Vor einer Weile habe ich mir erlaubt, mal zusammenzufassen, was so an wissenschaftlicher Expertise im (un-)demokratischen Mediziner-und-Wissenschaftlerverein MWGFD in Bezug auf ihren Gründungszweck – die “Coronaververschwörung” – vorhanden ist. Spoiler für diejenigen, die den Beitrag nicht kennen: nicht viel.
Der in “Gesundheitscheck” erschiene Beitrag über die veränderte Mitgliederbasis, ist Grund genug noch einmal hinzuschauen, denn das Problem ist nach wie vor die Inanspruchnahme akademischer Glaubwürdigkeit. Insbesondere Kommentator “Emil” meint:
Der “Querdenker” Verein ist fachlich gut besetzt. Das ist wichtig in diesen Zeiten in der es eine Expertenschwemme gibt. Es gilt vor allem Soziologen und Psychologen(Sozial, Kognition, etc.) zu gewinnen, …
Das mag sein, schließlich wurde auch beim Sachverständigenausschuss nach § 5 des Infektionsschutzgesetzes zur Evaluation der Coronamaßnamen auf eine fachlich gut und divers aufgestellte Expertenrunde geachtet (ob das gelungen ist, ob es was gebracht hat, ob der Parteiproporz der Effizienz des Gremiums eher abträglich war, etc. – all dies ist eine andere Frage). Einem Verein jedoch, der “Wissenschaft” und “Medizin” im Namen führt, steht es nicht schlecht zu Gesicht, wenn er breit aufgestellt ist: [edit – 17.08.22]auch weil Nicht-Experte-Sein und Unsinn verbreiten eine schlechte Kobination ist[/edit]. Schauen wir uns die Sache also wieder näher an, dabei können wir die Leute vom letzten Beitrag ruhig weglassen – und nicht vergessen, hier geht es vor allem um ihre Expertise, welche die Mitglieder in ihrem jeweiligen Fachgebiet denn mitbringen. Also:
- Dr. med. Elke Austenat, Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin, Initiatorin der Bürgerinitiative „Evidenz der Vernunft“ – sie listet auf ihrer Homepage etliche Publikationen, darunter manche diabelologisch-therapeutische Beobachtungsmitteilung auf Kongressen, jedoch keinerlei Fachpublikation in einer medizinischen Fachzeitschrift†. Dafür jedoch auch Bücher, u. a. “Das unfassbare Virus“, beworben mit
Sie dürfen erwarten, dass ich qualifiziert genug bin, worum mich der deutsche Star-Virologe Prof. Dr. Drosten bittet: Meine Entscheidungen auf der Basis eines mitdenken Bürgers zu treffen. An diesem „Mitdenken“ würde ich gern viele Menschen teilhaben lassen. Der Leser muss mitdenken wollen, um die Zusammenhänge verstehen zu lernen und sich eine fundierte Meinung zum Wohle seiner selbst, seiner Familie, aber auch des sozialen Miteinander der Menschen national wie international zu bilden. Ich hoffe dazu betragen zu können.
- Prof. Dr. Werner Bergholz, ehem. Professor of Electrical Engineering, Experte für Qualitäts- und Risikomanagement, Lehrbeauftragter an der Jacobs University Bremen – u. a. auch Sachverständiger für die Afd (na, da haben sich dann wohl zwei gefunden). In PubMed (der Metadatenbank der Mediziner und Lebenwissenschaftler) ist naturgemäß von ihm nichts zu finden, dafür kennt Google-Scholar ein paar wenige Publikationen (u. a. “Köperverletzung durch Masken” – zwar keine wissenschaftliche Fachpublikation, jedoch hübsch tendenziös, wie ihre wissenschaftliches Vorbilder?).
- Dr. med. Thomas Binder, Kardiologe, Vorstand Aletheia – Medizin und Wissenschaft für Verhältnismäßigkeit – es ist zugegebenermaßen schwer, mit diesem Namen in der Datenbank zu suchen, zumal keine institutionelle Adresse vorliegt. Aber vielleicht hat er tatsächlich medizinisch einschlägig publiziert†.
- Prof. Dr. med. Arne Burkhardt, Facharzt für Pathologie – tatsächlich: 3 Publikationen in der Datenbank! (Immer wieder verwunderlich für welche “Forschungsleistung” man eine medizinische Professur erlangen kann!) und auch allgemeinere Publikationen und ein einschlägiges Youtube-Video (wiewohl dies keine wissenschaftliche Leistung ist, um die es hier ja primär zur Einschätzung von Qualitfikation gehen soll – aber wir wollen ja die virologisch-epidemiologische Expertise einschätzen können).
- Dr. Andrea Christidis, Psychologin, Gutachterin in Fragen zu forensischer Psychologie – (offenbar streitbar, aber das ist hier zweitrangig), keine medizinischen Publikationen, auch die eigene Homepage gibt keinerlei Hinweis auf fachliche Publikationen, jedoch eine erkennbare Neigung Bhakischen “Wahrheiten” anzuhängen.
- Dr. med. univ. Dr. phil. Christian Fiala, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Arzt für Allgemeinmedizin, Tropenmedizin, Wien – interessanter Hintergrund, mit wirklich beeindruckender Publikationstätigkeit in der Gynäkologie und Geburtshilfe. Der Umstand, dass er Impf”skeptiker” ist, wäre im Zusammenhang mit der MWGFD nicht erwähnenswert, wer allerdings HI-Virus-Leugnern zuarbeitet, zeigt, dass seine virologischen Bemerkungen schon länger mit Vorsicht genossen werden sollten.
- Dr. med. Heinrich Fiechtner, Hämatologe und Internistischer Onkologe – auch er hat es (im Zusammenhang mit ehemaliger AfD-Angehörigkeit) zu einem Wikipediaeintrag gebracht. Zumindest eine Co-Autorschaft bei einer medizinischen Facharbeit (vielleicht auch mehr, die Suchen sind nicht immer eindeutig†).
- Dr. med. Margareta Griesz-Brisson, Neurologin – als Maskengegnerin aufgefallen, als Forscherin nicht†.
- Dr. Dr. Renate Holzeisen, Rechtsanwältin, Bozen – zwar Doppeldoktor und einschlägig in “Sachen Corona” umtriebig (einfach die Suchmaschine eures Vertrauens fragen), aber das Netz verriet mir nicht, welche juristischen Publikationen sie geleistet hat†.
- Dr. med. univ. Maria Hubmer-Mogg, Ärztin, Wien – ebenfalls umtriebig in Sachen Impfgegnerschaft, jedoch ohne zu findenden Eindruck in der Fachwelt (also PubMed zeigt nichts an†).
- Prof. Dr. rer. hum. biol. Ulrike Kämmerer, Humanbiologin, Universitätsklinikum Würzburg – hier im Blog auch schon aufgetaucht, durchaus eine respektable Publikationsliste (interessanter allerdings zu sehen mit PubPeer-Browserplugin, denn ein paar ihrer Publikationen sind dort als problematisch oder aufgebauscht gekennzeichnet), wenngleich keine Arbeiten mit Bezug auf Virologie / Epidemiologie.
- Prof. Dr. Christian Kreiß, Volkswirtschaftler, Hochschule Aalen – die Hochschule listet keine Publikationen, Wikipedia schon – eher wenig für eine Professur†
- Prof. Dr. rer. nat. Ulrich Kutschera, Evolutionsbiologe und Physiologe, Scientific Collaborator, Stanford-CA (USA) & AK Evolutionsbiologie, Freiburg i.Br. – Herr Kutschera ist natürlich eine bekannte Figure. Hier auf SB wurde schon viel über ihn geschrieben, kein Zeichen für wissenschaftliche Glaubwürdigkeit. Sein Wikipediaeintrag verrät unbedarften LeserInnen mehr. Dennoch definitiv ein enormes wissenschaftliches Œuvre, wenngleich nie aufgefallen als virologisch, epidemiologisch forschender.
- Prof. Dr. med. Walter Lang, Pathologe – die Seite seiner Praxis führt keine Publikationen auf.
- Dr. med. Konstantina Rösch, Allgemeinärztin – gekündigt im LKH Graz, offenbar Ärztin ohne Berufserlaubnis – auch eine Leistung, aber wissenschaftliche Publikationen scheint es keine zu geben†.
- Univ.-Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. M. Sc. Christian Schubert, Klinik für Medizinische Psychologie, Medizinische Universität Innsbruck – ein Psychologe, dessen Internetseite freundlicherweise alle Publikationen aufführt und zugleich erkennen lässt, dass er ab und an gerne schwurbelt. Immerhin: eine ansehnliche Liste von Publikationen. Nichts in Zusammenhang mit der Pandemie†.
- Prof. Dr. Martin Schwab, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Verfahrens- und Unternehmensrecht, Universität Bielefeld – hier gibt es eine interessante Universitätshomepage: es werden keine wissenschaftlichen Publikationen aufgeführt, sehr wohl aber eine Stellungnahme mit dem Titel “Meinungsfreiheit und wissenschaftlicher Diskurs in der Corona-Krise” (Untertitel für die Feinschmecker: “Zugleich in Sachen Transparency International Deutschland: Eine Erwiderung auf den Bericht der Untersuchungskommission im Fall Wolfgang Wodarg”). Hinzukommt eine Stellungnahme zu einer Erklärung des AstA der Universität.
- Univ.-Prof. Dr. med. Andreas Sönnichsen, Abteilung für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, Medizinische Universität Wien, bis Januar 2021 Vorsitzender des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin – auch er schon nebenan thematisiert; nicht unumstritten, aber immerhin mit wissenschaftlichen Œuvre.
- Prof. Dr. phil. Wolf-D. Stelzner, Diplom-Psychologe – wissenschaftliche Publikationen sind nicht erkennbar†
- Priv. Doz. Dr. med. Josef Thoma, HNO-Arzt – unklar, ob je wissenschaftlich publiziert wurde†
- Prof. Dr. Hans-Werner Vohr, Immunologie und Immuntoxikologie, Universität Düsseldorf – Rubikon hat einen Eintrag zu ihm(!). Seine Homepage führt eine nette Liste von Publikationen auf (sie endet 2011). Update – Korrektur, habe Dozent nicht als Prof. verstanden:
Vor allem sagt seine Homepage, im Gegensatz zu dem hier aufgeführten “Professor”, dass er nie einer war.Den aufmerksamen LeserInnen dürfte nicht entgangen sein, dass eine leichte Überhöhung des akademischen Status auf der Seite des MWGFD kein Einzelfall ist. - Prof. Dr. Dr. Daniel von Wachter, Professor für Philosophie an der Internationalen Akademie für Philosophie im Fürstentum Liechtenstein – auch er in letzter Zeit einschlägig bekannt geworden, jedoch Veröffentlichungen? Etliche, wie es sich für Philosophen gehört, durchgängig ohne Datenerhebung.
Damit kommen wir ans Ende der Liste derjenigen mit Doktorgrad. Mir geht es, spröder Wissenschaftler, der manchmal in mir durchkommt und so werden Tabellen geschrieben, ja darum, welchen wissenschaftlichen Hintergrund die Mitglieder haben. Schließlich ist es ein Verein von Medizinern und Wissenschaftlern.
Was folgt aus dem Gedöns?
Dass der MWGFD – zur Erinnerung “Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie” – zwar aus Überzeugungstätern besteht, aber zu Freiheit und Demokratie eher durch (Über-)dehnen von Tatsachen und Diffamierung von Dritten gelangen will, ist nichts Neues. Die Pandemie war offenbar auch ein Reiz für viele Klingelschild-Doktoren und -Professoren ihre “Expertise einzubringen” (und besonders viel nicht-medizinische Expertise ist nun auch nicht dabei). Und dabei ist eben ein Teil für Radikalisierung anfällig. Das Beispiel MWGFD und die “Ärzte für Aufklärung” (s. auch hier) lehrt, dass einige davon eben auch meinen über Expertise zu verfügen, obwohl sie nie wissenschaftlich gearbeitet haben. Oder vielleicht deswegen? Das Warnen vor der häufig miserablen Qualität medizinischer Doktorarbeiten ist schließlich alt (Übersichtslink). Getan hat sich nichts, trotz schöner Absichtserklärungen. Zumindest dürften die letzten Jahre gezeigt haben, dass die Arbeit zur Verbesserung medizinischer Dissertationen einen Sinn hat.
Wer nur ein Semester lang etwas Statistik zwischen viel angewandter Medizin lernt, wie in Deutschland üblich (Beispiel), meint leichter, dass das Bild der eigenen Praxis repräsentativ ist. Wer häufig Besuch von Pharmavertretern erhielt, meint irgendwann, dass Wissenschaft abseits der Klinik so funktioniert wie durch die Werbung suggeriert. Und das Publikum? Das vertraut seinen Ärzten und das ist ja meist auch gut so.
† “Nichts gefunden” bedeutet nicht, dass gar nichts da ist, lediglich, dass die Datenbankabfragen keine oder keine eindeutigen Literaturfunde lieferten. Kurz: Literaturrecherchen können fehlerhaft sein. Korrekturen bringe ich gerne ein
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