2020 hatten Orcas (Schwertwal, Killer whales, Orcinus orca), die vor Gibraltar und der spanischen sowie portugiesischen Atlantikküste Yachten rammten, Schlagzeilen gemacht. Einige Familienmitglieder der dort ansässigen Schwertwal-Gruppe attackierten koordiniert und sehr gezielt vor allem die Ruderanlagen kleiner Boote und brachten sie zum Abdrehen aus dem Seegebiet. Mehr über das Vorgehen der Orcas und Berichte der verängstigten SeglerInnen hatte ich hier 2020 geschrieben. Als die ersten SeglerInnen die Küstenwache bei einem Orca-Angriff um Hilfe riefen, hielt die es zunächst für einen schlechten Scherz. Mittlerweile lacht niemand mehr darüber.
Im Winter war zunächst Ruhe, seit März 2021 kommt es wieder vereinzelt zu Interaktionen mit den intelligenten Meeressäugern. Nach mehr als 56 Zwischenfällen mit Orcas zeichnet sich eine ähnliche Situation wie im vergangenen Jahr ab, in 25 Fällen mussten durch Schwertwale beschädigte Boote an Land geschleppt werden. Nach drei Attacken an einem einzigen Tag hat das spanische Verkehrsministerium jetzt Booten unter 15 Metern Länge verboten, im Küstenstreifen zwischen Cape Trafalgar und der kleinen Stadt Barbate zu segeln. Das Verbot gilt für zunächst zwei Wochen.
Os Recordamos…
La #DGMM ha extendido las restricciones a la navegación de veleros de hasta 15 metros de eslora entre el cabo de Trafalgar y Punta Paloma (#Cádiz) para evitar nuevos incidentes con las orcas.Hasta el día 20 de agosto!!! pic.twitter.com/JYjdOYY3lP
— SALVAMENTO MARÍTIMO (@salvamentogob) August 8, 2021
Wissenschaft empfehlen Verhaltenskodex für Skipper
Solche aggressiven Verhaltensweisen gegen Menschen sind für Orcas sehr ungewöhnlich und bis jetzt wissenschaftlich nicht aufgeklärt.
Die Atlantic Orca Working Group – ein Zusammenschluß von Orca-ExpertInnen von vor allem spanischen und portugiesischen Forschungseinrichtungen – untersucht die Vorfälle seit dem vergangenen Jahr und hatte bereits 2020 einen Verhaltenskodex für Bootsführer herausgegeben:
Sowie ein Orca gesichtet wird und mit der Yacht zu interagieren beginnt…
- STOPPEN Sie das Boot und lassen Sie das Steuerrad los, wenn Seebedingungen und Lotsen es erlauben;
- Kontaktieren Sie die Behörden (telefonisch unter 112 oder über UKW-Kanal 16);
- Nehmen Sie die Hände vom Steuer und halten Sie sich von allen Teilen des Bootes fern, die herunterfallen oder sich stark drehen können.
- Schreien Sie die Tiere nicht an, berühren Sie sie nicht, werfen Sie nichts nach ihnen, lassen Sie sich nicht unnötig sehen;
- Wenn Sie ein Fotohandy oder ein anderes Gerät haben, zeichnen Sie die Tiere auf, insbesondere ihre Rückenflossen, für die spätere Photo-Identifikation. Alle Informationen sollten an folgende Adresse gesendet werden: gt.orcas.ibericas@gmail.com;
- Erst nach einiger Zeit, wenn Sie keinen Druck oder Stoß am Ruder spüren, überprüfen Sie, ob es sich dreht und funktioniert;
- Wenden Sie sich an die Behörden, wenn Sie einen Abschleppdienst benötigen, entweder telefonisch unter 112 oder per UKW auf Kanal 16;
- Notieren Sie die Interaktion, notieren Sie Datum/Uhrzeit und Ihre Position.
Die Orcas zeigten keine Aggression gegenüber den Menschen, sondern nur gegenüber den Booten, da sind sich Betroffene und Orca-ExpertInnen einig. Sie zielten klar auf Ruder und Kiel, um Boote zum Abdrehen aus einem bestimmten Gebiet zu bewegen. Die großen schwarz-weißen Delphinartigen haben zu keinem Zeitpunkt nach einem Menschen geschnappt oder versucht, ein Boot zu versenken. Beides wäre für die bis zu 8 Meter großen und über 5000 Kilogramm schweren Zahnwale kein Problem gewesen.
Ruth Esteban und andere Orca-ExpertInnen hatten beschrieben, wie sich die Wale von achtern “leise” an die Yachten anpirschen und bei Kursänderungen dann aktiv werden. Widerstand veranlaßt sie dann zu stärkerem Agieren. Der Segelreporter beschreibt die Pirsch und Eskalation der Interaktion detalliert. Die Biologen vergleichen das Wal-Verhalten mit dem von Hunden, die zunächst nur bellen und dann allmählich schnappen. Die Meeressäuger scheinen die Funktion des Ruders zu verstehen, meint der portugiesische Delphinexperte Alfredo Lopez.
Thunfisch-Kultur
Die Orcas der Straße von Gibraltar und des Golfs von Cádiz gehören zur südlichsten Population des Nordostatlantiks, die etwa 50 Individuen leben in 5 stabilen Familien. Genetische Untersuchungen und die Photo-ID-Kataloge zeigen, dass sie keine Kontakte zu anderen Schwertwal-Gruppen des Atlantiks haben, sondern isoliert leben. Darum ist diese Schwertwal-Gruppe eine unabhängige Management-Einheit. Aufgrund ihrer geringen Individuenzahl, der Isolierung, dem stark genutzten Lebensraum und ihrer Nahrung, dem Thunfisch, sind sie besonders stark bedroht.
Da Orcas extrem kalorienreiche Nahrung brauchen, über viele Generationen hinweg ihre Jagdmethoden auf die Zielarten perfektionieren und diese zu ihrer familieneigenen Kultur gehören, ist ein Umschwenken auf andere Beute nicht so schnell möglich. Aufgrund ihres hohen Kalorienbedarfs und der komplexen Jagdmethoden müssen sie also wählerisch beim Fressen sein.
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