Sowohl 1924 als auch 1953 nutzten britische Mount-Everest-Expeditionen Verschlüsselung, um die Heimat vertraulich über eine etwaige Erstbesteigung des höchsten Bergs der Welt zu informieren.

English version (translated with DeepL)

Im Jahr 1924 starteten die Briten eine Expedition mit dem Ziel, den bis dahin noch unbezwungenen Mount Everest erstmals zu besteigen. Bekanntester Teilnehmer diese Vorhabens war der Bergsteiger George Mallory, der zu dieser Zeit zu den weltweit besten seines Fachs zählte.

 

Die erfolgreiche Expedition von 1924

Wie allgemein bekannt, erreichte die Mount-Everest-Expedition von 1924 ihr Ziel nicht. Nachdem zuvor zwei Bestigungsversuche hatten abgebrochen werden müssen, versuchten George Mallory und sein Kamerad Andrew Irvine am 8. Juni erneut, den Gipfel zu erreichen. Die beiden kamen nicht zurück. Die restlichen Teilnehmer beendeten ihren Aufenthalt am höchsten Berg der Welt und reisten unverrichteter Dinge zurück in die Heimat.

Everest

Quelle/Source: Wikimedia/Commons

Theoretisch könnte es sein, dass Mallory (er war der deutlich bessere Bergsteiger der beiden) und Irvine erst auf dem Rückweg vom Gipfel des Mount Everest verunglückten. Mit anderen Worten: Mallory und Irvine könnten die Erstbesteiger des höchsten Bergs der Welt sein. An dieser Hypothese gibt es jedoch erhebliche Zweifel. Everest-Veteranen wie Reinhold Messner oder Hans Kammerlander (und nicht nur diese) halten es schlichtweg für unmöglich, dass die beiden Briten mit der damaligen Ausrüstung bei nichtoptimalen Wetterbedingungen auf der von ihnen gewählten Route tatsächlich bis auf 8848 Meter aufstiegen.

Die diversen Berichte über die britische Mount-Everest-Expedition von 1924 habe ich immer wieder gerne gelesen. Dies lag sicherlich auch daran, dass mir der Name “Mallory” ins Auge sprang. “Mallory” heißt in der Kryptografie der fiktive Bösewicht, der alles abhört und versucht, Verschlüsselungen zu knacken. Er kommt beispielweise in meinem Buch “Kryptografie – Verfahren, Protokolle, Infrastrukturen” öfters vor. Sein Name ist allerdings von “mal” (“schlecht”) abgeleitet und hat mit dem gleichnamigen Bergsteiger nichts zu tun.

Neben der zufälligen Namensgleichheit gibt es noch einen anderen Grund, warum George Mallory in der Kryptografie präsent ist. Auf die Frage, warum er den Everest besteigen wolle, antwortete er einst: “Because it is there” (“Weil es ihn gibt”). Eine ähnliche Antwort geben Krypto-Historiker auf die immer wieder gestellte Frage, warum man versucht, das Voynich-Manuskript und andere alte Kryptogramme zu lösen.

Blog-Leser Alexander hat mich vor Jahren darauf hingewiesen, dass es noch einen deutlich direkteren Bezug zwischen George Mallory und der Kryptografie gibt. Denn kurz nach dem Scheitern der Besteigung schickte ein Mitglied der Expedition ein verschlüsseltes Schreiben aus dem Basislager nach Großbritannien. Dieses wurde zunächst von einem Boten in die Stadt Pagri gebracht. Von dort ging es am 19. Juni 1924 per Telegramm nach London. Der folgende Scan zeigt es:

Everest-Telegram

Quelle/Source: Pinterest

Der Text lautet: MALLORY IRVINE NOVE REMAINDER ALCEDO.

Das Telegramm enthält zwei Codewörter: NOVE und ALCEDO. Es war damals durchaus üblich, Telegramme zu verschlüsseln, indem man wichtige Wörter durch Codewörter ersetzte. Es gab zu deisem Zweck Codebücher mit Zehntausenden von Einträgen.

Das verwendete Codebuch ist das “Universal Telegraphic Phrase-Book” (danke an Robert für den Hinweis). Der Empfänger hat außerdem die Bedeutung der beiden Codewörter mit Bleistift dazugeschrieben. NOVE heißt demnach “killed in last engagement”, während ALCEDO für “arrived all in good order” steht. Damit bestätigt sich : Codebücher wurden nicht nur zum Verschlüsseln, sondern auch zum Verkürzen von Telegrammen eingesetzt (je kürzer ein Telegramm, desto billiger). In vielen Fällen war das Verkürzen sogar der eigentliche Grund, ein Codebuch zu nutzen.

Entschlüsselt lautet das Telegramm: MALLORY IRVINE KILLED IN LAST ENGAGEMENT, REMAINDER ARRIVED ALL IN GOOD ORDER. Auf Deutsch etwa: “Mallory und Irvine sind beim letzten Vorhaben ums Leben gekommen, alle anderen sind heil angekommen.”

OBFERRAS ist kein Codewort sondern die Telegramm-Adresse des Empfängers.

 

Die erfolgreiche Expedition von 1953

1953 versuchten es die Briten erneut mit einer Mount-Everest-Expedition, und dieses Mal hatten sie Erfolg. Am 29. Mai 1953 erreichten der Neuseeländer Edmund Hillary zusammen mit dem Sherpa Tenzing Norgay den Gipfel.

Nachdem ich das Mount-Everest-Telegramm von 1924 bereits seit Jahren kenne, habe ich kürzlich dank eines Artikels in den News UK Archives auch erfahren, wie die verschlüsselte Kommunikation an gleicher Stelle knapp drei Jahrzehnte später ablief.

Anscheinend hatte die “Times” das Exklusivrecht, über die etwaige Erstbesteigung des Mount Everest (oder das Scheitern dieses Vorhabens) als erstes zu berichten. Dazu war es notwendig, Nachrichten vom Basislager per Sherpa-Boten nach Katmandu bringen zu lassen und sie von dort per Telegramm in die Redaktion nach London zu schicken. Damit der “Times” niemand ihre Exklusivmeldung wegschnappen konnte, plante man den folgenden, speziell für diesen Zweck erstellten Verschlüsselungscode zu nutzen:

Quelle/Source: News UK Archives

Quelle/Source: News UK Archives

Wie man sieht, ersetzt dieser Code Klartextwörter wie “Hillary” oder “Lawine” durch Codewörter, die zwar einen Sinn haben (z. B. “Birmingham” oder “Newcastle”), deren Bedeutung in diesem Zusammenhang aber eine völlig andere ist. Dies war eine gängige Praxis, die beispielsweise auch beim (ungelösten) Seidenkleid-Kryptogramm zum Einsatz kam.

Allerdings hielt man diesen Code laut dem verlinkten Artikel für kompromittiert (die Gründe dafür sind mir nicht bekannt) und ließ sich daher den folgenden provisorischen Code als Ersatz einfallen:

Quelle/Source: News UK Archives

Quelle/Source: News UK Archives

In diesem Code haben die Codewörter einen bewusst irreführenden Charakter. Sie alle sagen scheinbar etwas Negatives aus (z. B. “Nur noch wenig Proviant übrig”), haben aber eine davon unabhängige Bedeutung (z. B. “etwa gleiche Höhe wie beim letzten Versuch erreicht”). Offenbar wollte man mögliche Mitleser gezielt täuschen.

Nachdem Hillary und Tensing nach ihrer erfolgreichen Besteigung ins Lager zurückgekehrt waren, ging folgende Nachricht vom Mout Everest nach London:

Snow conditions bad stop advanced base abandoned May 29 stop awaiting improvement all well

Mit dem obigen Code dürfte es nicht schwer sein, diese Botschaft zu entschlüsseln. Wer den Klartext herausbekommen hat, kann ihn gerne als Kommentar veröffentlichen.

Am 2. Juni 1953 titelte die “Times”: “Everest Conquered – Hillary and Tensing Reach the Summit”.


Further reading: Das zweite Kryptogramm von Diana Dors

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