Im Zweiten Weltkrieg verschickten französische Widerstandskämpfer verschlüsselte Botschaften nach London. Schafft es ein Leser, zwei davon zu dechiffrieren?

English version (translated with DeepL)

Bevor ich zum eigentlichen Thema komme, möchte ich mal wieder auf Ross Ulbricht aufmerksam machen.

Quelle/Source: Lyn Ulbricht

Ulbricht betrieb zwei Jahre lang die illegale Handelsplattform “Silk Road” und wurde dafür zu einer Gefängnisstrafe von zweimal lebenslänglich ohne das Recht auf Bewährung zuzüglich 40 Jahren verurteilt – eine Strafe, die beispielsweise in Deutschland gar nicht möglich wäre und die meiner Meinung nach viel zu hart ist.

Hier ist ein Interview, das ich mit Ulbrichts Mutter Lyn geführt habe. Sie versucht seit Jahren, ihren Sohn aus dem Gefängnis zu bekommen, was angesichts der Rechtslage nicht gerade einfach ist. Wenn überhaupt, kann sie wohl nur durch Druck der Öffentlichkeit etwas erreichen.

Wer Ross unterstützen will, kann versuchen, eine Sammlung von Bildern zu ersteigern, die dieser im Gefängnis angefertigt hat. Alle Informationen dazu gibt es hier. Die Auktion ist gestern angelaufen und dauert bis zum 8. Dezember 2021.

 

Die Résistance-Nachrichten

Kommen wir zum eigentlichen Thema. Vor zehn Tagen habe ich erstmals über die Webseite “Musée de la résistance en ligne” (“Résistance-Museum online”) berichtet, auf der es um die Résistance geht, also die französische Widerstandsbewegung gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg.

Zur Webseite gehört ein Online-Archiv, in dem unter anderem mehrere verschlüsselte Texte abruf bar sind. Meist gibt es zum Klartext und zu den verwendeten Verschlüsselungsverfahren keine oder nur allgemeine Angaben. Ich vermute daher, dass diese Nachrichten noch nicht entschlüsselt sind.

Vor zehn Tagen habe ich die verschlüsselte Nachricht eines Agenten des “CND-Castille” vorgestellt:

Quelle/Source: Archives municipales de Tours – Fonds Jean Meunier 5Z5/2N018

Norbert Biermann hat dieses Kryptogramm gelöst. Es zeigte sich, dass es sich um eine Vigenère-Chiffre mit dem Schlüssel EHHGBAJI (oder 47761098) handelte. Der Klartext lautet wie folgt:

YVES MARES POSTE RESTANTE BUREAU 44 PARIS 103 RUE DE GRENELLE
LA GROSILLIERE 252 RUE DE VAUGIRARD
BONNET 9 RUE THENARD
MONTROCHER 3 RUE DE BAZEILLES

Gerd Hechtfischer konnte bestätigen, dass die genannten Namen und Adressen tatsächlich in der Résistance eine Rolle spielten. Matthew Brown fand im besagten Online-Archiv eine Beschreibung des verwendeten Verfahrens.

 

Die Nachricht von 1942

Heute möchte ich einen weiteren Fund aus dem Résistance-Archiv vorstellen. Es geht um zwei Nachrichten, die namentlich nicht bekannte Agenten aus Frankreich an das Bureau Central de Renseignements et d’Action (BCRA) in London schickten. Das BCRA war ein von Charles de Gaulle gegründeter französischer Geheimdienst mit Sitz in London, der in der Résistance eine wichtige Rolle spielte.

Die erste der zwei Nachrichten ist auf den 18.9.1942 datiert:

Quelle/Source: SHD GR 28 P 11 75 et GR 28 P 11 77

Im zugehörigen Text erfährt man (ohne dass auf diese oder die nächste Nachricht eingegangen wird), dass die Résistance zunächst die Playfair-Chiffre, dann die doppelte Spaltentransposition (Doppelwürfel) und schließlich den One-Time-Pad nutzte.

Der hohe Anteil an Vokalen spricht dafür, dass es sich in diesem Fall um eine Transpositionschiffre handelt. Tatsächlich ist auf dem Karopapier im unteren Teil des Scans eine Botschaft mit einem darüber stehenden (einfachen) Spalten-Transpositionsschlüssel notiert. Der Klartext beginnt mit X1 ANDRE TAWTEY VONNOUX. Die Leerzeichen werden teilweise aufsteigend mit den Zahlen von 1 bis 21 kodiert. Ich gehe davon aus, dass man den Geheimtext spaltenweise auslesen muss, wobei die Zahlen in der obersten Reihe die Reihenfolge angeben.

Ich habe es bisher jedoch nicht geschafft, den Klartext auf dem Karopapier mit dem verschlüsselten Text darüber in Verbindung zu bringen. Gehören die beiden Zettel überhaupt zusammen? Ist die angegebene Spaltentransposition nur einer von zwei Schritten, wie es beim Doppelwürfel zu erwarten wäre? Vielleicht findet ein Leser hier mehr heraus.

 

Die Nachricht von 1944

Derselbe Archiveintrag verweist noch auf eine zweite verschlüsselte Nachricht. Sie ist auf den 1. August 1944 datiert:

Quelle/Source: SHD GR 28 P 11 75 et GR 28 P 11 77

Interessant ist der Hinweis “THIS IS INDECIPHERABLE”. Anscheinend schaffte es der Empfänger nicht, die Nachricht zu entschlüsseln – vielleicht weil der Absender einen Fehler gemacht hatte.

Ich tippe auch hier auf eine Transpositionschiffre. Schafft es ein Leser, dieses Kryptogramm zu knacken?


Further reading: Wer löst diese verschlüsselte Nachricht aus dem Zweiten Weltkrieg?

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Kommentare (14)

  1. #1 Norbert
    3. Dezember 2021

    Zur ersten, bereits entschlüsselten Nachricht:

    Die ersten zwei Fünfergruppen sowie die letzten zwei gehören nicht zum eigentlichen Text. Die zweimal auftauchende Gruppe “28634” könnte evtl. auf den verwendeten Schlüssel hinweisen (immerhin wurde sie in Rot auf das Lösungsblatt geschrieben), während die vorletzte Gruppe “22280” möglicherweise bedeutet, das ein 22-stelliger Schlüssel verwendet wurde und die Nachricht 280 Zeichen lang ist.

    Diese 280 Zeichen wurden offenbar zweimal hintereinander mit demselben 22-stelligen Schlüssel per Spaltentransposition verschlüsselt. (Kurzer Gegencheck: Da die 13. Spalte die Nummer “1” bekommen hat, sollte das Zeichen in Spalte 13 und Reihe 13 des Lösungsblatts nach zwei Durchgängen der erste Buchstabe des Geheimtextes sein, nämlich “J”, das passt.)

    Unklar ist mir noch, wie die vielen Minuszeichen im Klartext zustande kommen …

  2. #2 Norbert
    3. Dezember 2021

    Aha: Das dritte Zeichen in der dritten Fünfergruppe (“J1M4N”) ist gar kein M, sondern ein Symbol für eine Null. Ebenso das zweite Zeichen der darauffolgenden Gruppe. Ein “richtiges” M sieht man zum Beispiel in Zeile 3, 1. Gruppe (“IMEEF”). Auf dem Lösungblatt wurde als Nullsymbol statt des “falschen” M ein Minuszeichen verwendet.

  3. #3 Max Baertl
    3. Dezember 2021

    Hier der Text ohne Leerzeichen (Zahlen) und Nullen:

    X ANDRE TAWTEY VONNEAU E LEROUX NR BENOIT E BENOIT GANTIER CHAVAROC GARAGIST E D EQINPER E CHAVAROC MICHEL AREL RADIO F MALA VOY NADAR FRELAU CRONIER SEBASTELIA ISONDE FRANCOIS ESTEEN JEAN LUC ELEVERGOSE A TE DUTI NISTERIOU PERE ROGER IRANDE O DRUOURCH ROBERTA LATERREE JEAN

    Vielleicht verfügt hier ja jemand über ausreichend Französisch Kenntnisse um den Text zu übersetzen.

  4. #4 Klaus Schmeh
    3. Dezember 2021

    >Vielleicht verfügt hier ja jemand über
    >ausreichend Französisch Kenntnisse
    Außer Namen kann ich leider nicht viel erkennen. “E” könnte eine Abkürzung für “ET” (“und”) sein. Vielleicht handelt es sich einfach nur um eine Namensliste.

  5. #5 George Lasry
    4. Dezember 2021

    For those of you who read French, here is the source mentioned on the museum webpage

    https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k326386p/f80.item

    It would seem that in 1944, there were mostly one-time pads, so this message is likely not decipherable without the key (and maybe not even with the key, based on the comment on the message).

    Has anyone made a transcript of the ciphertext of the first message?

  6. #6 Thomas
    4. Dezember 2021

    Die Transpositionsmethode ist dargestellt in “Le reseau Johnny” (einem Buch über die bretonische Widerstandsgruppe, https://fr.m.wikipedia.org/wiki/R%C3%A9seau_Johnny) auf S. 121 f.: https://books.google.de/books/about/Le_Reseau_Johnny.html?id=WcPYAQAAQBAJ&redir_esc=y. Im Buch findet man auch die in der Nachricht aufgeführten Namen der Mitglieder (z.B. muss es in der 1./2. Zeile heißen: “Tante Yvonne ou Le Roux” = Yvonne Le Roux)

  7. #7 Thomas
    4. Dezember 2021

    Der Klartext scheint nicht der Ausgangstext des Senders, sondern ein entschlüsseltes Exemplar des Empfängers (mit Ver-/Entschlüsselungs- oder Übertragungsfehlern zu sein). Was ich lesen kann ohne mir unverständliche Zeichen:

    ANDRE TANTE YVONNE (Spitzname von Yvonne Le Roux)

    LE ROUX BENOIT

    BENOIT GANTIER(Name) CHAVAROC (Name)

    GARAGISTE DE QUIMPER (Mechaniker aus Quimper)

    CHAVAROC MICHEL

    RADIO MALAVOY (Name) NADER (Name)

    FRELAU (Name) CRONIER (Name)

    SEBAST (NAME) LIAISON (Verbindung) FRANCOIS

    JEAN LUC

    ELEVER (heben etc.) CAPE DU FINISTERE

    PERE ROGER (Name)

    ????

    ROBERT ALATERRE(Name) JEAN

    Einige der genannten Namen des “Reseau Johnny” sind auf dieser Gedenktafel: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:R%C3%A9seau_Johny.jpg

  8. #8 Thomas
    4. Dezember 2021

    Hier sind die Verfahren zusammengestellt, die der britische Special Operations Executive (S.O.E.) für die französischen Widerstandsgruppen im Lauf der Zeit entwickelte: http://codekeeper.free.fr/histoire.html

    Wie bereits von Klaus und Norbert ausgeführt, wurde in der Zeit der hier entschlüsselten Nachricht die doppelte Spaltentransposition verwendet.

    Von Juni bis Oktober 1944 wurden one-time-pads benutzt, somit wohl auch für die nicht entschlüsselte Nachricht von August 1944.

  9. #9 Klaus Schmeh
    4. Dezember 2021

    Danke für die vielen Beiträge, das ist ja richtig spannend.

    >Von Juni bis Oktober 1944 wurden one-time-pads
    >benutzt, somit wohl auch für die nicht entschlüsselte
    >Nachricht von August 1944.
    Der Anteil der Vokale liegt hier bei etwa 40 Prozent. Das W kommt nicht vor, das K nur selten. Das spricht eher für eine Transpositionschiffre.

  10. #10 ShadowWolf
    The 1 Aug 44 message transcribed
    4. Dezember 2021

    Some notes and observations:
    I kept the 5 letter groups. The letters in parenthesis are not included as I am guessing they are possible alternates from the original and transmission errors were not uncommon. I did two versions though only the transcribed copy is included here. The full text version gives an IC of 0.0736. The E is a potential word division marker at over 15% though this could be a characteristic of the language and removing it gives an IC of 0.0691 and some interesting patterns. The IC is high enough that it could be a MASC or a transposition in several languages. A little high for English, a little low for French etc. If a one time pad was used, the IC would not be so high. The IC is also such that the plaintext could be any of several languages. Likewise for many other ciphers. The indecipherable problem may be because it isn’t normal or as expected in some way like a wrong key was used or the wrong cipher type and no one bothered to actually try to break it. It is best that you double check the text in case I didn’t catch any transcription errors and you may want to try the alternates that I didn’t include.

    ERMAS XERRB LNEOM XECTL SEUEO
    MRAEN GFKRE ESRTM IAHOU SILSE
    IUALE IDRNA EAEFE ENRNA TATER
    GTKSS NEEVN NPUZO IADTU EIEBL
    EAKOS RNXEI NIINN RFSLI TJELR
    SAAVU OTEUV HDIER EVAME REFJT
    FIUNE EATRX FATUI FLIIU RHDNT
    BAIMI NTAUE AIREA TFOMF RUTTI
    OALIN OFENN QDNSN NNEAS MKSET
    UGOFJ OTZNP FNETT ESNRU FRPES
    EILUA NVTSE RPUSF EAUIV NEIUM
    NRVTN EBEER ERMAS

    Now the work begins…

  11. #11 Klaus Schmeh
    4. Dezember 2021

    @ShadowWolf:
    Thanks for the transcript!

  12. #12 Thomas
    4. Dezember 2021

    @Klaus
    Das hatte ich nicht berücksichtigt. Nach der Häufigkeitsverteilung (Reihenfolge an der Spitze: enaritus) spricht in der Tat alles für eine Transpositionsverschlüsselung.

  13. #13 Max Baertl
    4. Dezember 2021

    Vermutlich handelt es sich beim zweiten Text um eine mit „Worked out key“ (WOK) auch „A-Z Key“ genannt verschlüsselten Nachricht, der am Ende der Nachricht wiederholte Indikator deutet darauf hin.

    Details zu den SOE Verfahren POEM CODE, WOK und OTP gibt es unter dem Link

    http://chris-intel-corner.blogspot.com/2013/10/soe-cryptosystems-german-view.html?m=1

  14. #14 Matthew Brown
    4. Dezember 2021

    To summarise what others have found;
    The repeated group at the start and end identifies this as using the AZ/WOK code, a DCT using prepared keys.

    The second group should also be removed from the ciphertext as this is an agent identifier group, and the length is therefore 275.

    Some example keys are shown in some of the documents linked, but its unclear if these are genuine keys or made up examples;

    In the example linked by George the key lengths are in the range 15-29
    https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k326386p/f72.item

    In the example linked by Max the key lengths are in the range 10-15
    http://1.bp.blogspot.com/-kylGGnktvrg/UludSdI3DSI/AAAAAAAAA8A/j7hBsYsD6ag/s1600/miers-b3.JPG