Vor zwei Wochen habe ich eine verschlüsselte Postkarte aus Ohio vorgestellt. Armin Krauß hat die Verschlüsselung geknackt. Tobias Drewelius hat Interessantes über die musikalischen Hintergründe herausgefunden und sogar die Noten auf dem Klavier eingespielt.

English version (translated with DeepL)

Im April habe ich eine verschlüsselte Postkarte aus den USA vorgestellt. Diese hatte ich auf dem Blog der US-Bibliotheksexpertin Alea Henle gefunden, und zwar in einem Artikel mit der Überschrift “A Musical Mystery? Crack an old Postcard Code” aus dem Jahr 2020. Anscheinend hat bis zu meinem Blog-Post niemand die Lösung gefunden.

 

Die verschlüsselte Botschaft

Die Empfängerin der Postkarte war eine unverheiratete Frau (Miss) namens Flossie Husted. Der Absender dürfte ein Mann namens Frank gewesen sein, dessen Name unten links unverschlüsselt zu erkennen ist.

Quelle/Source: Henle

Nach der Veröffentlichung dauerte es kaum zwei Stunden, bis Blog-Leser Armin Krauß die Lösung präsentierte.

Quelle/Source: Krauß

Armin hat bereits viele Verschlüsselungen auf Cipherbrain gelöst und ist einer der besten Codeknacker, den ich kenne. Diese Postkarte war anscheinend keine größere Herausforderung für ihn. Hier ist der Klartext:

BABY I WANTED
TO TALK TO YOU
SO BAD AM SO
SORRY YOU DID
NOT HAVE TIME
TO TALK TO ME
I SENT ALL THE
LOVE AND
KISSES TO MY
BABY GIRL
ANOTHER KISS
YOUR BABY

Der Verfasser hat offensichtlich folgende Ersetzungstabelle verwendet:

A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M
5  7  ?  10 9  ?  11 3  6  ?  1  8  12

N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z
17 15 ?  ?  14 19 16 18 22 ?  ?

Die Zahlen 2, 4, 13, 20, 21, 23, 24 und 25 kommen in der Nachricht nicht vor. Die einzige noch ungeklärte Frage ist, wie der Verfasser auf diese Tabelle gekommen ist. Ich kann keine Regel erkennen, außer dass die Zahlen 1-13 alle in der oberen und die Zahlen 14-26 alle in der unteren Reihe stehen. Findet ein Leser ein weiteres Muster?

Nach Armins Dechiffrier-Erfolg meldete sich auch Bloggerin Alea Henle zu Wort:

Wow, thanks for solving the mystery! I appreciate this. If the day comes that I manage to write this up for a scholarly (or popular) article on early 20th C postcards, I’ll be sure to provide proper attribution of the solution.

 

Die Noten auf der Bildseite

Auf der Bildseite der Postkarte sind Noten abgebildet:

Quelle/Source: Henle

Ein Lied mit der Textstelle “Thy voice is near me in my dreams” konnte ich bei einer Internetsuche nicht finden. Gleiches galt für die Überschrift “Though shadows fall or sunlight beams”. Außerdem stimmt mit dem Takt etwas nicht.

Doch meine Leser ließen mich wieder einmal nicht im Stich. Zunächst bemerkte Joachim, dass die Melodie wohl im 4/4-Takt mit Auftakt steht, was sich als richtig erweisen sollte. Nach der ersten Note fehlt ein Taktstrich.

Danach steuerte Tobias Drewelius eine ausführliche Analyse bei.

Quelle/Source: Drewelius

Tobias Drewelius ist Musiker mit einem beeindruckenden Lebenslauf. Er hat Klavier, Komposition, Musiktheorie und Orchesterdirigieren studiert und spielt neben Klavier auch Violine, Viola, Klarinette und Orgel. 2017 verbrachte er acht Monate in Guayaquil (Ecuador), um sich für die Organisation Musiker ohne Grenzen zu engagieren. Derzeit dirigiert er das Sinfonieorchester des Karlruher Instituts für Technologie und das Kammerorchester an der TU Darmstadt. Außerdem unterrichtet er an der Hochschule für Musik Karlsruhe Gehörbildung und das Dirigieren Zeitgenössischer Musik. Nach eigenen Angaben hätte er wahrscheinlich Physik studiert, wenn es nicht Musik geworden wäre.

Wie Tobias schrieb, steht die Melodie in G-Dur. Sie beginnt mit einem Auftakt (der Taktstrich fehlt), und nach dem notierten Taktstrich müsste es eine punktierte Viertel sein. Auf eBay hat er eine weitere Postkarte in diesem Stil gefunden:

Quelle/Source: eBay

Die Zeile “Far from the Old Folks at Home” gehört zum Song “Swanee River”. Den Text oberhalb der Melodie hat der Postkartenautor wohl passend zum Reim hinzugefügt, mit dem Lied selber hat er nichts zu tun.

Zu der verschlüsselten Postkarte war die Quellenlage etwas komplizierter. Letztlich fündig geworden ist Tobias im Internet Archiv, wo es die Noten zu einem Lied namens “Thy Voice Is Near” gibt. Es wurde von William Thomas Wrighton komponiert, der Text stammt von einer Mrs. Aylmer. Die Melodie ist so aufgeschrieben, wie Tobias es vermutet hat.

 

Eine Aufnahme des Lieds

Dankenswerterweise hat Tobias das Lied gleich mit dem Klavier gespielt und aufgezeichnet. Hier ist die Melodie auf der Postkarte:

Musikvideo: Adobe Flash Player (Version 9 oder höher) wird benötigt um dieses Musikvideo abzuspielen. Die aktuellste Version steht hier zum herunterladen bereit. Außerdem muss JavaScript in Ihrem Browser aktiviert sein.

Und hier ist das gesamte Lied:

Musikvideo: Adobe Flash Player (Version 9 oder höher) wird benötigt um dieses Musikvideo abzuspielen. Die aktuellste Version steht hier zum herunterladen bereit. Außerdem muss JavaScript in Ihrem Browser aktiviert sein.

Wer technische Probleme mit den beiden MP3-Dateien hat, kann hier beide zusammengefasst herunterladen und mit einem geeigneten Programm ausführen.

Wer will, kann beim Hören die Noten mitlesen:

Quelle/Source: HathiTrust Digital Library

Klingt doch gar nicht so schlecht, oder? Trotzdem ist dieses Lied leider nie ein Hit geworden.

Damit wären dann (fast) alle Fragen zu dieser verschlüsselten Postkarte beantwortet. Vielen Dank an Armin Krauß, Tobias Drewelius und die anderen Kommentatoren für die tolle Arbeit!


Further reading:
Linkedin: https://www.linkedin.com/groups/13501820
Facebook: https://www.facebook.com/groups/763282653806483/

Subscribe to Blog via Email

Enter your email address to subscribe to this blog and receive notifications of new posts by email.

Kommentare (2)

  1. #1 Gerhard F. Strasser
    Hamburg
    8. Mai 2022

    Hallo, Klaus – und Armin Kraus sowie besonders Tobias Drewelius:
    Vielen herzlichen Dank (1) für die Lösung des von Klaus ins Netz gestellten Postkartenrätsels, und (2) die “wunderschön authentische” Klavier-Demonstration, herrlich verziert .. . Alles in allem ein richtiger Sonntagsgenuss!
    Viele Grüße (und für Klaus “auf baldiges Wiedersehen, virtuell,” bei der NSA-Tagung diese Woche) –
    Gerhard F. Strasser

  2. #2 Joachim
    8. Mai 2022

    Zu: “Die einzige noch ungeklärte Frage ist, wie der Verfasser auf diese Tabelle gekommen ist”

    Natürlich kann ich das auch nicht erraten. Doch auffällig ist, das eine Ausgleichsgerade eine Winkelhalbierende ist. Es gibt vier Ausnahmen, wo die folgende Zahl keiner wird.

    Das sieht für mich so aus, als sei der Code gewürfelt, wobei die Anzahl der Augen auf dem Würfel mit jedem Wurf erhöht wurde. Zusammen mit dem Fakt, dass keine Zahl doppelt gewürfelt werden darf, könnte sowas dabei heraus kommen.

    Zugegeben Spekulation und dazu noch schwach. Doch kennt jemand einen Zufallsgenerator oder eine Art Spiel aus der damaligen Zeit, mit dem man Vergleichbares hätte machen können?

    Nebenbei: Danke für die sehr schöne Zusammenfassung zum Rätsel der Postkarte.