Vor fünf Jahren habe ich zum ersten Mal über einen verschlüsselten Brief gebloggt, den Carl von Rabenhaupt im Dreißigjährigen Krieg verschickt hat. Blog-Leser Eugen Antal hat ihn nun zusammen mit zwei Kollegen gelöst.

English version (translated with DeepL)

Carl von Rabenhaupt (1602-1675) war ein Adliger und Offizier, der sich erst im Alter von 72 Jahren einen Platz in den Geschichtsbüchern sicherte. Nachdem er im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) militärische Erfahrung gesammelt hatte, verdingte er sich 1672 als Heereskommandant der niederländischen Stadt Groningen. Als diese einige Wochen später vom Fürstbischof von Münster belagert wurde, war Rabenhaupt gefordert. Unter seiner Führung gelang es, Groningen zu verteidigen, was ihn zum Volkshelden machte.

Rabenhaupt

Quelle/Source: Wikimedia Commons

2016 berichtete mir der slowakische Informatiker und Krypto-Historiker Eugen Antal auf dem Historic Ciphers Colloquium in Kassel von einem verschlüsselten Brief Rabenhaupts. Dieses Schreiben stammt aus dem Jahr 1646, also aus der Endphase des Dreißigjährigen Kriegs, und wird heute in einem tschechischen Archiv aufbewahrt.

Genau genommen sind es zwei Briefe, allerdings ist nur einer (und auch nur teilweise) verschlüsselt. Es handelt sich um Korrespondenz zwischen Carl von Rabenhaupt und Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel. Laut Eugen Antal wurden die Schreiben in Arnsberg abgefangen und niemals ausgeliefert. Hier ist der teilweise verschlüsselte Brief:

Rabenhaupt-encrypted

Quelle/Source: OA v Plzni, FA Trauttmansdorff, inv. nr. 125

Und hier das unverschlüsselte Schreiben:

Rabenhaupt-unencrypted

Quelle/Source: OA v Plzni, FA Trauttmansdorff, inv. nr. 125

Die vielen Zahlen (z. B. 20, 24, 129), die im Geheimtext vorkommen, sprechen dafür, dass von Rabenhaupt zur Verschlüsselung einen Nomenklator verwendete. Ein Nomenklator ist eine Tabelle, die jedem Buchstaben des Alphabets und außerdem einigen Wörtern jeweils eine Zahl oder eine Zeichenfolge oder ein Symbol zuordnet.

 

Ein kryptografischer Cold Case

2016 bloggte ich zum ersten Mal über das Rabenhaupt-Kryptogramm, vor gut einem Jahr ein zweites Mal. Meine Leser lieferten über 40 Hinweise. Besonders hilfreich waren die zahlreichen Kommentare von Thomas Ernst. Als Philologe ist Thomas Ernst in der Lage, alte Texte zu lesen und historisch einzuordnen – ein Fähigkeit, die einem Informatiker wie mir leider fehlt.

Trotz allem gelang es zunächst nicht, den Brief von Rabenhaupt zu entschlüsseln. Das Rabenhaupt-Kryptogramm wurde also zum kryptografischen Cold Case.

Das folgende Bild zeigt Eugen und mich bei der HistoCrypt 2018 in Uppsala, wo wir uns natürlich auch über dieses Thema unterhielten, wobei wir leider nicht weiterkamen.

Quelle/Source: Schmeh

 

Die Lösung

Bereits vor einigen Monaten informierte mich Eugen Antal darüber, dass er das Rabenhaupt-Kryptogramm gelöst hatte. Über diese tolle Nachricht durfte ich allerdings zunächst nicht bloggen, da Eugen einen Beitrag zu diesem Thema für die HistoCrypt 2021 eingereicht hatte. Diese Veranstaltung fand zwar nicht statt, aber ein Konferenzband wurde trotzdem erstellt. Dieser ist letzte Woche erschienen. Darin findet sich auch die Arbeit, in der Eugen Antal zusammen mit Pavol Zajac und Jakub Mírka die Lösung des Rabenhaupt-Kryptogramms beschreibt. Damit ist die Katze aus dem Sack und ich kann auf Cipherbrain darüber berichten.

Wie Leser dieses Blogs sicherlich wissen, gibt es oft nur eine realistische Möglichkeit, einen Nomenklator- oder Codebuch-verschlüsselten Text zu dechiffrieren: indem man den Nomenklator oder das Codebuch findet. Genau das ist Eugen und seinen Kollegen in diesem Fall gelungen.

Wie man in der besagten Arbeit nachlesen kann, recherchierten Eugen und seine Ko-Autoren im Hessischen Staatsarchiv in Marburg, wo es umfangreiche Unterlagen zu Rabenhaupt gibt. Doch Nomenklatoren fanden sie dort zunächst nicht.

Dann jedoch kam den drei Wissenschaftlern mein Blog zu Hilfe. Nach meinem Rabenhaupt-Artikel von 2020 schrieb Blog-Leser Thomas Bosbach in einen Kommentar, dass es in der Sammlung “HSTaM 4d” des Hessischen Staatsarchivs in Marburg Chiffrier-Unterlagen gibt. Diese Sammlung hatten Eugen und seine Kollegen bis dahin übersehen.

Thomas’s Tipp erwies sich als Volltreffer. Unter den zahlreichen Nomenklatoren in der besagten Sammlung, passten gleich drei (diese unterschieden sich nur geringfügig voneinander). Das folgende Bild zeigt einen davon:

Quelle/Source: A-HStAM Best. 4d Nr. 1218

Mit diesem Nomenklator konnten die drei Wissenschaftler den Rabenhaupt-Brief entschlüsseln. Der Klartext liest sich wie folgt (die ursprünglich verschlüsselten Stellen sind fett gedruckt):

Quelle/Source: Antal, Zajac, Mírka

 

Gratulation

Bleibt noch die Frage, ob der Rabenhaupt-Brief auch ohne Kenntnis des Nomenklators zu entschlüsseln gewesen wäre. Wenn ein Nomenklator gut gemacht ist, ist es nahezu unmöglich, einen damit verschlüsselten Text allein mit Codeknacker-Methoden zu dechiffrieren. Allerdings wurden erstaunlich viele Nomenklatoren äußerst schlecht konstruiert. Der Nomenklator von Rabenhaupt, so berichten Eugen und seine Kollegen, gehört zur besseren Sorte, ist aber längst nicht perfekt. Die drei gehen davon aus, dass man eine sehr große Textmenge bräuchte, um die Schwächen nutzen zu können. Ein einseitiger Brief, in dem nur einige Passagen verschlüsselt sind, reicht nicht annähernd aus. Mit anderen Worten: Ohne den Fund im Hessischen Staatsarchiv wäre das Rabenhaupt-Kryptogramm nicht zu knacken gewesen.

Wer mehr wissen will, sollte sich den besagten HistoCrypt-Beitrag durchlesen.

Ich gratuliere Eugen Antal, Pavol Zajac und Jakub Mírka noch einmal herzlich zu ihrem Erfolg. Ich freue mich, dass meine Blog-Leser, insbesondere Thomas Ernst und Thomas Bosbach, dazu beigetragen haben, das Rätsel zu lösen. Und natürlich freue ich mich, dass ich in der Facharbeit der drei Autoren zitiert und erwähnt werde.


Further reading: Wer knackt diesen verschlüsselten Brief von Nicolas de Catinat?

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Kommentare (6)

  1. #1 Thomaa
    18. August 2021

    Congratulations to Eugen, Pavol and Jakub!

  2. #2 George Lasry
    18. August 2021

    With so many homophones per letter and so few encoded symbols in the message, there is no chance this could have been solved cryptanalytically.

    Great detective work, though!

  3. #3 The_Piper
    19. August 2021

    Congratulations, good job!

  4. #4 Klaus Schmeh
    26. August 2021

    Christof Rieber via Facebook:
    Speechless…a piece of history

  5. #5 František Kotál
    18. September 2021

    Hallo, ich bin zufällig auf Ihre Seite gestoßen und habe über Carl Rabenhaupt gelesen. Ich lebe in Prachatice, Tschechien. Bis vor kurzem (07.2021) hatte ich einen Cousin namens Karel Rabenhaupt * 1956. Karel starb im Juli 2021. Leider lebte nur er, dh 1. Rabenhaupt, mit diesem Nachnamen in Tschechien. Sein Vater stammte aus der Gegend von České Budějovice oder Jindřichův Hradec, ich weiß es nicht genau. Ich glaube, er war ein Nachkomme des Carl Rabenhaupt, den Sie studiert haben. Bei Interesse kann ich Kontakt mit der Frau von Karel Rabenhaupt herstellen. Ich schicke ein Foto von Karel, auf dem es meiner Meinung nach eine Form von Carl Rabenhaupt gibt. Grüße. František Kotál

  6. #6 Karl Friedrich von Gemmingen
    Fränkisch-Crumbach
    2. Januar 2022

    Karl v.Rabenhaupt hatte keine Nachkommen. Er war mit Dorothea v.der Recke zur Horst verheiratet.