Französische Wissenschaftler haben einen Brief von Kaiser Karl V. entziffert. In der Presse wird dies als Sensation gefeiert.

English version (translated with DeepL)

Zunächst einmal möchte ich mich bei meinen Lesern für die zahlreichen Kommentare bedanken, die ich erhalten habe, nachdem ich vor ein paar Tagen die Einstellung dieses Blogs zum Ende des Jahres verkündet habe.

Gleich mehrere Leser haben mir Unterstützung angeboten, um den Blog auf einer anderen Plattform fortzuführen. Darüber freue ich mich natürlich. Das Problem ist leider, dass ich als Einzelkämpfer mit einem deutlichen Rückgang der Zugriffszahlen rechnen müsste. Als ich 2013 von meinem Einzelblog zu Scienceblogs.de umgestiegen bin, gingen die Zahlen auf das Zehnfache hoch. Selbst wenn ich konservativ rechne, würde ich bei einer Rückkehr zu einem Einzelblog wohl die Hälfte der aktuellen Leserschaft verlieren. Die anderen Scienceblogger sehen das ähnlich, und deshalb schrecken auch sie vor einem Alleingang zurück.

Ich werde aber in jedem Fall auch ab dem 1. Januar 2023 im Bereich Krypto-Geschichte und Codeknacken redaktionell aktiv bleiben. Ich überlege noch, wie genau das ablaufen könnte. Außerdem möchte ich natürlich, dass die bisher veröffentlichten Artikel erhalten bleiben. Da die anderen Scienceblogger das auch wollen, laufen gerade entsprechende Verhandlungen mit dem Portalbetreiber.

 

Der Brief von Karl V.

Auch zu einem anderen Thema haben mich einige Zuschriften erreicht, unter anderem von Michelle Waldispühl, Wolfgang Wilhelm, George Keller und Tobias Schrödel. Es geht darum, dass französische Wissenschaftler einen Brief von Karl V. entziffert haben.

Quelle/Source: Wikimedia Commons

Karl V. (1500-1558) war ein Angehöriger des Herrscherhauses Habsburg und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Er zählt zu den bedeutendsten Monarchen der europäischen Geschichte.

Wie man beispielsweise auf Golem nachlesen kann, stammt der besagte Brief au dem Jahr 1547. Karl V. schickte ihn an Jean de Saint-Mauris, seinen Botschafter in Paris. Heute wird das Schreiben in einer Bibliothek in Nancy aufbewahrt.

Quelle/Source: Stadt Nancy

 

Die Dechiffrierung

An der Dechiffrierung des Briefs war zum einen ein Team des Lorraine Computer Research Laboratory (Loria) in Nancy  beteiligt, das von der Kryptologin Cécile Pierrot geleitet wird. Frau Pierrot ist meines Wissens in der historischen Kryptologie bisher nicht in Erscheinung getreten. Anscheinend beschäftigt sie sich sonst mit moderner Kryptografie. Laut ihrer Webseite forscht sie hauptsächlich zum Thema diskrete Logarithmen, wie sie beispielsweise im Zusammenhang mit dem Diffie-Hellman-Verfahren eine wichtige Rolle spielen.

Zur Dechiffrierung beigetragen hat außerdem die Historikerin Camille Desenclos, die ich von mehreren HistoCrypt-Konferenzen kenne. Sie hat bereits einige Arbeiten über historische Verschlüsselungen veröffentlicht und war daher prädestiniert für eine solche Aufgabe.

Auf Golem liest man außerdem:

  • Das verwendete Verfahren ist, wie zu erwarten war, ein Nomenklator. Dies wird zwar nicht wörtlich erwähnt, geht jedoch aus dem Text hervor.
  • Karl V. verwendete ein Alphabet bestehend aus 120 Symbolen.
  • Der Kaiser ersetze Vokale nach Konsonanten durch Zeichen. Mir ist leider nicht klar, was genau das bedeutet. Wurden Vokale, die auf Vokale folgten, gar nicht verschlüsselt? Das wäre ungewöhnlich.
  • Karl V. verwendete auch bedeutungslose Symbole. Das ist eine gängige Vorgehensweise für einen Nomenklator. Man bezeichnet bedeutungslose Zeichen als Blender.

Die Ersetzungstabelle findet man hier. Vielleicht schafft es ja ein Leser damit, eine Passage zu entschlüsseln.

Ich gehe davon aus, dass die beteiligten Wissenschaftler ihre Resultate demnächst ausführlich in einer Facharbeit präsentieren. Vielleicht erscheint diese als Beitrag zur HistoCrypt, deren Call for Papers Mitte November angelaufen ist. Da die HistoCrypt 2023 in München (und damit in Deutschland) stattfindet, freue ich mich besonders drauf.

In den Presseberichten wird diese Entschlüsselung als “Sensation” bezeichnet. Das ist natürlich übertrieben, denn meine Blog-Leser haben schon viele verschlüsselte Botschaften geknackt, die oftmals mindestens genauso schwierig waren wie diese. George Lasry konnte beispielsweise kürzlich 21 Erfolge auf einmal vermelden, die ähnliche Verschlüsselungen betrafen. Trotzdem ist den französischen Kollegen zweifellos ein toller Erfolg gelungen, zu denen ich ihnen gratuliere.

Interessant ist die die Dechiffrierung auch deshalb, weil der Verfasser des Briefs eine bedeutende Persönlichkeit war, über die man auf diese Weise zusätzliche Informationen gewinnen konnte. Anscheinend hatte Karl V. laut dem Brief Angst vor einem Attentat, zu dem es jedoch nicht kam.

Falls jemand mehr zu dieser Geschichte weiß, bitte ich um einen entsprechenden Kommentar.


Further readingUngelöst: Ein verschlüsselter Brief von Karl I. an einen Komplizen

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Kommentare (6)

  1. #1 Richard SantaColoma
    https://proto57.wordpress.com/
    27. November 2022

    Klaus! I am very sorry to hear you are ending this blog. I always look forward to all the wonderful cipher related histories, problems and equipment you dig up and present. And the discussion added to your posts is probably the most relevant and expert in the field.

    I hope you are able to find a suitable host to continue the string of excellent work you have offered over the years. I’m certain I am far from alone in this wish.

    All the best, Richard.

  2. #2 Thomas
    28. November 2022

    Zu den Vokalen heißt es im Originalartikel:

    ‘Die Wissenschaftler konnten zum Beispiel feststellen, dass die kleinen Striche über oder unter einem Symbol zur Verschlüsselung von Vokalen dienten.’

  3. #3 George Lasry
    28. November 2022

    In this link (there are many other French media reports) you can find the reconstructed key table

    https://www.bfmtv.com/societe/comment-des-chercheurs-ont-reussi-a-dechiffrer-une-lettre-codee-de-charles-quint-du-xvie-siecle_AN-202211240360.html

    The main differentiating feature is the addition of diacritics to add a vowel after a consonant. There are 5 types of diacritics, one per each vowel, which you simply add to the consonant symbol. For example the symbol which looks like an ‘o’ is the letter N. If you put a dot on its bottom, this becomes NA (a dot on the bottom adds a A).

    Other than that the cipher is pretty much standard nomenclature, and the solvers that many of us have developed who have solved most of it, while resolving the diacritics would have to be done via manual inspection.

    Nevertheless, a very nice discovery and codebreaking achievement, and good to see that it generated quite a lot of buzz in the media.

  4. #4 Oliver Kuhlemann
    Kryptografie.de
    28. November 2022

    Klaus: “Der Kaiser ersetze Vokale nach Konsonanten durch Zeichen. Mir ist leider nicht klar, was genau das bedeutet. Wurden Vokale, die auf Vokale folgten, gar nicht verschlüsselt? Das wäre ungewöhnlich.”

    Das bedeutet zum Beispiel, dass Karl V einen kleinen Punkt links neben das Symbol für T setzte und damit das T um ein U (das bedeutet Punkt links) ergänzte und “-T” dann “TU” bedeutet. Genauso gibt es einen Punkt unten für “plus A”, ein Punkt oben für “plus I”, ein Strich unten für “plus O”. Nur eine Ergänzung um “E” gibt es nicht. “E” ist immer “..”

    Ich entwickle gerade die passenden Dekodierroutinen für Kryptografie.de . Wenn ich fertig bin, sag ich hier noch einmal Bescheid. Damit ist das Dekodieren dann bequemer, einfacher und verständlicher. Einfach nur noch die passenden Zeichen anklicken 🙂

    Wobei ich natürlich keinen zurückhalten möchte 😉

  5. #5 Oliver Kuhlemann
    https://Kryptografie.de
    28. November 2022

    Decoder ist fertig:

    https://kryptografie.de/kryptografie/chiffre/karl-v.htm

    Falls jemand Lust hat, die eine oder andere Passage zu übersetzen.

    Im zugehörigen Artikel gibt es am Ende auch eine Linkliste, über die sich halbwegs passable Scans des Briefes finden lassen. Allerdings trotzdem manchmal noch ein Ratespiel, die Symbole zuzuordnen. Und mit den fast 200 möglichen Symbolen doch etwas Fleißarbeit. Aber vielleicht besser als ohne Dekoder.

    Ansonsten gibt es auf der Seite auch Tabellen und Anleitung zur manuellen Dekodierung.

    Viel Spaß damit

  6. #6 Norbert
    15. Dezember 2022

    Interessanterweise hätte das Forscherteam die Chiffre auch auf “Cryptiana” finden können, denn Satoshi Tomokiyo hatte sie zum großen Teil vor ein paar Jahren schon aus einem anderen Brief rekonstruiert:
    http://cryptiana.web.fc2.com/code/spanish2.htm#SEC14B