Heute geht es um fünf weitere ungelöste Verschlüsselungen aus dem Zweiten Weltkrieg. Kennen meine Leser weitere?
English Version (translated with DeepL)
Zunächst einmal möchte ich hiermit feierlich verkünden, dass ich meinen Blog vor ein paar Stunden in “Cipherbrain” umbenannt habe!
Aus der Krypto-Kolumne wird Cipherbrain
Nach acht Jahren des Bloggens erschien mir dieser Namenswechsel sinnvoll. Denn zum einen kam vielen die alte Bezeichnung “Klausis Krypto Kolumne” zu kindisch vor. Außerdem war die nahe liegende Abkürzung KKK aus ebenfalls nahe liegenden Gründen nicht zu gebrauchen. Und schließlich wollte ich auf Grund meiner internationalen Leserschaft lieber einen international verwendbaren Namen haben.
Die Umbenennung in “Cipherbrain” habe ich schon vor Monaten beschlossen. In meinem aktuellen Buch “Codebreaking: A Practical Guide” wird mein Blog bereits als “Cipherbrain” bezeichnet. Ab heute ist der neue Name auch online sichtbar. An den URLs ändert sich nichts, dort wird weiterhin “Klausis Krypto Kolumne” auftauchen. Das liegt daran, dass es zu kompliziert und fehleranfällig wäre, neue Web-Adressen einzuführen.
Der Begriff “Cipherbrain” stammt übrigens von dem legendären und umstrittenen US-Codeknacker Herbert Yardley. Dieser schrieb in seinem 1931 erschienenen Skandalbuch “The Amercian Black Chamber”:
Der erfolgreiche Kryptologe braucht einen Verstand, der schwer zu beschreiben ist. Um wirklich gut zu sein, braucht er nicht nur Jahre lange Erfahrung, sondern auch viel Originalität und Vorstellungskraft in einer besonderen Form. Wir nennen es »Cipherbrain«. Ich kenne keinen besseren Ausdruck dafür. Wir haben es nie geschafft, einen Intelligenztest zu entwickeln, der das Potenzial eines Studenten zuverlässig angab. Selbst die erfolgreichsten Studenten erwiesen sich manchmals als nutzlos, wenn sie eigenverantwortlich arbeiten mussten, man konnte sie nur für Büroarbeit einsetzen. In den Chiffrierbüros von England, Frankreich, Italien und Amerika gab es Tausende von Männern und Frauen, die ihr Leben dieser Wissenschaft widmeten, aber von diesen Tausenden waren höchstens ein Dutzend Cipherbrains.
Dieser Blog ist natürlich nicht nur für Cipherbrains nach Yardleys Definition gedacht, sondern für alle, die sich für historische und moderne Verschlüsselungstechnik interessieren.
George Lasry’s Vortrag am Samstag
Und dann möchte ich noch darauf hinweisen, dass Blog-Leser und Codeknacker George Lasry (zweifellos ein Cipherbrain nach Yardleys Definition) am Samstag um 18 Uhr (deutsche Zeit) einen Webinar-Vortrag halten wird. Dieser findet im Rahmen des ICCH-Forums statt.
Das ICCH-Forum wird demnächst mit einer tollen Webseite an den Start gehen – ich habe sie schon gesehen, sie ist aber noch nicht freigeschaltet. Bis dahin kann ich die entsprechenden Vorträge nur ohne Verlinkung ankündigen.
Georges Vortrag hat den Titel “Deciphering Papal Ciphers from the 16th to the 18th Century”. Jeder ist willkommen, die Teilnahme ist kostenlos. Wer Interesse hat, kann mir gerne ein Mail schicken, ich leite dann den Einwahl-Link weiter.
Weitere ungelöste Verschlüsselungen aus dem Zweiten Weltkrieg
Kommen wir nun aber zum eigentlichen Thema. Meines Wissens hat noch nie jemand eine Liste von ungelösten Kryptogrammen aus dem Zweiten Weltkrieg zusammengestellt. Deshalb habe ich im ersten Artikel dieser Serie einen ersten Entwurf einer solchen Liste vorgestellt, die ich heute erweitern möchte. Eines der besagten fünf Kryptogramme (das Tagebuch von Emil Klein) wurde inwischen von Armin Krauß gelöst (Gratulation!). Ein weiteres (das Rilke-Kryptogramm) wurde als nichtkryptologisch identifiziert. Es bleiben also drei übrig.
Heute gibt es fünf weitere Beispiele. Die Nummerierung fängt mit 4 an, da ich die drei ungelösten Rätsel vom letzten Mal als Nummer 1 bis 3 betrachte.
4. Der SS-Funkspruch
Der US-Professor Nick Gessler hat eine interessante Sammlung, bestehend aus Verschlüsselungsmaschinen, Verschlüsselungsformularen, Chiffrierscheiben, verschlüsselten Postkarten und mehr. Es sind viele einzigartige Stücke darunter. Besonders interessant finde ich den folgenden Zettel, den mir Nick vor einigen Jahren gezeigt hat:
Dieses Formular wurde offensichtlich 1944 von einem Mitglied der SS ausgefüllt. Vermutlich handelt es sich um einen verschlüsselten Funkspruch, der auf diese Weise protokolliert wurde. Bisher hat niemand die Lösung gefunden.
Leider ist nichts über die genaue Herkunft des Formulars bekannt. Die Unterschrift könnte “Klein” heißen. Vielleicht erkennt jemand etwas auf dem Stempel:
Die bekannteren Verschlüsselungsverfahren des Zweiten Weltkriegs (Enigma, Doppelkasten, Rasterschlüssel 44) passen hier nicht. Die Sonderzeichen in der mittleren Spalte sind ungewöhnlich. Da die Nachricht von einem Untersturmführer unterzeichnet wurde (dies ist ein eher niedriger Rang), kann es sehr gut sein, dass statt einer Verschlüsselungsmaschine ein manuelles Verfahren zum Einsatz kam.
5. Die Brieftauben-Nachricht
Über diese wohl bekannteste ungelöste verschlüsselte Nachricht des Zweiten Weltkriegs habe ich dieses Jahr bereits gebloggt. Sie wurde 1982 entdeckt. Der Finder informierte jedoch erst 2012 die Presse.
Bei Renovierungsarbeiten, so lautet die Geschichte, stieß ein Hauseigentümer in Surrey (England) in einem Kamin auf die Überreste einer Brieftaube aus dem Zweiten Weltkrieg. An deren Beinknochen befand sich eine rote Kapsel mit einer verschlüsselten Nachricht:
Hier ist eine Transkription des Geheimtexts:
AOAKN HVPKD FNFJW YIDDC
RQXSR DJHFP GOVFN MIAPX
PABUZ WYYNP CMPNW HJRZH
NLXKG MEMKK ONOIB AKEEQ
UAOTA RBQRH DJOFM TPZEH
LKXGH RGGHT JRZCQ FNKTQ
KLDTS GQIRW AOAKN 27 1525/6.
Trotz eines beträchtlichen Medienrummels konnte niemand die Taubennachricht knacken. Bisher hat meines Wissens auch niemand eine vergleichbare Botschaft gefunden, obwohl es solche gegeben haben muss.
Die Brieftauben-Nachricht ist nicht in einer erkennbaren Weise datiert. In der Presse hieß es, dass die Botschaft am 6. Juni 1944, dem D-Day, von Frankreich nach England geschickt wurde. Dass die Taube aus Frankreich kam, ist aus geografischen Gründen durchaus plausibel. Warum es gerade am D-Day, dem wohl wichtigsten Datum des Zweiten Weltkriegs, gewesen sein soll, ist mir allerdings nicht klar.
Interessant ist auch, wie wenig man über den Hintergrund dieser Botschaft weiß. Es ist noch nicht einmal bekannt, welche Verschlüsselungsverfahren die Briten für ihre Brieftauben-Kommunikation im Zweiten Weltkrieg nutzten. Dies ist umso erstaunlicher, als Brieftauben in der Armee des Vereingten Königreichs damals eine wichtige Rolle spielten. Die Spekulationen über die hier verwendete Chiffre reichen von einer Typex-Verschlüsselungsmaschine über ein Codebuch bis zu einem One-Time-Pad.
6. Die Doppelkasten-Nachrichten
Der Doppelkasten, eine Variante der Playfair-Chiffre, war das vermutlich am häufigsten verwendete manuelle Verschlüsselungsverfahren der Deutschen im Zweiten Weltkrieg.
Frode Weierud, einer der weltweit führenden Enigma-Experten hat in einem Archiv eine Reihe von Original-Doppelkasten-Nachrichten der deutschen Ordnungspolizei aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Er stellte mir dankenswerterweise Scans und Transkripte davon zur Verfügung. Die erste Nachricht aus dieser Sammlung wurde am 16. Juni 1942 von verschickt:
Diese Nachricht wartet noch auf ihre Dechiffrierung. Der verlinkte Blog-Artikel zeigt einige weitere ungelöste Funksprüche aus dieser Serie.
7. Enigma (Karpathen)
Spezialisten wie Michael Hörenberg, Dan Girard, Frode Weierud, Geoff Sullivan, Olaf Ostwald und Stefan Krah haben in den letzten Jahren Hunderte von originalen Enigma-Nachrichten aus dem Zweiten Weltkrieg dechiffriert. Es gibt aber immer noch ungelöste Enigma-Funksprüche. Zum Beispiel den folgenden mit der Aufschrift “Karpathen”. Wolfgang Schmidt, Hauptmann bei der Bundeswehr und Kurator eines Bundeswehrmuseums in Feldafing bei München, hat ihn mir zur Verfügung gestellt:
Das angegebene Datum ist der 10. Januar 1945. Schon mehrere Enigma-Experten haben sich dieses Kryptogramm angeschaut, aber meines Wissens ohne Erfolg.
8. Enigma (Thetis)
Hier ist ein weiterer ungelöster Enigma-Funkspruch (mit der Aufschrift “Thetis”). Danke an Michael Hörenberg für den Hinweis.
Dieser Funkspruch stammt vom 1. Mai 1945, also aus den letzten Kriegstagen. Er ist vermutlich fehlerhaft, was ihn schwer zu knacken macht. Auf der verlinkten Seite findet sich eine genaue Analyse von Dan Girard.
Eine Liste
Hier ist eine Liste von ungelösten Kryptogrammen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die einzelnen Einträge sind auf Englisch notiert. Die ersten acht Einträge stammen aus diesem und dem letzten Artikel.
- Bullet cryptogram
- Schleswig-Holstein telegrams
- Köhler cryptograms
- SS radio message
- Carrier pigeon message
- Doppelkasten messages
- Enigma message (Karpathen)
- Enigma message (Thetis)
Die folgende Liste nennt noch ein paar mehr (vielen Dank an Dan Girard für seinen Hinweis):
- Air plane radio message
- French message
- M-209 message
- Spanish Enigma message
- Consular messages
- Swedish messages
Diese Liste ist sicherlich noch nicht vollständig. Insbesondere gibt es sicherlich noch einige weitere Enigma-Nachrichten aus dem zweiten Weltkrieg, die ungelöst sind. Außerdem könnten einige der genannten Kryptogramme inzwischen gelöst sein. Ich hoffe, dass mir meine Leser helfen können, die Liste zu erweitern und zu verbessern.
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Further reading: Die Slidex: ein Low-Tech-Verschlüsselungswerkzeug aus dem Zweiten Weltkrieg
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