste Zeichengruppe ein R statt einem B enthält – wahrscheinlich ein Druckfehler im erstgenannten Artikel. Abgesehen davon hat es Herr Wilkins wohl tatsächlich so gemeint: “280 R  112 A  25 Y” steht für einen verschlüsselten Text, der etwa 100 Wörter enthält. Das Verschlüsselungsverfahren ist nicht angegeben.

Der Klartext ist laut Artikel eine kurze Abhandlung zum Thema Verschlüsselung. Es soll etwa sechs Minuten gedauert haben, diesen Text zu verschlüsseln.

 

Aus 11 mach 100

Aber wie verschlüsselt man 100 Wörter in nur acht Zahlen und drei Buchstaben? Eigentlich geht das nicht. Die einzige Möglichkeit die ich sehe: Es gibt ein weiteres Dokument, auf das mit diesen Zeichen verwiesen wird. Demnach müsste es sich um so etwas wie einen Wörterbuch-Code oder einen Codebuch-Code handeln.

Am wahrscheinlichsten fände ich einen Codebuch-Code. 1862, als das Kryptogramm entstand, gab es bereits Codebücher mit Zehntausenden von Einträgen, die auch ganze Sätze enthielten. Ein (erfundenes) Beispiel wäre “die Lieferung ist heute angekommen”. Vielleicht verweisen die Zeichenblöcke 280R,  112A  und 25Y auf jeweils einen langen Satz in einem Codebuch. Dadurch würde man sicherlich 100 Wörter zusammebekommen.

Ein Wörterbuch oder ein sonstiges Buch ließe sich sicherlich ähnlich nutzen. Natürlich ist es irreführend, wenn man behauptet, auf diese Weise 100 Wörter in 11 Buchstaben verschlüsselt zu haben, doch ganz falsch ist es nicht.

 

Nathaniel George Wilkins

Vielleicht hilft es weiter, wenn man etwas mehr über N. G. Wilkins, den Erfinder des rätselhaften Verfahrens, weiß. Richard SantaColoma hat herausgefunden, dass dieser mit vollständigem Namen Nathaniel George Wilkins hieß und von Beruf wohl Pfarrer war. Er schrieb ein Buch mit dem Titel “Errors and Terrors of Blind Guides”, in dem er die “Doktrin des immerwährenden Schmerzes” zurückwies. Leider habe ich keine Ahnung, was es mit dieser Doktrin auf sich hat. Vielleicht weiß ja ein Leser mehr.

Richard hat auch Belege dafür gefunden, dass Wilkins sich mit Kryptografie beschäftigte. Insbesondere hat dieser 1904 ein Buch mit dem Titel “The Alaric 3 Cipher” veröffentlicht, das es wohl in der British Library gibt. Ansonsten habe ich nirgends etwas zu diesem Werk gefunden.

Letztendlich ist es natürlich auch möglich, dass Wilkins im Zusammenhang mit seinem Mikrokryptogramm etwas durcheinander gebracht hat. Mehrere Leser haben darauf hingwewiesen. Vielleicht ist “280 R  112 A  25 Y” nicht der Geheimtext, sondern der Schlüssel. Oder Wilkins hat schlichtweg nicht verstanden, wie Verschlüsselung funktioniert.

Kann ein Leser mehr zu diesem kryptologischen Cold Case sagen?


Further reading: Vier Sprengstoff-Anschläge und eine verschlüsselte Botschaft

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Kommentare (7)

  1. #1 Richard SantaColoma
    https://proto57.wordpress.com/
    23. März 2022

    Thanks much for the mention, and bringing up this interesting subject again. It caused me to look up Wilkins’ book, “Errors and terrors of Blind Guides. The Popular Doctrine of Everlasting Pain, Refuted”, and browse through it. It is easily available on archive dot org.

    His book is a repudiation of the basis and use of the concept of “eternal damnation”, and “eternal punishment” as in “endless suffering in hell” for sinners after death. He points out there is no basis in the bible or any church doctrine. He also explains that the supposed punishment is far greater than the sins committed, and that it goes against the belief in a just and compassionate God. The “blind guides” are the clergy that preach such a doctrine, as he feels they are wrong to do so.

    Another point he makes is that the threat of eternal damnation is not a deterrent to those who do evil, but only ruins the life of good people who live their lives in fear of it.

    “If the commonly received doctrine were true, if every body were in danger of taking a course which had everlasting torment for its end, human existence would be simply a most fearful curse.”

    He then goes through the various passages of the Bible which refer to punishments after death, and demonstrates how these have been misconstrued, and misused, to improperly imply “endless suffering”, when they do no such thing.

    Lastly, he makes various logical arguments as to why such a doctrine of endless suffering makes no sense in light of the projected tenets of the Church, and the word of God. That it does not fit with the teachings of Christianity, as a whole. The conclusion sums up the points that this dogma is incorrect, that it is needlessly cruel to promote it, and that it ought to be abolished from the teachings of the Church.

    In any case, I looked the book up again, since you re-posted this problem, to see if this book might have some relationship to his Mikrokryptogramm. Well I don’t know, at least, can’t see a connection, but I rate myself somewhere below your average cipher amateur in such matters. At least I note that there are only 110 pages to this book, so if the cipher is a book cipher, and the numbers refer to pages, this ain’t the book.

    Checking again, I see that is book, The “Alaric-3-Cipher”, is still not available online. Maybe one of your readers is close enough to the British Library to see if they still have a copy? It would be VERY interesting to see what this cipher is about, and it may even solve the mystery.

  2. #2 Richard SantaColoma
    https://proto57.wordpress.com/
    23. März 2022

    Possibly a red herring, but it may be connected somehow?: There was an “Alaric II”, he was “King of the Visigoths from 484 until 507”- Wikipedia. His son was named “Amalaric”, but perhaps (?) he would be considered “Alaric III”? Well, maybe not.

    In any case, Alaric II appointed “… a commission headed by the referendary Anianus to prepare an abstract of the Roman laws and imperial decrees, which would form the authoritative code for his Roman subjects. This is generally known as the Breviarium Alaricianum or Breviary of Alaric.”

    Perhaps (long stretch I admit, but…) this “Alaric 3 Cipher” relates in some way to this Breviarium Alaricianum (Breviary of Alaric)?

  3. #3 Gert Brantner
    Berlin
    23. März 2022

    @Rich, probably not this one? https://althistory.fandom.com/wiki/Alaric_III_(Fidem_Pacis)
    I also don’t really trust the source so much

  4. #4 Richard SantaColoma
    https://proto57.wordpress.com/
    23. März 2022

    Gert, I would worry about that source, as it is “althistory”, for “alternative history”. It could be a combination of genuine history and fiction, I mean. I am not sure. But the “Alaric II” mentioned as his father was centuries later than the Alaric II I was able to find… so I think the althistory Alarics may be fictional.

    Other than that source, the only sons I found for Alaric II were the illegitimate Gesalec, and the legitimate heir Amalaric.

    https://en.wikipedia.org/wiki/Amalaric

  5. #5 The_Piper
    24. März 2022

    Codebuch gefällt mir, und der Mann war Pfarrer:

    Das Neue Testament

    Wikipedia:
    “Fast alle christlichen Konfessionen erkennen die 27 NT-Schriften als kanonisch an. Die syrisch-orthodoxen Kirchen erkennen einige davon nicht an. Die Johannesoffenbarung wird auch in den anderen orthodoxen Kirchen nicht öffentlich verlesen. ”

    Also, 27 Schriften minus die Apokalypse = 26 Schriften
    26 = A-Z

    Also: 280 R bedeutet
    R = Die 18. Schrift aus der Bibel, also laut Reihenfolge von Wikpedia, der Hebräerbrief
    280 = der 280. Satz dieser Schrift

    Aber wie will man so vernünftige Texte zusammenstellen?

  6. #6 Ingo
    24. März 2022

    Der Frage warum man intuitiv annimmt, dass es unmoeglich ist mit so wenig Zeichen so viel Information zu uebermitteln, ist letztendlich die Frage:

    – Wie kompakt kann Information dargestellt werden? –

    Die Frage stellen sich wohl auch die Linguisten.
    Und natuerlich gibt es richtig durchgeknallte (positiv gemeint) Linguisten, die sich eine kuenstliche Sprache ausgedacht haben mit dem Ziel moeglichst viel Information in moeglichst wenig Laute hinein zu stecken:

    Ich moechte gerne die Aufmerksamkeit auf “Ithkuil” lenken:
    https://en.wikipedia.org/wiki/Ithkuil

    Letztendlich handelt es sich bei Lauten/Silben/Woertern auch nur um Symbole welche irgendeinen Sachverhalt oder Zusammenhang ausdruecken wollen.
    Daher stellt sich die gleiche Frage: Wie kompakt kann Information in Symbolen vermittelt werden.

    Beispiel:

    Deutsch: “Sowie unser Fahrzeug den Boden verlässt und über den Rand der Klippe in Richtung Talboden stürzt, grüble ich darüber nach, ob es möglich ist, dass mich jemand einer moralisch verwerflichen Tat bezichtigt, nachdem ich es unterlassen habe, einen angemessenen Kurs entlang der Fahrbahn aufrechtzuerhalten.”

    Ithkuil:
    “Pull ̀ uíqišx ma’wałg eřyaufënienˉ päţwïç auxë’yaļt xne’wïļta’şui tua kit öllá yaqazmuiv li’yïrzişka’ p’amḿ aìlo’wëčča šu’yehtaş”

    Man kann auch auf Youtube ein paar Videos zu dem Thema finden

  7. #7 Marc
    27. März 2022

    Für einen Buch-Code ist der Schlüssel für 100 Wörter zu kurz. Dann müssten sich hinter einer Schlüsselinformation viele Wörter bzw ganze Sätze verbergen.