Frau Reiss und Herr Bhakdi haben vor ein paar Tagen in Kiel einen Vortrag gehalten. Inzwischen haben die beiden bei Youtube eine solche Popularität, dass ich mir Sorgen mache: Youtube ist leichter zugänglich als ein Blog. Youtube macht es auch leichter “gefunden zu werden”. Einen Blog lesen nur Leute, die sich für die spezifischen Themen interessieren – hier zum Beispiel werden nur wenige Leute vorbeikommen, die sich im Allgemeinen speziell für Mode interessieren. Diese jedoch finden ihren Weg zu Youtube. Zusammen mit allen, die sich für Wissenschaft, Geschichte, Actionclips und Verschwörungstheorien interessieren. Deshalb ist es auch wichtig einen Diskurs auf Youtube zu führen – nicht allein in den Kommentaren, die in der Regel durch Zustimmung zum Video geprägt sind, sondern als ebenso leicht zugängliches Video.
Clemens Lode hat sich die Mühe gemacht und viele, viele Aussagen in des Vortragsvideos von Frau Reiss und Herrn Bhakdi diskutiert – durchaus differenziert. Etwas trocken zwar, aber seht selbst: Ich möchte gerne darauf hinweisen, denn ich weiß durch die Suchanfragen, die zu meinem Blog führen, dass Zuschauer wissen wollen, was dran ist an den Thesen von Frau Reiss und Herrn Bhakdi.
Besonders erfreulich ist der erste von Clemens Lode gepinnte Post unter seinem zweiten Video:
Jetzt seid ihr gefragt. Wo stimmt ihr zu, was kann ich noch verbessern?
Und damit wechsel ich mal in den Duktus eines offenen Briefes – denn das Internet ist weit und groß: Vielleicht erreicht ja diese Kritik Sie, Frau Reiss und Herr Bhaki? Solch eine Aussage jedenfalls möchte ich mal unter Ihren Videos bzw. Ihren Aussagen sehen, Herr Bhakdi: Ein Eingeständnis zur Möglichkeit Fehler gemacht zu haben! Bevor ich jetzt gleich die wirklich schauens- bzw. hörenswerten Videos zur Erwiderung zu Ihren Thesen verlinke, mal eine kleine Anekdote:
In Ihrem Vortrag, Herr Bhakdi, sagen Sie folgenden Satz:
Weil die Leute verstehen nicht, dass die Quantität in der Wissenschaft so eine Rolle spielt.
Eine Rückblende … Vor ungefähr vierzehn haben wir uns Jahren im Rahmen eines Sonderforschungsbereiches kennengelernt. Sie waren, Herr Bhakdi, zu dieser Zeit ein angesehener Professor mit einer renommierten Arbeitsgruppe. Die Arbeitsgruppe meines leider verstorbenen Doktorvaters hat zusammen mit Ihren Leuten versucht die Struktur und Dynamik der Porenbildung des α-Hämolysins aufzuklären.
Damals waren Sie eine beeindruckende Persönlichkeit: Denn Sinn meines recht physikalischen Teilprojektes haben Sie zunächst nicht gesehen. Dennoch haben Sie mich nach Kräften unterstützt. Zunächst mit Proben, die, wie Sie mir versicherten, funktional seien. Als ich Ihnen demonstrierte, das dies zwar stimmte, die Proben jedoch zum größten Teil stets aus (noch nicht sichtbaren) zusammengeklebten Eiweiß bestanden, haben Sie das angezweifelt. Doch ohne zu zögern haben Sie angeboten neue Proben in Ihrem Labor zu gewinnen. Letztlich hat dies funktioniert und eine – hoffentlich gute – wissenschaftliche Veröffentlichung war das Resultat[Meesters et al., 2009]. Sie haben verzichtet ein Co-Autor zu werden, weil Sie der Auffassung waren, dass das Bereitstellen einiger Labormittel dazu nicht berechtigt. Und zu guter Letzt haben Sie meine Dissertation sehr gut bewertet.
Mit anderen Worten: Ich habe Sie als einen freundlichen, geduldigen, großzügigen und wissenschaftlich kompetenten Menschen kennengelernt, der sich auch unangenehmen Einsichten stellt. Sie haben zwar meinen Nachweis nicht verstanden (wieso und wie viel von dem Eiweiß zusammenklebte), aber Sie haben die Zahlen akzeptiert. Diese Fähigkeit zur Kritikverarbeitung wünsche ich mir wieder – nicht nur von Ihnen, von allen Teilnehmern an der Debatte.
Nun zu den besagten Videos – die möchte ich nicht länger vorenthalten:
Fällt Ihnen unter den Videos noch etwas auf? Quellen, Quellen, Quellen …
Frau Reis, Sie formulieren eingangs zwei wichtige Sätze:
In einer Demokratie, meinen Damen und Herren, muss es doch möglich sein, wenn es verschiedene Stimmen gibt, wenn es kritische Stimmen gibt, das diese auch gehört werden und das man sich austauscht darüber. Das das nicht stattgefunden hat, bisher, finden wir sehr bedauerlich und wir finden auch sehr schade, dass von Seiten der Regierenden, insbesondere hier auch von unserem Ministerpräsidenten und unserem Gesundheitsminister gar kein Interesse daran war in eine Diskussion mit uns zu treten.
Sie machen es den politischen Protagonisten aber auch nicht leicht, oder? Ständige Angriffe, Unterstellung der Volksverdummung und des Rechtsbruches schaffen eine abstoßende Atmosphäre, finden Sie nicht? Sie verstehen sicher, dass man Sie so wahrnimmt, wenn Sie sich Ihre Videos selber einmal anschauen.
Deshalb meine Appelle:
- Stellen Sie sich der Debatte. Nicht nur auf Youtube feuern, sondern auch mit den (ehemaligen) Kollegen in Diskurs treten. Wer einen wissenschaftlichen Artikel schreiben möchte, dies wissen Sie sicherlich, sollte die eigenen Gedanken sortieren, gut recherchieren und argumentieren – sonst läuft man Gefahr sich lächerlich zu machen. Ein wissenschaftlicher Artikel findet nicht ausreichend viel Publikum? Macht nichts, gute Vorbereitung wird dennoch nicht schaden, auch wenn Sie wieder Youtube als Kanal wählen.
- Der nächste Punkt ist ähnlich: Seien Sie spezifisch. Vielfach verdammen Sie “die Impfung” und unterschlagen dabei, dass es mehrere Strategien gibt, gegen SARS-CoV-2 zu impfen. (Interessierte können hier ein Wenig(!) über RNA-Impfstoffe nachlesen). Das empfinden viele, mich eingeschlossen, als unredlich.
- Außerdem verlangen gute Erklärungen Vereinfachungen (auch ich habe oben Fachausdrücke einfach weggelassen). Deswegen darf man dennoch nicht alles über einen Kamm scheren. Wenn man die eigenen Argumente lange nicht widersprochen findet, weil man nur der eigenen Blase zuhört, kann man sich mit zu einfachen Vergleichen auch in Dinge hinein steigern, die bei näherer Betrachtung stark übertrieben klinge können (z. B. “Menschenversuche”). Denken Sie Ihre Vergleiche und Argumente durch bevor Sie sie öffentlich machen. Oder lassen Sie Ihr Script durchschauen: Ein wenig Lektorat hat noch keinem geschadet.
- Ein gute Streitkultur ist wichtig für eine Demokratie. Verschwörungstheoretiker zu widerlegen bringt einen großen Zeitaufwand mit sich, viel größer als der Aufwand der Protagonisten diverser Szenen (religiös motiviert, Thrutherszene, Impfgegner, Reichsbürger, diverse Esoterikströmungen) ihre Behauptungen zu verbreiten. Vor allem ist der Kampf gegen Verschwörungsgläubige psychologisch schwierig und selten erfolgversprechend. Wer Teilhabe an der politischen Debatte möchte, sollte daher nicht verstärkt auf Kanälen von Verschwörungstheoretikern präsent sein, denn damit werden die Argumente einseitig. Suchen Sie daher verstärkt den Diskurs mit seriösen Partnern. Nur dann kann es eine Synthese geben.
- Beleidigungen und verbale Angriffe vergiften ebenfalls die Debatte. Es ist nicht notwendig von “Volksverdummung” zu sprechen. Das macht Sie angreifbar und verhindert nachhaltig den Austausch, den Sie zu wünschen vorgeben. Sie wirken so für viele Menschen unseriös. Seien Sie klüger.
- Bitte nehmen Sie keine Autorität für sich in Anspruch, die sie nicht haben. Sie haben eine Karriere als Wissenschaftler gehabt bzw. stecken mittendrin und wissen somit um die Grenzen des Wissens. Diese zu artikulieren kommt gut an. Umgekehrt ist das eher nicht der Fall, wie u. a. meine Beiträge mit ihren Quellen (auch abseits meines persönlichen Empfindens) belegen. Eine aufgeblasene Autorität ist unnötig, wenn die Argumente gut sind.
Zweimal bereits habe ich mich dazu geäußert, dass mir eigentlich keinen Spaß macht Ihre Videos Punkt für Punkt auf Stichhaltigkeit zu überprüfen. Deshalb finde ich es super, wenn sich der Diskurs zu ihrem favorisierten Medium verlagert und trage auch gerne selber dazu bei. Ich hoffe sehr auf eine Versachlichung.
In diesem Sinne, viel Erfolg!
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Disclaimer: Für all diejenigen, die den Sarkasmus nicht verstehen – nein, ich rechne nicht mit einer Veränderung des reiss-bhakdischen Stils.
Nachtrag: Nach dem ersten Kommentar hier, finde ich es doch reizvoll mal von einem/r VertreterIn des mwgfd wissenschaftlich nachvollziehbar und für eine wissenschaftsaffines Publikum erläutert zu erhalten, welcher Impfstoff attackiert wird. Woraus lässt sich zu einem Zeitpunkt an dem noch kein Impfstoff (außerhalb Russlands) zugelassen ist und die Ergebnisse der Studien noch nicht publiziert sind, ein Risiko bestimmen, welches die spätere Anwendung ethisch verurteilen lässt?
Vielleicht ist findet sich ja jemand zur Debatte ein.
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